Gehirn
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Hilfe bei Demenz: KI kann mehr als nur niedliche Roboter

Künstliche Intelligenz, Smart Cities, Smarte Häuser: Die alternde Gesellschaft braucht die neuen Technologien dringend als Hilfen gegen den Pflegenotstand

Bei 900 Menschen wird Demenz festgestellt - jeden Tag in Deutschland. Höchste Zeit, das Potenzial von KI in der Pflege kreativ und realistisch auszuloten - und auszuschöpfen. Was neben niedlichen Robotern noch möglich ist, beschreibt Autorin Dr. Anke Knopp.

Aktuell leben rund 1,7 Millionen Menschen mit Demenz in Deutschland. Laut der Deutschen Alzheimer Gesellschaft erkranken etwa 900 Menschen neu an Alzheimer – pro Tag. Im Laufe eines Jahres sind das 300.000 Menschen, die neu mit der Krankheit leben müssen. Und nicht nur sie, sondern auch ihre Angehörigen. Die Zahl der Betroffenen ist also beträchtlich höher.

Mit Demenz beginnt das Eintauchen in eine neue Welt der Ungewissheit - und der Notwendigkeit, sich rasch ein professionelles und wirksames Netzwerk an Hilfe zu organisieren. Warum nicht mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI)?

Demenz, Künstliche Intelligenz, Roboter, Resilienz der Pflegenden, Freiheit, Gesellschaft, Stadtentwicklung - alles ist mit allem vernetzt. Und obwohl der Pflegebedarf riesengroß ist, sind KI-Anwendungen in Pflege und Demenz weitgehend unbekannt, wird deren Hilfe-Potenzial weder umfassend erforscht, geschweige denn auf breiter Basis angewandt. Roboter, Avatare und KI könnten Pflegenden mehr Zeit für menschliche Zuwendung verschaffen. Smarte Lösungen könnten Kranken und Dementen erlauben, so lange wie möglich autonom und selbstbestimmt zu leben.

Ambient Assisted Living und wirklich Smarte Städte

Beispiel: Ambient Assisted Living - zu Deutsch etwa: Alltagstaugliche Assistenzlösungen für ein selbstbestimmtes Leben - unterstützt den Wunsch, auch im hohen Alter oder erkrankt möglichst lange autonom in den eigenen vier Wänden wohnen bleiben zu können. Das mitdenkende Haus übernimmt die Aufgabe der Sicherheit, Selbständigkeit und Notfallbetreuung. Das Licht wird gesteuert, der Herd kann nicht mehr überhitzen, die Heizung ist reguliert, die Rollläden wissen, wann sie rauf und runter müssen. Gleichzeitig erkennt der Fußboden am Gehverhalten, ob jemand strauchelt oder in Ordnung ist. Fällt eine Person zu Boden, erkennt dieser, dass es sich um einen Notfall handelt und alarmiert die Rettung. Sprachassistenten empfehlen am Hauseingang passende Bekleidung für den Gang nach draußen, weil sie den Wetterbericht kennen.

Oder aber wirklich Smarte Städte, die auch die Bedürfnisse der alternden Gesellschaft mitdenken. So könnten Sensoren und Erkennungssysteme im öffentlichen Raum abweichendes Verhalten im Gehen und Sein erkennen, wie beispielsweise die „Hinlauftendenz“ von Menschen mit Demenz, die sich verirrt haben. In einer Smarten Stadt könnte das Auffinden schneller und sicherer erfolgen als bisher. Für die einen ist es Sicherheit, für andere Überwachung. Was aber, wenn die Einsätze immer häufiger werden, Rettungskräfte zu spät eintreffen, das Schlimmste nicht mehr verhindern können?

Roboter in der Pflege

Roboter
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Roboter könnten bei der Betreuung von Pflegebedürftigen und Dementen für Kommunikation sorgen, Sportanleitungen geben oder an die Tabletteneinnahme erinnern – und diese gleich mitbringen. Der Roboter verwaltet vielleicht auch das Alltagswissen des Dementen, wie Namen und Wochentage, während er sich selbst im Netz immer wieder aktualisiert und neues Wissen als Update hochlädt. 

In einigen Pflegeheimen fahren die Roboter schon durch die Flure. Es ist ein Test. Sie sind programmiert auf Kontakt, sie kommunizieren, spielen Memory mit den Bewohnern, singen und unterhalten mit ihren smarten Fähigkeiten. Ihre freundlichen Kulleraugen können aber mehr: sie scannen Gesichter, speichern Krankenakten, dokumentieren tägliche Trinkmengen. Mit zunehmender Forschung am Tastsinn von Robotern erweitern sich auch ihre Einsatzfelder: echte Pflege, wie Waschen und Ankleiden rücken Roboter näher an den Menschen. Auch smarte Dinge sind im Einsatz, die mitdenkende Matratze etwa. Ihre Sensoren messen das Schlafverhalten und melden, wenn jemand nachts unerwünscht das Bett verlässt und wandern geht. Ein Alarm informiert die Pflegekraft, sie kann sich kümmern. KI ist nimmermüde.

Reisen in alte Zeiten, wo Demente sich noch auskennen

In der Praxis wird solchen Lösungen vielfach mit Ängsten begegnet: Entmenschlichung durch emotionslose Technik, Überwachung, Unfreiheit. Das ist verständlich. Aber haben wir angesichts der demographischen Entwicklung und des wachsenden Pflegenotstands überhaupt die Wahl, ob wir technikgestützt alt werden wollen oder nicht?

Kreativ angewendet könnte moderne Technik Dementen angenehme Erlebnisse ermöglichen. Zum Beispiel mit Erinnerungssprüngen mittels Virtual Reality-Brillen. Vorausgesetzt, Stadtarchive und Museen öffnen ihre historischen Aufnahmen für die Visualisierung ins Digitale. So ließen sich virtuelle 360-Grad-Stadtkulissen aus allen Jahrgängen rekonstruieren. Der Blick durch die VR-Brille verschaffte Augenblicke der Erinnerung an alte Zeiten, in denen sich Demente noch auskennen. Zeitreisen durch Augmented Reality - die Stadt Düsseldorf lässt mit "timeshift" gerade eine App erarbeiten, die diese Idee verwirklicht. 

Feldversuche und Diskussionen sind jetzt notwendig

Der Mensch steht in der Digitalisierung im Mittelpunkt, heißt es immer wieder. Bei der Nutzung von KI für die Pflege von Dementen gilt das vierfach: KI soll den Pflegebedürftigen helfen, ihr Leben möglichst lange autonom leben zu können. Zweitens soll KI die Angehörigen entlasten. Drittens profitieren auch professionelle Helfer in den Pflegediensten und Heimen von unterstützenden Arbeiten. Viertens verändert KI die Kommunen, macht sie smarter - und altengerechter.

Wir haben jetzt die Chance, diese Technik rechtzeitig für uns zu kalibrieren. Ethische Fragen stellen sich, soziale Fragen nach Exklusion und Gerechtigkeit sind aufgeworfen. Wir müssen wegkommen vom digitalen Konjunktiv hin zu mehr realer Umsetzung, denn die Probleme sind längst da: Überlastung der Pflegenden, Pflegenotstand, unaufhaltsam steigende Kosten. Jetzt ist die Zeit, Feldversuche zu starten, um praktische Erfahrungen mit dem Einsatz von KI bei der Pflege zu sammeln. Und die Gesellschaft ist gefordert, eine tragfähige, breit akzeptierte Haltung gegenüber dem Einsatz von digitalen Techniken nah am Menschen zu erarbeiten.

© Ibidem Verlag

Dr. Anke Knopp durchlebte in der eigenen Familie gleich zwei Fälle von Demenz und begleitete sie jahrelang. Die realen Erfahrungen mit dem Alltag von Dementen und pflegenden Angehörigen inspirierten sie zu Ideen, wie Pflege und Rehabilitation mithilfe innovativer Technologien verbessert werden könnten. Ausführlich und berührend schreibt sie darüber in ihrem Buch „Als die Demenz bei uns einzog und ich mir einen Roboter wünschte. Innenansichten eines Demenzalltags“.