Die Liste der digitalen Bürgerservices, die zwar umgesetzt, aber nicht von einer signifikanten Zahl von Bürgern genutzt werden, ist lang und es schafft keinen Mehrwert, sie an dieser Stelle aufzulisten. So ist das (kostenfreie) Weißbuch "Whitebook Design digitaler Bürgerservices" aus der Intention „weißer Magie“ entstanden: Es soll dem kommunalen Entscheidungsträger, Praktiker und Beamten helfen, für sich zu entscheiden, wie digitale Bürgerservices gestaltet werden.
Der idealisierte Bürgerservice-Prozess
Das Kernstück des Weißbuches ist der idealisierte Bürgerservice-Prozess: Ein Bürger bringt ein Anliegen an die Verwaltung, ist ab einem gewissen Zeitpunkt gezwungen, sich elektronisch zu identifizieren und zu authentifizieren, bringt sein Anliegen ein – zumeist in Form eines formellen Antrags -, muss ggf. etwas bezahlen; der Antrag wird entweder automatisiert ent- und beschieden oder an einen Sachbearbeiter weitergeleitet, dieser entscheidet und erlässt einen Bescheid der wiederum elektronisch zugestellt werden muss.
Im Weißbuch wurde einerseits dieser Prozess analysiert und seine Umsetzung in allen Facetten wie beispielsweise den mannigfaltigen Möglichkeiten elektronischer Bezahlung beschrieben, andererseits auch Vorgaben der Europäischen Union wie „once only“ und „digital by default“ berücksichtigt. Um das Kernstück herum wird eingangs erläutert, was Digitale Bürgerservices überhaupt sind, was man unter Public Service Design versteht und dann ausführlich auf die Themen IT-Sicherheitsanforderungen, effektive Barrierefreiheit und Nutzenmessung sowie Nutzersupport und Schulungen eingegangen.
Kapitel zu Anforderungen an die IT-Sicherheit Digitaler Bürgerservices
IT-Sicherheit ist ein großes Thema. Wenn man bspw. bei der Stadt München eine Meldebescheinigung beantragt, so genügen
- Beliebige Adressen aus dem Münchner Telefonbuch
- Eine beliebige Bankverbindung, beispielsweise gleich die der Kämmerei der Stadt München
- Ein wenig kriminelle bzw. destruktive Energie
- und sicherheitshalber entweder der Tor-Browser oder ein Proxy-Server in einem Land wie z. B. Nigeria, um die eigene IP-Adresse zu verschleiern,
um ein paar hundert oder tausend Meldebescheinigungen zu beantragen und versenden zu lassen und entsprechend viele Lastschriften á 5 € zu generieren sowie den damit verbundenen Arbeitsaufwand. Die Stadt München haben wir hier zufällig ausgewählt, es gibt leider sehr viele solche digitalen Bürgerservices, bei denen an der Sicherheit bewusst oder unbewusst gespart wurde. Wie man es besser löst, ist im Kapitel 3 „Anforderungen an die IT-Sicherheit Digitaler Bürgerservices“ beschrieben.
Barrierefreiheit bei digitalen Bürgerservices
Kapitel 4 „Vermeidung von Nutzungshindernissen durch effektive Barrierefreiheit“ beschreibt, dass Barrierefreiheit deutlich mehr sein kann und muss als Kontrast- und Schriftgrößenverstellung für Sehschwache. Die Barriere ist nicht nur gegenüber dem Sehbehinderten oder Blinden errichtet, sondern häufig auch gegenüber dem Nutzer von Smartphones, wenn die Webseite bspw. einer Hochschule nicht responsiv ist und der Benutzer auf dem kleinen Smartphonedisplay eine schwer zu lesende und noch schwerer zu bedienende Webseite für einen Desktop sieht. Dass es hier auch gesetzliche Grundlagen gibt, die seit langem eher unbeachtet sind, ist ebenso in diesem Kapitel erläutert.
Nutzerzahlen digitaler Bürgerservices messen
Besonders interessant ist Kapitel 5 „Erfolg durch Nutzenmessung“. Es ist paradoxerweise sehr schwierig, Nutzerzahlen für digitale Bürgerservices zu erfahren. Während Verwaltungen in Österreich oder im Vereinigten Königreich auf Transparenz setzen, sind solche Daten in Deutschland nur schwierig zu erfahren, z. T. erst auf parlamentarische Anfrage hin.
Kapitel 6 „Schulungen und Nutzersupport“ behandelt das wenig beachtete Thema, dass nicht nur die Verwaltungsnutzer, sondern vor allem die Bürgernutzer auch Hilfe brauchen. Während die Deutsche Bahn AG Senioren und anderen Personen in der Bedienung von Fahrkartenautomaten schult, werden Nutzer von Bürgerserviceportalen leider häufig alleingelassen, teilweise existieren nicht einmal Telefon-Hotlines, sondern nur Kontaktformulare, die dann E-Mailverkehr nach sich ziehen.
Beitrag zur Digitalisierung der deutschen Verwaltung
Das Weißbuch umfasst ca. 186 Seiten und beinhaltet auch den „Blick über den Tellerrand“, indem Beispiele aus europäischen Ländern, aber auch anderen OSZE-Ländern beschrieben werden. Ein Beispiel für einen sehr guten digitalen Bürgerservice ist die antragslose Familienbeihilfe in Österreich: Seit Mai 2015 muss bei der Geburt eines Kindes nichts mehr beantragt werden und kein Amtsweg ist mehr notwendig, kein Versenden von Geburtsurkundenabschriften etc., denn gemäß dem hier umgesetzten „Once only“-Prinzip genügt die Anzeige der Geburt durch das Krankenhaus beim Standesamt. Somit haben die Eltern Zeit für ihr Kind und genießen diesen digitalen Bürgerservice.
Wie die Bundeskanzlerin befürchtet und andere behaupten, ist oder droht Deutschland im Bereich der öffentlichen Verwaltung ein digitales Entwicklungsland zu werden. Dem entgegenzutreten und hier einen Beitrag dazu zu leisten, dass die deutsche Verwaltung in Bezug auf digitalisierte Bürgerservices besser wird, ist die Intention dieses Weißbuches, mit dem die Absolventen der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen ihren Beitrag leisten wollen.
Die Autoren
Die Autoren sind Studenten der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg, der Ausbildungsstätte der Beamten des Landes und v.a. der Kommunen Baden-Württembergs. Sie wurden dabei unterstützt und angeleitet von den Herausgebern Ivan Aćimović, von der Abteilung Digitales und IT der Stadt Freiburg im Breisgau, Angela Leikowski vom Amt für Informationstechnik und Digitalisierung der Stadt Karlsruhe, Alexander Maier, IT-Leiter der Stadt Bietigheim-Bissingen sowie Sabine Richter von der Geschäftsstelle Digitale Agenda der Stadt Ulm und Robert Müller-Török vom Vertiefungsbereich „angewandtes e-Government“ der Hochschule Ludwigsburg.