Digitales Rathaus - Serie
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Das digitale Rathaus - ein Missverständnis?

Teil 4: Wo findet die Interaktion statt?

In den beiden vorangegangen Beiträgen der Serie haben wir uns mit der Breite des Verwaltungshandelns und den Erwartungen der Stakeholder der öffentlichen Verwaltung auseinandergesetzt. In diesem vierten Teil soll es nun um die Vielschichtigkeit der öffentlichen Verwaltung und ihrer horizontalen und vertikalen Arbeitsbeziehungen gehen.

Wir fokussieren in diesem Blog auf den Begriff des digitalen Rathauses, da dieser sich mit dem Auftauchen der ersten OZG-Fachverfahrens-Seiten der Kommunen in der Diskussion festgesetzt hat - verständlich aufgrund der “Griffigkeit” und imaginären Stärke des Begriffs. Es macht jedoch für die aufgezeigten Ideen und Überlegungen keinen grundsätzlichen Unterschied, ob es sich um ein Rathaus, ein Kreishaus, das Regierungspräsidium oder ein Ministerium handelt: auch hier interagieren unterschiedliche Konstellationen von Anspruchsgruppen in einem vielfältigen Feld von Anwendungsgebieten. Unterschiede bestehen in den Anteilen der jeweiligen Aktivitäten: in einem Ministerium bspw. werden mehr Projekte als Fachverfahren abgewickelt. Im Rathaus einer kleinen Gemeinde ist der Anteil “normaler Bürger” unter den Anspruchgruppen der Verwaltung erheblich größer als in einem Ministerium, welches eben eine Vielzahl anderer Anspruchsgruppen und deren Vertreter bedienen muss.

Das digitale Rathaus - ein Missverständnis?
Digitales Rathaus - Serie

Das digitale Rathaus - ein Missverständnis?

Teil 2: Was passiert eigentlich in einem Rathaus?

Eine ganzheitlicher Digitalisierungsansatz, der alle “Orte des Verwaltungshandelns” umfasst, birgt gewaltiges Potential im Hinblick auf die vertikale Zusammenarbeit im föderalen Mehrebenen-System, so sieht es auch der Normenkontrollrat in seinem Gutachten 2024: “Eine systematische, föderale und ressortübergreifende Zusammenarbeit bereits in der Rechtsetzungsphase ist notwendig, um eine wirtschaftliche, wirksame und nutzendenorientierte Aufgabenwahrnehmung zu ermöglichen.” Feedbackschleifen auf Verwaltungsverfahren, Erarbeitung von Gesetzen, Vorgaben und Ausführungsvorschriften bspw. werden schneller und sachgerechter. Die digitale Transformation der Verwaltung muss also die horizontalen und vertikalen Interaktionsbeziehungen nicht nur berücksichtigen, sondern - um die Potential zu heben - gezielt fördern.

Die “Orte”, an denen Verwaltungshandeln stattfinden, haben aber aus einer weiteren Perspektive Relevanz für Überlegungen zur Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung: In vielen digitalen Anwendungen geht der Kontext der eigenen Handlung verloren, Dinge finden im “luftleeren Raum” statt. Surrogate wie “Kanäle”, “Streams”, “in der Cloud” uvm. wurden - übrigens vollkommen ohne Not - geschaffen, um die abhanden gekommene Örtlichkeit zu ersetzen, lassen aber die Nutzer häufig orientierungslos zurück. Dies mag auf den ersten Blick konstruiert klingen, wären da nicht die Möglichkeiten zur Gestaltung einer intuitive User-Journey, die auch bei digitalen Anwendungen auf Dinge zurückgreift, die wir Menschen uns über Jahrtausende kulturgeschichtlich angeeignet haben. Gebäude und Orte sind zu Synonymen für Handlungen und Zuständen geworden und dadurch intuitiv verständlich: vom “Wartezimmer” über die “Abteilung” bis zur “Chill-Area” - es erfolgt mühelos eine kognitive Zuschreibung.

Das digitale Rathaus im Metaverse?

Dabei wird unter dem etwas unglücklichen Begriff des Metaverse bereits seit langem eine “digitale Version” von Örtlichkeit diskutiert, die für die digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung hoch relevant ist. Nicht so sehr, weil die Möglichkeiten, mit entsprechender technischer Ausrüstung in virtueller Realität einen Workshop oder andere kollaborative Übungen zu veranstalten, einen Effizienz-Boost versprechen. Sondern weil die konstitutitven Eigenschaften des Metaverse Relevanz für die Gestaltung kollaborativer Umfelder besitzen: Persistenz, Synchronizität und Immersion.

Die Persistenz ist eine Eigenschaft, die wir von physischen Gebäuden und Strukturen kennen - sie sind “immer da”, unabhängig von der Nutzung. Das physische Rathaus mit all seinen Abteilungen und Amtsstuben ist da - ganz egal ob ich hingehe oder nicht. Genau das ist in vielen digitalen Systemen, z.B. virtuellen Bürgerbüros, nicht der Fall. Das Erzeugen eines physischen Gebäuden vergleichbaren Persistenzgefühls in digitalen Systemen birgt enormes Potential für die Nutzererfahrung von Verwaltungsmitarbeitenden und deren Kunden und Partnern. Ich kann in “die Abteilung” gehen, anstelle von “in ein anderes Teams Team” oder einen anderen “Kanal” zu wechseln. Kognitiv und damit für die Intuitivität der Nutzung ein großer Unterschied.

Das digitale Rathaus - ein Missverständnis?
Digitales Rathaus - Serie

Das digitale Rathaus - ein Missverständnis?

Teil 3: Wer sind die handelnden Personen?

Synchronizität: Während ich mich in einem persistenten System bewege, tun andere Nutzer dieses zur gleichen Zeit. Im physischen Gebäude kann ich diese Menschen sehen, zufällig auf dem Flur treffen oder einfach nur wahrnehmen - “das Digitalisierungsteam sitzt im Meetingraum und entwickelt neue Ideen”. In digitalen Systemen erschöpft sich die Wahrnehmung Anderer auf terminbasierte Treffen in Videokonferenzsystemen oder kleine Ampelsignal-Pünktchen, die einen Präsenz-Status vermitteln sollen. Digitale Systeme mit “Permanent-Präsenz” haben hier erhebliche Vorteile, da sie ihren Nutzern ein ganz anderes Maß an sozialer und professioneller Einbindung in den Organisationskontext bieten.

Die Kombination aus Persistenz und Synchronizität erlaubt dann eben sehr intuitive, gelernte Verhaltensmuster: ich sehe den Kollegen (Synchronizität) in seinem persönlichen Büro (Persistenz) und klopfe schnell bei ihm an, um etwas zu klären.

Unter “Immersion” wird im Metaverse-Kontext das “kognitive Eintauchen” in Umgebungen (Welten) verstanden. Immersion ist einerseits technologieintensiv (es wird 3D/VR-Ausrüstung benötigt) und andererseits zumindest bislang hauptsächlich im eskapistischen bzw. Gaming-Umfeld wie z.B. 2ndLife erfolgreich (Ausnahmen vor allem im Trainingsumfeld und in der Industrie). Für die digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung besteht hier noch kein breites, relevantes Anwendungsgebiet, auch weil ein entsprechend niederschwelliger Zugang für Bürger nicht gewährleistet werden kann.

Wenn wir also darüber nachdenken, an welchen Orten Verwaltungshandeln stattfindet, geht es zum einem um die Pluralität dieser Orte im föderalen Mehrebenensystem und eben nicht nur ums “Rathaus”. Es geht aber eben auch um die Chancen, die sich für die digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung ergeben, wenn wir digitale Kommunikations- und Kollaborationssysteme nutzen, die den Ort des Handelns digital erleb- bzw. begreifbar machen: auch digitale Orte haben das Potential, die neuen “Lagerfeuer” zu sein, um die wir uns als Menschen immer geschart haben. Das Potential von Orten, in denen wir - Mitarbeitende und Kunden, Menschen - uns intuitiv bewegen und wohl fühlen.

Weiter geht es mit Teil 5 der fünfteiligen Serie am kommenden Donnerstag!