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Auf dem Weg zum Mindset für die digitale Transformation

Ein offenes Gespräch über die schleppende Verwaltungsdigitalisierung und einen notwendigen Mentalitätswechsel bei Behörden und Mitarbeitenden

Prosoz sprach mit Prof. Dr. Kristina Lemmer, Professorin für Verwaltungsinformatik an der Hessischen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit. Sie ist eine der Mitautorinnen der Studie „Moderne Arbeitswelten in Kommunen“ im Rahmen des Förderprogramms „Digitale Modellregionen in Nordrhein-Westfalen“. Einer ihrer aktuellen Forschungsschwerpunkte ist die Bedeutung sinnstiftender Arbeit für die digitale Transformation. Im Rahmen des „Digitalen Aufbruchs“ leitete sie u. a. einen Workshop mit dem Titel „Digitales Mindset – Veränderung beginnt in den Köpfen“.

Prosoz: Während unser Alltag immer mehr von digitaler Technik geprägt ist, vergeht kaum ein Tag ohne einen Medienbeitrag darüber, wie weit die deutsche Verwaltung in der Digitalisierung hinterherhinkt. Wie ist das zu erklären?

Prof. Dr. Kristina Lemmer: Ich denke, dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen haben wir ein sehr gutes Verwaltungssystem, das viel für den Bürger leistet. Andererseits bringt dies eine sehr ausgeprägte Bürokratie mit sich. Das hat seine Vor- und Nachteile: angefangen bei einem verlässlichen und breiten Dienstleistungsangebot für die Bürger, über eine Vielzahl relevanter Gesetze, bis hin zu Prozess- und Vorschriftsanpassungen sowie Neuentwickelungen, um eine Bürokratieentlastung zu erzielen.

 

Dr. Kristina Lemmer
Prof. Dr. Kristina Lemmer wurde zum Wintersemester 2023/24 an die Hessische Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit in Kassel berufen und hat dort die Professur für Verwaltungsinformatik inne.
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Die Verwaltung leidet, wie andere Branchen auch, unter dem Fachkräftemangel infolge des demografischen Wandels, was viele Herausforderungen mit sich bringt.

Ein weiterer Grund ist eher psychologisch geprägt. Wir alle sind unseren Gewohnheiten verhaftet. – Das begegnet uns dann als „Das haben wir schon immer so gemacht“. Es fällt schwer, davon abzuweichen und neue Wege zu gehen. Auf Veränderungen muss man sich jedes Mal neu einstellen und das ist oft schmerzhaft. Ich spreche in diesem Zusammenhang auch von einem „Transformation Mindset“, das man sich erarbeiten muss.

Prosoz: Wie schafft man denn die Voraussetzungen, damit Organisation und Mitarbeitende für diese neuen Wege, für digitale Lösungen offener werden?

Prof. Dr. Lemmer: Dies versuchen wir gerade zu erforschen. Momentan führen wir dazu z. B. eine groß angelegte Interviewstudie durch. Eine Erkenntnis daraus ist, dass Neugier bei Veränderungen eine entscheidende Rolle spielt.

Gerade die digitale Transformation ist ja durch Neugierde und spielerische Effekte getrieben. Mit diesem Spielinstinkt kann man arbeiten, z. B. bei Fortbildungen. Viele Verwaltungen haben z. B. Seminare zur IT-Security digital durchgeführt. Dort haben die Mitarbeitenden Ehrgeiz entwickelt und dann gegenseitig ihren Lernfortschritt verglichen.

Dazu kommen persönliche Erfahrungen durch den Einsatz digitaler Technik. Wenn ich mein Arbeitsumfeld anschaue und weiß, dass ich hier etwas optimieren kann, möchte ich das auch umsetzen. Wenn wir ein offenes Ohr dafür entwickeln, individuelle Initiativen würdigen und gezielt unterstützen, schaffen wir ein übergreifendes Transformation Mindset. Dazu gehört auch, dass Führungskräfte Freiheiten einräumen und man sich ggf. auch an gesetzliche Grauzonen herantraut. Das ist ein Punkt, den wir jetzt schon umsetzen können, um dann auch die Digitalisierung voranzubringen.

Prosoz: Das spricht dafür, dass die Mitarbeitenden digitalen Neuerungen gegenüber aufgeschlossen sind. In der deutschen Verwaltung gibt es ca. 5 Mio. Beschäftigte. Es dürfte kaum so sein, dass alle diese Menschen keine digitalen Angebote wie Online-Shops oder Navis nutzen, aber nehmen sie diese Erfahrungen auch in ihren Arbeitsalltag mit?

Prof. Dr. Lemmer: Viele Verwaltungsmitarbeitenden würden das sehr gerne, trauen sich aber vielleicht nicht. Das erfordert Mut und der sollte auch gefördert werden, z. B. durch eine aktive Fehlerkultur. Wir sollten im Kleinen, im unmittelbaren Arbeitsumfeld, ruhig Neues testen. Es wird nicht gleich das ganze System zusammenbrechen, nur weil man einen kleinen Schritt ändert und dabei eventuell einen Fehler macht.

Prosoz: Welche Gestaltungsspielräume können Kommunen bzw. Mitarbeitende nutzen? Gibt es praktische Beispiele, wo man anpacken kann?

Daten optimal nutzen
Daten optimal nutzen
Daten auf kommunaler Ebene

Daten optimal nutzen

Zwischen sozialer Fürsorge und Effizienzstreben

Prof. Dr. Lemmer: Es fängt am eigenen Arbeitsplatz an. Ich kann mir immer die Frage stellen „Was kann ich an meinen Aufgaben, meinen Arbeitsprozessen optimieren?“ oder auch „Was geht mir schon immer auf die Nerven?“ – und darüber kann ich mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen austauschen. Sie werden vermutlich ganz ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Wenn das jeder tut und es über die eigene Abteilung hinausgeht, wird das schnell zu einem Projekt, zu dem ich auch die IT hinzubitten kann. Dann hat man schon viel erreicht und Verbesserungen wirken oft ansteckend.

Prosoz: Es ist aber doch schwierig, als Einzelner eine ganze Organisation anzustecken und Verwaltungen sehen bei derartigen Vorhaben auch immer den Aufwand und die Kosten. Wie machen sich digitale Verbesserungen nicht nur für Einzelne, sondern für ganze Verwaltungen bezahlt?

Prof. Dr. Lemmer: Das ist eine sehr spannende Frage. Ich habe bei den unterschiedlichsten Verwaltungen beobachten können, wie individuelle Verbesserungen institutionalisiert werden können. Solche Konzepte haben viele Namen, z. B. „Digital Influencer“, „Super User Program“, „Lotsenprogramm“ o. ä. Wenn Innovation fachbereichsübergreifend stattfindet, profitiert die gesamte Organisation.

Ich kann das als Organisation bewusst fördern, zum Beispiel indem ich die entsprechenden Mitarbeiter*innen und Stellen aus der alltäglichen Arbeit herausnehme und speziell unterstütze. Der entscheidende Punkt ist Wertschätzung. Wir sehen bei vielen Kolleg*innen eine hohe intrinsische Motivation, weil sie ihre Arbeit als sinnvoll betrachten – für die Bürger*innen, für die Gesellschaft. Diese Erfahrung sinnvoller Arbeit sollte auf Digitalisierungsprojekte übertragen werden. Bestes Beispiel sind hier die Gesundheitsämter während der Corona-Zeit.

Prosoz: Man kann also festhalten, dass Digitalisierungsprojekte sich nicht nur lohnen, sondern die Bedeutung der eigenen Arbeit erfahrbar machen. Oft gibt es aber restriktive Regularien in den Verwaltungen wie z. B. die Schriftform, Unterschriftserfordernisse etc. Wie kann man solche Hürden überwinden, um neue Wege zu gehen?

Erst denken, dann digitalisieren
Erst denken, dann digitalisieren
Kund*innenzentrierung

Erst denken, dann digitalisieren

Wie die Verwaltung Menschen und Digitalisierung gleichermaßen in den Fokus stellen kann

Prof. Dr. Lemmer: Ich finde wichtig, dass wir diese Regularien beachten sollten, denn sie haben ja eine Berechtigung. Allerdings sollen Regularien in erster Linie schützen und nicht verhindern. Wenn ich mich auf den eigentlichen Zweck konzentriere, ändere ich die Perspektive hin zur Nutzerorientierung. Das ist entscheidend, auch um Alternativen zu entwickeln.

Alle Vorschriften und Verfahrensabläufe sind Mittel, um den Verwaltungsauftrag zu erfüllen: und der ist schließlich ein öffentlicher. In diesem Sinne sollten sie auch gestaltet werden. Weder Verwaltungsprozesse noch digitale Techniken sind ein Selbstzweck, sondern dienen letztlich dem Wohle des Bürgers.

Das Interview für Prosoz führte Jens Flasche.