Malte Spitz Brandenburger Tor

„Es ist wichtig zu verstehen, wo es in der Alltagspraxis hakt"

Interview mit Malte Spitz vom Normenkontrollrat zum Bürokratieabbau

Die Furcht vor dem Datenschutz nehmen und frühzeitig die Digitalisierung bedenken: Malte Spitz, Mitglied des Nationalen Normenkontrollrats (NKR), wünscht sich ein Umdenken. Trotz des Rückschlags durch das Scheitern des Onlinezugangsgesetzes (OZG) 2.0 zeigt er sich im folgenden Interview zuversichtlich in Bezug auf die Zukunft des Bürokratieabbaus.

Verwaltung der Zukunft: Im Oktober 2023 veröffentlichten Sie eine Stellungnahme zum Onlinezugangsgesetz. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation zum OZG 2.0 ein und welche Empfehlungen hatte der NKR bei der Überarbeitung ausgesprochen?

Malte Spitz: Wir haben aktuell einen gewissen Schwebezustand durch den Vermittlungsausschuss, was sehr schade ist. Dass sich das Ganze schon sehr lange zieht, ist auch einer unserer Kritikpunkte und bei einer so drängenden Frage ein fatales Zeichen. Als NKR hatten wir ganz unterschiedliche Anforderungen ans OZG 2.0. Wir hatten schon im Frühjahr 2023 ein eigenes Positionspapier vorgelegt. Dort haben wir auch grundsätzlichere Fragen gestellt, insbesondere unsere Kritik am Einer-für-Alle-Prinzip und dass man den Fokus stärker auf ein Angebot hochwertiger Basiskomponenten legen sollte. Dann haben wir im Oktober im Rahmen der Sachverständigeranhörung im Innenausschuss nochmal gezielter Vorschläge zum Gesetzentwurf gemacht, zum Beispiel, dass wir uns konkretere Umsetzungsfristen wünschen, sowie konkrete Vorgaben zum Monitoring. Einige Punkte sind von den Abgeordneten aufgenommen worden, aber auch nicht an allen Stellen. Deswegen haben wir ein gemischtes Gefühl. Die Kritikpunkte an der Grundkonstruktion bleiben. Wir sind gespannt was jetzt im Vermittlungsausschuss rauskommt.

VdZ: Was sind für Sie die größten konkreten Erfolge beim Bürokratieabbau in den letzten Jahren?

Spitz: Ein wesentlicher, positiver Aspekt ist, dass das ganze Themenfeld eine ganz andere Aufmerksamkeit bekommt. Die politische und gesellschaftliche Dringlichkeit wurde allen klar – zu viel Bürokratie ist nicht einfach etwas, über das sich der NKR mal ein bisschen aufregt, sondern etwas, was substanzielle Auswirkungen auf das Alltagsleben der Einzelnen hat. Wir als NKR konnten in den letzten Jahren den Fokus auf sehr konkrete Beispiele legen und mit Vorschlägen zum Bürokratieabbau auf einzelne Ministerien zugehen, zum Beispiel bei Grenz- und Schwellenwerten. Oder auch bei größeren Themen, wie dem Digitalcheck, mit dem die Gesetzgebung insgesamt besser gemacht werden soll. Da geht es um den strukturellen Ansatz: Wie muss Gesetzgebung ablaufen, um den Vollzug einfacher zu machen und die Digitaltauglichkeit sicherzustellen? Da kommen wir Schritt für Schritt voran und ich bin optimistisch, dass das weiter in den Ministerien und nachgelagerten Behörden Verankerung findet.

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Die politische und gesellschaftliche Dringlichkeit wurde allen klar – zu viel Bürokratie ist nicht einfach etwas, über das sich der NKR mal ein bisschen aufregt, sondern etwas, was substanzielle Auswirkungen auf das Alltagsleben der Einzelnen hat.

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VdZ: Sie haben im Januar beim Europäischen Datenschutztag den erwähnten Digitalcheck präsentiert, den der NKR seit Januar 2023 vollzieht. Können Sie uns präsentieren, was die größten Erkenntnisse seither sind?

Spitz: Wir kommen nach und nach dazu, dass sich frühzeitig Gedanken zum Vollzug und zur Digitaltauglichkeit gemacht werden. Gibt es Vorgaben dazu, die das schwerer oder einfacher machen? Gibt es schon alte Daten, auf die man zugreifen kann?

Ein wichtiger Baustein ist die Visualisierung des Vorhabens. Hier konnten wir 2023 erste Erfolge verbuchen. Die Visualisierung hilft beim besseren Verständnis des Vorhabens, verdeutlicht Probleme schneller und zeigt zum Beispiel Datenflüsse einfacher auf. Und damit wird Gesetzgebung plastischer in seinen Auswirkungen.
Oft hängt es von den einzelnen Mitarbeitenden ab, ob sie sich die Zeit nehmen für diese Fragen und ob sie daran Spaß haben, sich so in ihrer Arbeitsweise neu aufzustellen. Allerdings müssten die Ministerien noch mehr tun, um die Einzelnen zu unterstützen.

VdZ: Sie arbeiten auch als externer Datenschutzberater und geben Schulungen. Was sind die gängigsten Probleme oder Missverständnisse, die Sie in der Praxis beobachten können?

Spitz: Ich nehme eine gewisse Übervorsicht wahr. Es ist einerseits schön als Datenschutzenthusiast, dass das Thema einen so hohen Stellenwert genießt. Aber dadurch gibt es manchmal auch ein falsches Verständnis von Datenschutz, was gar nicht notwendig ist.
Zum Beispiel, dass der Datenschutz alles verhindert, was er gar nicht tut. Das Datenschutzrecht zwingt einen dazu - ähnlich wie beim Digitalcheck - sich schon frühzeitig mit den Fragen zu befassen und bei der Ausgestaltung zu berücksichtigen. Ich würde mir sowohl bei Unternehmen als auch bei staatlichen Stellen eine andere Sichtweise auf den Datenschutz wünschen. Weniger eine Furcht davor, sondern eine Einstellung, dass der Datenschutz wichtig und ein Grundrecht ist, das man im Alltag schützen aber auch pragmatisch anpacken muss. Die Datenschutzaufsichtsbehörden könnten stärker abgestimmte Informationen- und Vorlagen für die praktische Anwendung vorlegen, dies wäre eine enorme Hilfestellung und Aufklärung zugleich. Das findet schon statt, aber das ist noch ausbaufähig. Zudem muss man verstehen, dass das Datenschutzrecht in der Regel nicht sagt: „Du darfst das nicht", sondern ein Ansporn sein soll für „wie kann ich es denn datenschutzkonform lösen" und vielleicht noch zusätzlich - datenschutzfreundlich.

VdZ: Haben Sie drei konkrete Empfehlungen für die Mitarbeitenden kleinerer Kommunen unserer Leser*innenschaft, wie diese im Alltag den Bürokratieabbau weiter vorantreiben können?

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Bitte nicht aufgeben, denn wir brauchen Sie!

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Spitz: Die Mitarbeitenden vor Ort sind meistens genauso unzufrieden wie alle anderen über die Situation und leiden unter der Bürokratielast und komplizierten Umsetzung. Hier ein großes Lob und Dankeschön, dass sie sich dieser Arbeit annehmen. Für uns als NKR ist es generell und gerade auch im Zusammenhang mit dem Digitalcheck wichtig zu verstehen, wo es in der Alltagspraxis hakt. Es hilft nicht allgemein zu sagen, „das ist gut und das schlecht“, sondern konkret an Beispielen die Fallstricke aufzuzeigen. Ich nehme dann immer wieder eine große Aufgeschlossenheit wahr, sich diesen konkreten Problemen auch zu widmen. Sich diese Zeit zu nehmen und das Problem zu spiegeln, egal ob in Kommunalverbänden, gegenüber den regionalen Abgeordneten oder zuständigen Ministerien, ist eine echte Hilfe.

Der zweite Punkt ist: Bitte nicht aufgeben, denn wir brauchen Sie! Die Motivation diesen Job mit Leidenschaft auszuüben, hat eine ganz große Auswirkung auf den Alltag vieler Menschen und Unternehmen.
Der dritte Punkt ist, sich die Spielräume, die man manchmal gesetzlich hat, auch zu nutzen. Zu schauen, ob man pauschalieren kann und dann zu sagen „Ok, ich mache das einfach", weil das allen hilft. Dann spar ich mir zwei Stunden Zeit für die Prüfung und muss nicht zusätzliche Unterlagen bei der Antragsstellerin anfordern. Wenn es die Spielräume gibt, dann sollte man sie nutzen.