Interview mit CIO Stefan Krebs: "E-Government muss für jeden da sein"
Der Chief Digital Officer des Landes Baden-Württemberg über die Digitalisierung in seinem Bundesland
Verwaltung der Zukunft: Sehen Sie das Land Baden-Württemberg für die Zukunft gut aufgestellt?
Krebs: E-Government ist kein Selbstläufer. Doch wir bringen die Voraussetzungen dafür mit, dass wir hier in den nächsten Jahren gut vorankommen können. Baden-Württemberg verfügt über eine stabile Verwaltungsstruktur mit starken Verwaltungen, über bereits seit Jahrzehnten bewährte gemeinsame IT-Services im Kommunalbereich und in der Landesverwaltung sowie über breite Erfahrungen bei der Digitalisierung interner Prozesse.
VdZ: Baden-Württemberg hat bereits frühzeitig die Grundlagen für die Einführung des E-Government und die Digitalisierung der Verwaltung gelegt. Was konnte bisher erreicht werden und was sind die zentralen Handlungsfelder bis 2020?
Krebs: Bereits vor 30 Jahren erfolgte in Baden-Württemberg die grundlegende Ausrichtung der öffentlichen Hand auf Digitalisierung von Prozessen, gemeinsame IT-Verfahren und elektronische Kommunikation über sichere Netze. Mehrere Strukturreformen führten zu einer starken Bündelung staatlicher Aufgaben in den Kreisverwaltungen. Zum Gelingen dieser Reformen trugen in starkem Maße gemeinsame, Verwaltungsebenen übergreifend genutzte IT-Fachverfahren, etwa im Bereich der Umwelt-IT, bei.
Seit über 15 Jahren ist das Portal service-bw.de in Betrieb. Das Portal ist ein in Baden-Württemberg gut eingeführtes Beispiel für Content-Sharing, von dem rund zwei Drittel der Städte und Gemeinden in Baden-Württemberg Gebrauch machen.
Wir investieren durchaus auch in innovative Lösungen, aber nicht um jeden Preis und nicht dort, wo wir Zweifel am versprochenen Ertrag hegen.
Wir stehen in den nächsten Jahren vor Herausforderungen, die den Kolleginnen und Kollegen anderer Länder bekannt sein dürften: Weitere Bündelung und Professionalisierung des IT-Betriebs, IT-Sicherheit, fachübergreifend standardisiertes Datenmanagement, elektronische Vorgangsbearbeitung und Aktenführung sowie standardisierte elektronische Verwaltungsverfahren.
Unser langfristiges strategisches Ziel ist es, dass alle Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen, Freiberufler und Gewerbetreibenden die für sie in ihrer jeweiligen Situation und am jeweiligen Ort relevanten Daten, Informationen, Dienste, Anwendungen und Beteiligungsmöglichkeiten der öffentlichen Hand über alle Gebietskörperschaften des Landes hinweg ohne Kenntnis der jeweils zuständigen Stelle elektronisch suchen, einsehen und nutzen können. Dazu müssen wir die genannten Herausforderungen annehmen.
VdZ: Im Vergleich zu anderen Bundesländern: Was macht Ihr Bundesland möglicherweise bewusst „anders“?
Krebs: Unser Land ist geprägt von starken, selbstbewussten Gemeinden, Städten und Kreisen. Sie können gut rechnen und haben ein Gespür dafür, wo sich gemeinsame Konzepte und Lösungen lohnen. Der Landesgesetzgeber hat bei seinen Reformgesetzen auf den Willen und die Fähigkeit aller Beteiligten zur Kooperation gesetzt.
Gut rechnen kann auch die Landesverwaltung. Wir investieren durchaus auch in innovative Lösungen, aber nicht um jeden Preis und nicht dort, wo wir Zweifel am versprochenen Ertrag hegen oder uns die Zeit dafür noch nicht reif zu sein scheint. Investiert hat das Land in jüngster Zeit beispielsweise in service-bw.de. Wir stellen mit der neu entwickelten Lösung eine E-Government-Infrastruktur mit Services bereit, die im Land von Akteuren des Landes wie der Kommunen in ihrem jeweiligen Kontext genutzt werden können. Dies schafft Synergien und generiert Effizienzgewinne. Mit diesem Angebot heben wir uns sicher von anderen Ländern ab.
Innovative IT-Lösungen werden wir nicht ohne Wettbewerb erhalten, und die fachlichen Anforderungen an die IT-Lösungen werden immer heterogen bleiben.
VdZ: In Kürze soll die Föderale IT-Koordinationsstelle FITKO gegründet werden. Wie will sich Baden-Württemberg daran beteiligen?
Krebs: In einzelnen Kommunen können Unternehmen wie Bürgerinnen und Bürger schon viele Verwaltungsverfahren elektronisch abwickeln – allerdings noch nicht flächendeckend. Ist es aber hinnehmbar, dass ein Bürger nur deshalb seine Verfahren nicht elektronisch durchführen kann, weil sich die Gemeinde, in der er wohnt, E-Government nicht leisten kann? Nur die Kommunen, die durch E-Government Rationalisierungseffekte erwarten können, werden in diesen Bereich nachhaltig investieren. Mehr als 90 Prozent der Städte und Gemeinden in Baden-Württemberg haben weniger als 20.000 Einwohner; für die meisten dieser Kommunen dürfte das nicht zutreffen.
Wir brauchen also ein Modell der Zusammenarbeit, das die kommunale Selbstverwaltungshoheit achtet und zugleich für alle Beteiligten finanzierbar ist. Das Ende 2015 in Kraft getretene E-Government-Gesetz Baden-Württemberg bietet einen stabilen rechtlichen Rahmen für die Bereitstellung einer zentralen E-Government-Infrastruktur mit Diensten, die wir jetzt mit service-bw.de umsetzen.
Ich wünsche mir hier konkrete Vereinbarungen mit den kommunalen Landesverbänden und dem kommunalen Datenverarbeitungsverbund als Fundament etwa für standardisierte elektronische Prozesse und Formulare, die wir gemeinsam entwickeln und nachfrageorientiert allen relevanten Zielgruppen anbieten wollen.
Dieser Ansatz der ebenenübergreifenden Nutzung einer zentral bereitgestellten E-Government-Infrastruktur lässt sich natürlich auch auf die nächsthöhere Ebene übertragen. Die Entwicklung unserer neuen E-Government-Plattform haben wir in Kooperation mit dem Freistaat Sachsen beauftragt. Das könnte ein Nukleus für gemeinsame Lösungen im föderalen Kontext sein, der über die Standardisierung von Schnittstellen und die Bereitstellung von Interoperabilitätsmechanismen hinausgeht.
Die bisherigen Beschlüsse des IT-Planungsrats zu FITKO hat Baden-Württemberg mitgetragen. Das werden wir auch künftig tun, wenn der Aufbaustab seine Arbeit mit Augenmaß erledigt und wir in unserem Haushalt die anteilige Finanzierung sicherstellen können.
VdZ: Die Studie „Zukunftspanel Staat & Verwaltung 2015“ hat gezeigt, dass digitale Strategien der Mehrheit der Führungskräfte, aber nur einer Minderheit der Mitarbeiter bekannt sind. Wie können die digitalen Agenden stärker auf der Mitarbeiterebene verankert werden?
Krebs: Die Antwort will ich kurz fassen: durch Kommunikation, Weiterbildung und Change Management.
VdZ: Wie ist der aktuelle Status quo bei Standardisierung und Konsolidierung der IT-Infrastrukturin in Baden-Württemberg und welche Schritte sind weiterhin geplant?
Krebs: Wir wollen und können uns unterschiedliche IT-Systeme in den einzelnen Behörden auf Dauer nicht mehr leisten. Nach einem klaren Zeitplan wollen wir die einzelnen Themenfelder der klassischen IT weiter standardisieren. Das reicht von der Technik des konventionellen PC-Arbeitsplatzes bis zur Neuausrichtung von Entwicklungs-Plattformen für (Fach-)Software oder mobile Anwendungen. Mit der BITBW als unserem zentralen IT-Dienstleister verfolgen wir das Ziel von Zentralisierung, Konsolidierung und damit auch Professionalisierung verschiedener Dienste. Das tangiert auch viele Fragen der IT-Sicherheit, die für uns immer wichtiger werden.
Wir wollen und können uns unterschiedliche IT-Systeme in den einzelnen Behörden auf Dauer nicht mehr leisten.
VdZ: Wollen und können wir uns unterschiedliche IT-Systeme in den einzelnen Behörden auf Dauer überhaupt leisten?
Krebs: Darauf gibt es keine pauschale Antwort. Innovative IT-Lösungen werden wir nicht ohne Wettbewerb erhalten, und die fachlichen Anforderungen an die IT-Lösungen werden immer heterogen bleiben.
VdZ: Welche aktuellen Projekte Ihres Bundeslandes sind im Bereich E-Government besonders innovativ?
Krebs: Letztes Jahr haben wir unsere neue E-Government-Infrastruktur service-bw in Betrieb genommen. Service-bw stellt den Behörden des Landes und der Kommunen zentral Dienste zur Verfügung, die sie für Ihre E-Government-Angebote nutzen können. Über diese Plattform werden wir gemeinsam mit den Kommunen und ihren Dienstleistern Standardprozesse bereitstellen, die von allen Einwohnern und Unternehmen in Baden-Württemberg genutzt und in kommunale Webseiten integriert werden können. Erste Pilotprozesse gehen demnächst in Betrieb oder sind noch in Arbeit.
Vor wenigen Wochen haben wir ein ressortübergreifendes Projekt zur Einführung der elektronischen Akte in allen Landesbehörden gestartet. Dabei verstehen wir unter E-Akte den gesamten Lifecycle eines Vorgangs vom Posteingang bis zur Archivierung. Das ist ein überaus ambitioniertes Vorhaben, das viel Geschick und einen langen Atem erfordern und einen wesentlichen Schwerpunkt auf das Change Management legen wird.