Echte Bürgernähe herstellen - Teil 2
Warum partizipative Bürgerbeteiligung ein Mehrwert für bürgernahe Verwaltung ist
Dies ist Teil 2 einer zweiteiligen Serie zum Thema "Echte Bürgernähe herstellen". Während dieser Artikel sich mit den Praxisbeispielen und Tipps zur erfolgreichen Umsetzung befasst, liefert der erste Teil Infos zu den Potenzialen und Barrieren zur Bürgebeteiligung.
Bürgerbeteiligung in der Praxis
Die Auswahl der richtigen Methoden und Formate ist entscheidend für den Erfolg eines Beteiligungsprozesses. Sie ist jedoch immer abhängig vom Ziel und der Intention des Projekts. Wen will ich erreichen? Was gibt es für einen Entscheidungsrahmen und wo sind die Spielräume? Was sind die Rahmenbedingungen? Wie lade ich die Leute ein und wie gestalte ich die Veranstaltung? Wie sollen Ergebnisse festgehalten werden? Es gibt hier eine ganze Reihe von Überlegungen, die mitgedacht werden müssen.
Ich bin tatsächlich der Meinung, dass man die Methoden immer anpassen muss. Es gibt nicht die eine Methode, die immer gut funktioniert. Manches, was in der einen Situation sehr gut funktioniert, kann in der anderen Situation komplett kontraproduktiv wirken.
– Matthias Schirmer
Exemplarische Formate sind beispielsweise:
- Zufallsauswahl: Zufällig ausgewählte Bürger:innen in Projekten einbezogen (z.B. Aufsuchende Bürgerbeteiligung in Freiburg, Mannheim und Pforzheim)
- Bürgerrat: Moderiertes Verfahren mit kleiner repräsentativen Vorbereitungsgruppe von Bürger:innen (z.B. Bürgerräte in Vorarlberg)
- Aufsuchende Beteiligung: Befragungen, Online-Umfragen, Quartiers Rundgänge, Nachbarschaftstreffen (z.B. Nachbarschaftstreffen Fehmarnbeltquerung)
- World-Café: Austausch in Kleingruppen in entspannter Kaffeehaus-Atmosphäre (z.B. Die Altenessen-Konferenz, Essen)
- Planning for real: Niederschwelliges Planungsverfahren an konkreten Orten (z.B. Stadtparks/Stadtplätzen) (z.B. Beteiligungsaktion KranSand, Wiesbaden)
Praxisbeispiel Koordinierungsstelle “Leipzig weiter denken”
Damit Bürger:innen die Möglichkeit haben, aktiv ihre Gestaltungsspielräume zu nutzen, bedarf es zunächst verschiedener Angebote, um sich zu informieren und einzubringen. An vielen Stellen fehlen jedoch noch Strukturen und Ansprechpartner:innen. In solchen Fällen kann eine Koordinierungsstelle Abhilfe schaffen. Ein herausragendes Beispiel hierfür ist die Koordinierungsstelle "Leipzig weiter denken". Beim Amt für Stadtentwicklung angesiedelt, organisiert und koordiniert sie seit 2014 Beteiligungsprozesse für alle Ämter der Stadt Leipzig und dient gleichzeitig als Anlaufstelle für Bürger:innen.
Ein erfolgreiches Angebot, welches es ermöglichte, effektiv über Beteiligung zu informieren, war die Veranstaltungsreihe "Leipzig mach mit: Wege zur Mitwirkung entdecken". Diese wurde gemeinsam mit der “CivixX - Werkstatt für Zivilgesellschaft" umgesetzt. Hierbei hatten Bürger:innen die Möglichkeit, zu entdecken, wie sie ihre Anliegen zur Beteiligung weiter verfolgen können, welche Fragen sie an wen adressieren können oder wo sie Unterstützung erhalten. Um diese Leute zu erreichen, wurden große begehbare LKW-Planen gestaltet, die in 6 Stadtteilen direkt vor Ort ausgebreitet wurden.
Die Menschen sind automatisch stehen geblieben auf dem Weg zum Einkaufen oder zum Arzt und haben sich das angeschaut. Dann kann man direkt in ein Gespräch kommen, drauf zeigen und schauen, was ist an der Stelle los, was ist hier das Problem, wo sind hier die Chancen.
– Matthias Schirmer
Es ging darum, die Erfahrungen der Menschen zu erfassen. Fragen, die dabei gestellt wurden, waren bspw.: Was würden Sie als Bürgermeister:in machen, wenn Sie einen Tag etwas zu sagen hätten? Welche Beteiligungsmöglichkeiten kennen Sie bereits? Was würden Sie denjenigen raten, die Beteiligungsprozesse in der Stadtverwaltung umsetzen wollen? Zusätzlich fanden Infoveranstaltungen direkt im Stadtbüro statt, bei denen die Ergebnisse der Befragungen präsentiert wurden und Bürger:innen die Möglichkeit hatten, sich noch einmal vertieft zu informieren.
Das eine war die “Geh-Struktur”, wo wir in die Stadtteile gegangen sind und das andere war die “Komm-Struktur", wo wir in die Räume der Stadtverwaltung eingeladen und die Ergebnisse präsentiert haben.
– Matthias Schirmer
Wertvolle Handlungsempfehlungen, die abgeleitet werden konnten, waren unter anderem die Forderung nach einer größeren Offenheit bei den Handelnden in der Verwaltung, aber auch die Notwendigkeit, Initiatoren stärker zu informieren. Mit Projekten wie “Leipzig mach mit”, bei dem Verwaltungsvertreter:innen in einen direkten Dialog mit der Bürgerschaft gehen, ist zudem eine sinnvolle Möglichkeit gegeben, der Verwaltung ein Gesicht zu geben und mehr Verständnis für deren Arbeit hervorzurufen. Dort wo Akzeptanz ist, ist es auch deutlich einfacher, Bürgernähe herzustellen.
Das hilft auf jeden Fall. Direkter Kontakt hilft auch oftmals für das Verständnis für die Zeiträume in denen etwas passiert.
– Matthias Schirmer
Die Koordinationsstelle "Leipzig weiter denken" ist somit ein innovatives Beispiel dafür, wie Bürgerbeteiligung in Kommunen erfolgreich angegangen werden kann.
Wann ist Bürgerbeteiligung nicht sinnvoll?
Klar sollte auch sein: Wenn es keinen oder nur sehr wenig Entscheidungsspielraum gibt, ist es teilweise nicht sinnvoll für Kommunen, auf Bürgerbeteiligung zu setzen. Beispielsweise immer dann, wenn:
- Entscheidungen schon getroffen wurden und es nur noch darum geht, diese zu kommunizieren. Es ist wichtig, von Anfang an den Ermächtigungsspielraum gegenüber den Bürger:innen klarzustellen: “Das ist hier keine Beteiligungsveranstaltung, sondern wir informieren euch nur über das Projekt”.
- Ein zeitliches Problem besteht, weil ein Projekt etwa aufgrund von Finanzierungsfristen schnell umgesetzt werden soll. Auch hier kann Beteiligung eher hinderlich wirken.
Im Vorhinein muss also immer abgewogen werden, inwieweit sich eine Beteiligung tatsächlich für die spezifischen Zwecke der Kommune lohnen würde.
Es hängt ja immer an den Erfahrungen, die die Leute machen. Wenn die Leute die Erfahrung machen, das bringt hier eigentlich nichts, dann kann natürlich der leichte Frust, der eh schon existiert, noch mal verstärkt werden. Insofern kann es in beide Richtungen gehen.
– Matthias Schirmer
Maßstäbe für erfolgreiche Bürgerbeteiligung - Was Kommunen beachten müssen
Trotz der Vielzahl an Möglichkeiten zur kommunalen Beteiligung mangelt es häufig an Wissen über die Umsetzung seitens der Verwaltung. Nicht jede Methode ist für jeden beliebigen Kontext gleichermaßen anwendbar oder geeignet. Es bedarf jedoch immer eines verbindlichen und verlässlichen Gerüsts. Alle Verfahren bringen Vor- und Nachteile mit, daher ist es ratsam, eine Vielzahl an Überlegungen zuzulassen, um anschließend passgenau diejenige auszuwählen, die für das jeweilige Projekt geeignet ist.
Neben strukturellen Entscheidungen der Auswahlmethode (wie spreche ich wen in welcher Weise an?) und die Wahl des passenden Beteiligungsformats (unter welchen Regeln und in welchem Rahmen findet der Dialog statt?) ist auch der Aufbau einer persönlichen Vertrauensbasis von großer Bedeutung. Der Leitgedanke dabei sollte stets sein, vor allem die Entscheidungsqualität an sich zu verbessern.
Von der ersten Idee bis zur Evaluation gibt es für die Initiatoren von Beteiligungsverfahren zahlreiche Aspekte zu bedenken. Für Schirmer sind es vor allem folgende fünf Aspekte, die seiner Meinung nach gute Bürgerbeteiligung ausmachen:
- Methodenflexibilität: Die Methoden und Formate wurden an die jeweiligen Ziele, Rahmenbedingungen und Teilnehmergruppen angepasst.
- Transparenz: Es wurde von Anfang und über den gesamten Prozess hinweg auf einen transparenten Austausch geachtet.
- Erreichbarkeit der Zielgruppen: Es wurden auch alternative Wege für eine Teilnahme gefunden, mit der eine breite Beteiligung sichergestellt werden konnte (indem man z.B. dorthin geht, wo die Leute sowieso schon sind; Bahnhof/Parks).
- Offenheit und Vertrauen: Bei dem Beteiligungs-Vorhaben wurden elementare Grundsätze wie eine offene Haltung, unkonventionelle Denkart sowie Vertrauen in den Prozess eingehalten.
- Einbindung des Stadtrats: Die letzte Entscheidung liegt beim Stadtrat. Dieser wurde von Anfang an informiert und einbezogen, sodass Inhalte entsprechend weiterqualifiziert werden konnten.
Fazit
Der Weg zu einer echten bürgernahen Verwaltung ist offensichtlich mit zahlreichen Herausforderungen gespickt. Angesichts der wachsenden Erwartungen der Bürgerschaft ist es jedoch unerlässlich, diese Hindernisse zu überwinden. Eine breite Bürgerbeteiligung erweist sich dabei als essentielles Hilfsmittel. Die Erkenntnis, dass eine vielfältige Einbindung der Bürger:innen nicht nur eine dienstliche Obliegenheit, sondern auch eine strategische Investition darstellt, konnte in diesem Artikel deutlich werden.
Die Stärkung des sozialen Dialogs oder ein tiefes Verständnis zwischen Verwaltung und Bürgerschaft sind keine bloßen Zugaben, sondern wesentliche Elemente eines funktionierenden Gemeinwesens. Dazu muss die Verwaltung die wertvollen Potenziale von Bürgerbeteiligung erkennen und ausschöpfen. Sie muss ermutigt werden, Beteiligung nicht als lästige Pflicht, sondern als kraftvolles Instrument für ihre eigene Arbeit zu begreifen. Dies eröffnet nicht nur die Möglichkeit zu mehr Vertrauen in das Handeln der Verwaltung, sondern auch die Verwaltung selbst ist dazu in der Lage, stärker bürgernah zu arbeiten.
Wenn die Verwaltung wirklich vermehrt darauf setzt, Beteiligungsprozesse zu organisieren, dann wird das Interesse an der lokalen Entwicklung und dem Gemeinwesen deutlich zunehmen.
– Matthias Schirmer
Dabei ist zu betonen, dass nicht jedes Thema zwangsläufig einer Bürgerbeteiligung bedarf. Vielmehr besteht die Notwendigkeit, dass solche Verfahren vor allem dort zum Einsatz kommen, wo sie eine breite Bevölkerungsschicht betreffen, wo eine Diskussion unabdingbar ist oder wo konkrete Entscheidungen gemeinsam getroffen werden müssen. Es liegt in der Verantwortung der Verwaltung, von Anfang an ein klares Erwartungsmanagement zu betreiben und deutlich zu kommunizieren, dass Beteiligung zwar Einflussnahme ermöglicht, jedoch nicht die eigentliche Entscheidungsgewalt ersetzt.
Gut durchgeführte Bürgerbeteiligung ist folglich nicht nur eine Zuarbeit für die Verwaltung, sondern vor allem eine Chance, das Bewusstsein für die Bedeutung von Bürgernähe und Mitsprache zu stärken. Entscheidungsträger:innen der Verwaltung sollen sich nicht mehr erlauben, die Kraft dieser Bewegung zu ignorieren.
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