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Digitalisierung als strategische Aufgabe sehen

Interview mit Sabine Schudoma - Präsidentin des Landessozialgerichts Berlin- Brandenburg

Die Digitalisierung ist in allen Lebensbereichen angekommen, auch in der Justiz. Der Justizminister des Bundes, Dr. Marco Buschmann, verspricht mit dem Digitalpakt 200 Mio. Euro an die Justiz zu vergeben, damit eine digitale Transformation gelingt. Jüngste Beispiele sind die Umsetzung der eAkte, Hilfestellung durch die K.I., aber auch Video-Konferenzen der Verhandlungen. Die VdZ-Redaktion traf sich mit Sabine Schudoma, Präsidentin des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg, und sprach über Erfolge in der Vergangenheit und eine erfolgreiche Umsetzung der Digitalisierung in den Gerichten und in der Justiz.

Verwaltung der Zukunft: Frau Schudoma, welche Projekte zur Digitalisierung sind am Landessozialgericht Berlin-Brandenburg gerade aktuell?

Schudoma: Die Digitalisierung von Arbeitsabläufen ist eines der Top-Themen in der Sozialgerichtsbarkeit der Länder Berlin und Brandenburg, dem absolute Priorität zukommt. Schon seit Längerem ist es grundsätzlich möglich, sich elektronisch an alle Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit in Berlin und Brandenburg zu wenden. Zudem können seit Beginn dieses Jahres Behörden, die elektronische Akten führen, diese auch an alle Gerichte in meinem Verantwortungsbereich senden. Wir können diese Akten dann elektronisch verarbeiten, müssen diese aber oft vorher noch aufbereiten. Sie werden sich vorstellen können, dass ein elektronisches Dokument, das nahtlos sämtliche Unterlagen einer Akte mit vielen Hundert oder gar Tausend Seiten enthält, nicht sinnvoll durchgearbeitet werden kann, ohne dass ein Inhaltsverzeichnis vorangestellt oder eine inhaltliche Durchsuchung möglich ist. Gerichte und Behörden befinden sich in einem gewaltigen Umstellungsprozess und wir bemühen uns, die Probleme gemeinsam und mit der notwendigen Geduld zu lösen.

Aktuell führen wir an allen Sozialgerichten in Brandenburg eine neue Hauptfachanwendung ein, EUREKA-Fach.NET. Diese hat sich bereits am Sozialgericht Berlin bewährt. Dadurch können wir alle elektronisch erreichbaren Prozessbeteiligten auch elektronisch anschreiben. Das Landessozialgericht wird diese Anwendung ab dem 1. Dezember 2022 einsetzen. Damit wird dann flächendeckend in der Sozialgerichtsbarkeit beider Bundesländer ein sehr sicherer, nachvollziehbarer und kostengünstiger Kommunikationskanal genutzt werden. Hierbei können nicht nur Portokosten eingespart werden, sondern Ressourcen in vielerlei Hinsicht. Alle Verfahrensbeteiligten, die elektronische Akten führen, wie die meisten Anwaltskanzleien und schon sehr viele Behörden, müssen Gerichtspost nicht erst aufwändig in die dortigen Systeme einscannen. Nicht zuletzt ermöglicht die Digitalisierung hier einen barrierefreien Zugang zu gerichtlichem Rechtsschutz insbesondere für sehbehinderte Menschen. Dies ist gerade für die Sozialgerichtsbarkeit ein besonders wichtiges Anliegen.

Die neue Fachanwendung ist auch Voraussetzung für die Einführung der elektronischen Gerichtsakte, die ab 1. Januar 2026 nach den gesetzlichen Vorgaben zwingend zu nutzen ist. In Vorbereitung auf diese Einführung können wir mit EUREKA-fach.NET bereits wesentliche Funktionen einer elektronischen Gerichtsakte parallel zur bis dahin weiter maßgeblichen Papierakte nutzen, weil es dieses Programm eben auch erlaubt, elektronische Dokumente darzustellen. In Zeiten der Pandemie ist es uns so möglich, das mobile Arbeiten zu fördern. Inzwischen sind alle Richterinnen und Richter mit der entsprechenden Hardware (Notebooks) ausgestattet.

Schließlich haben wir im Laufe der letzten beiden Jahre das Landessozialgericht und alle Sozialgerichte so mit mobiler Technik ausgerüstet, dass auch Verhandlungen als Videokonferenzen möglich sind. Dies ist ebenfalls ein wichtiger Fortschritt bei der Digitalisierung gerichtlicher Tätigkeit, die vom Ministerium der Justiz des Landes Brandenburg und der Senatsverwaltung für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung in Berlin intensiv gefördert wurde.

VdZ: Sie waren zuvor Präsidentin des Sozialgerichts Berlin. Es ist Ihnen damals früh gelungen, zu eigenen innovativen Lösungen für eine Digitalisierung zu gelangen. Wie sah das konkret aus und wie nachhaltig war die von Ihnen geschaffene Veränderung?

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Nichts kann das persönliche Gespräch und den unmittelbaren Eindruck vollständig ersetzen.

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Schudoma: Ein wesentlicher Schritt war es, die Fachanwendung EUREKA-Fach im März 2014 einzuführen. Diese ist besonders innovativ und nutzerfreundlich und wird heute in 14 Bundesländern verwendet. Auf diesem Wege konnte das Sozialgericht Berlin bereits 2019 mit dem initiativen elektronischen Rechtsverkehr beginnen und hat den verpflichtenden elektronischen Rechtsverkehr ab dem 1. Februar 2022 ohne Schwierigkeiten bewältigt. Heute sind die Arbeitsabläufe am Sozialgericht Berlin weitestgehend digitalisiert. Ich freue mich, dass ich diese Vorreiterrolle des Sozialgerichts Berlin seinerzeit anstoßen und begleiten konnte.

VdZ: Brauchen wir eine Digitale Justiz in einer ähnlichen Form wie die digitale Verwaltung, per Cloud, vollständiger Übertragung auf andere Systeme, oder genügt eigentlich die flächendeckende Einführung und Gebräuchlichkeit der eAkte?

Schudoma: Über die reine elektronische Gerichtsakte hinaus besteht bereits jetzt die Möglichkeit, Verhandlungen als Videokonferenz durchzuführen. Auch dies stellt einen wichtigen Aspekt der Digitalisierung gerichtlicher Tätigkeit dar und kann weite Anfahrtswege der Prozessbeteiligten entbehrlich machen. Sinnvoll kann dieses Instrument insbesondere dann sein, wenn es in einem Prozess um reine Rechtsfragen geht und der menschliche Faktor nicht im Vordergrund steht. Dies ändert aber nichts daran, dass Kernbereich richterlicher Tätigkeit weiterhin die Rechtsprechung im unmittelbaren persönlichen Kontakt der Beteiligten bleiben muss. Nichts kann das persönliche Gespräch und den unmittelbaren Eindruck vollständig ersetzen. Jedes Gericht ist vor allem ein sozialer Ort. Die Beteiligten eines Prozesses haben hier die Möglichkeit, miteinander ins Gespräch zu kommen und entwickeln so oftmals gemeinsam mit den Richterinnen und Richtern Lösungen in vermeintlich verfahrenen Situationen. Das geht von Angesicht zu Angesicht oft deutlich besser als über eine Videokamera. In der Rechtsprechung wird die Einführung künstlicher Intelligenz daher auch immer an ihre Grenzen stoßen.

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Es muss einen Raum geben für Erprobung und Entwicklung vor Ort, aber auch für den notwendigen Abgleich und für eine Vereinheitlichung.

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Im Gerichtsprozess geht es meist um sensible Informationen. So befinden sich in den Verfahrensakten in der Sozialgerichtsbarkeit oftmals ärztliche Unterlagen und Gutachten, die höchsten Anforderungen an die Geheimhaltung unterliegen, aber auch Kontoauszüge und andere finanzielle Daten, die gleichfalls den Kernbereich des Lebens der Betroffenen berühren. Ein ganz wichtiger Aspekt bei der Digitalisierung ist daher auch die Gewährleistung von Datensicherheit und Datenschutz. Cloud-Lösungen könnten zwar praktikabel sein, sofern sie etwa zur Akteneinsicht genutzt werden oder der Kommunikation mit gerichtlichen Sachverständigen dienen, müssen aber immer und ohne jegliche Abstriche höchsten Sicherheitsanforderungen genügen.

VdZ: Wo sehen Sie den Hebel für die Digitalisierung der Justiz – bei zentraler strategischer Stelle oder bei den einzelnen Gerichten, in der Vielfalt von Einzellösungen?

Schudoma: Diese Frage betrifft gleich mehrere Aspekte. Ein sehr wichtiger ist natürlich derjenige der Finanzierung. Digitalisierung ist nicht preiswert zu haben und verlangt einen enormen Einsatz von Geldern. Diese Mittel müssen den Gerichten von der Politik zur Verfügung gestellt werden. Insofern bedarf es des Blicks auf die Digitalisierung auch von zentraler Stelle.

Ist die Digitalisierung der Justiz einerseits strategische Aufgabe, so muss die Umsetzung doch dezentral erfolgen. Es muss einen Raum geben für Erprobung und Entwicklung vor Ort, aber auch für den notwendigen Abgleich und für eine Vereinheitlichung. Jede Gerichtsbarkeit hat zudem ihre Eigenarten, die ein unterschiedsloses Vorgehen ausschließen. In der Sozialgerichtsbarkeit gilt der Amtsermittlungsgrundsatz, so dass ganz andere Anforderungen bestehen als in einem Zivilprozess. Zudem sind hier die Spruchkörper anders zusammengesetzt als in anderen Gerichtsbarkeiten. Die Ausstattung der Sitzungssäle muss daher den konkreten Anforderungen entsprechen. Zentrale Steuerung und die Berücksichtigung der spezifischen Situationen vor Ort müssen also immer zusammengeführt werden. Eine gute und stetige Kommunikation zwischen Ministerien und Gerichten halte ich für unverzichtbar. Schließlich ist entscheidend, dass das vorhandene Potenzial, alle Kompetenzen und die auf allen Ebenen vorhandene Kreativität gehoben werden.

VdZ: Frau Schudoma, wenn wir einen Blick in die nächsten Jahre versuchen, was würden Sie als die nächsten drei wesentlichen Schritte in der Digitalisierung der Justiz bezeichnen?

Schudoma:  Nach der Einführung von EUREKA-Fach.NET ist der erste Schritt die Schaffung der Voraussetzungen für die volle Nutzbarkeit der neuen Fachanwendung. Dazu müssen u.a. auch die noch mit schriftlicher Post eingehenden Dokumente in einem sicheren Prozess eingescannt und in die Anwendung eingeführt werden. Damit werden wir nach der

Funktionalität alle wichtigen Prozesse der Arbeit mit der gerichtlichen E-Akte vorwegnehmen können und das Personal schon gut auf die Einführung der elektronischen Gerichtsakte vorbereiten. Zweitens muss dann fristgerecht die elektronische Gerichtsakte eingeführt werden. Drittens halte ich es für wichtig, dass es uns gelingt, die für die Verfahren in der Sozialgerichtsbarkeit als Zeugen und Sachverständige besonders wichtigen Partner in der Ärzteschaft dazu zu bringen, mit uns ebenfalls elektronisch zu kommunizieren. Je mehr Akteure im sozialgerichtlichen Verfahren wir mit ins Boot der Digitalisierung holen können, desto effizienter und letztlich auch bürgerfreundlicher können wir unsere Arbeit gestalten.