Behördenübergreifendes Arbeiten mithilfe von Blockchain
Wie der Einsatz disruptiver Technologien das Flüchtlingsmanagement verbessern kann
„Wir mussten unter Druck handeln“, erklärt Haris Trtovac, Projektleiter für Blockchain im BAMF. Neue Systeme seien im laufenden Betrieb implementiert werden, es kam zu zahlreichen Fehlern, Mehrfachregistrierungen und Sicherheitsmängeln. Mit dem Kerndatensystem wurde 2016 eine saubere Datenbasis für Zugewanderte geschaffen, welche allen beteiligten Behörden zur Verfügung steht.
Neue Herausforderungen im Flüchtlingsmanagement
Bei Geflüchteten, die vor 2016 registriert wurden, könne es immer noch zu Doppelregistrierungen kommen, führt Holger Busse aus. Er ist seit 2017 als Chef vom Dienst für alle Online-Aktivitäten des Berliner Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) verantwortlich. Als ein weiteres Problem sieht Busse die verschiedenen IT-Strukturen der Verwaltungen. Im Flüchtlingsmanagement fehle es an technischen Voraussetzungen. Nicht einmal jede Behörde nutze das gleiche Textverarbeitungsprogramm.
Wir müssen die zwischenbehördliche Kommunikation verbessern. Neue Technologien sollen Insellösungen ersetzen.
„Wir müssen die zwischenbehördliche Kommunikation verbessern. Neue Technologien sollen Insellösungen ersetzen.“, macht Trtovac klar. „Wir müssen unsere Probleme genau definieren und die technischen Möglichkeiten evaluieren.“ Uwe G. Becking, Leiter der strategischen Geschäftsentwicklung Digitalisierung für die Öffentliche Verwaltung der IBM Deutschland GmbH betont: „Bleibeberechtige stehen in den Prozessen nicht im Mittelpunkt.“
Um trotz dezentraler IT-Infrastruktur zielgruppenorientierte Arbeitsabläufe zu schaffen, will das BAMF zukünftig mit dem Blockchain-Verfahren arbeiten.
Was ist Blockchain?
„Blockchain ist eine Technologie, mit der Informationen verschiedener Stellen innerhalb eines gemeinsamen Geschäftsprozesses in chronologischer Reihenfolge unveränderbar und für alle beteiligten Stellen nachvollziehbar gespeichert werden können“, erörtert Ralph Paul, Client Executive für öffentliche Auftraggeber bei der IBM Deutschland GmbH.
Der IT-Experte fasst Blockchain als dezentrale, unveränderliche Verlaufsdaten zusammen. Damit diese Technologie zum Einsatz kommen kann, ist ein gleicher Informationsraum Grundvoraussetzung. „Blockchain ist keine Technologie für große Datenmengen“, erläutert Trtovac. „Sie kann als eine Art Status genutzt werden.“ Das Verfahren ist eine dezentrale Lösung, es kann unabhängig von vorhandenen IT-Strukturen eingepflegt werden.
Blockchain als Chance im Asylprozess
Blockchain solle die behördenübergreifende Kooperation und Kommunikation erleichtern, so der BAMF-Projektleiter. Die Technologie gewährleiste, dass alle beteiligten Behörden den gleichen Informationsstand teilen.
Das könnte die Zusammenarbeit im Asylprozess begünstigen, den Zeitaufwand verringern und Transparenz zwischen den Behörden schaffen. Mit 580 Ausländerbehörden kommen über zehn verschiedene, nicht kompatible IT-Systeme zusammen. Über die Komplexität des Prozesses hinaus gebe es Medienbrüche, die den Informationsfluss erschweren.
„Viele Akteure müssen an einem Prozess arbeiten. Hier kann Blockchain greifen“, legt Paul dar. Durch die Technologie entstünde ein wahrer, klarer Datenbestand, welche die Behörden zu weiteren Verarbeitung nutzen können.
Unterstützung von Entscheidungsprozessen
„Blockchain ist lediglich eine unterstützende Technologie“, unterstreicht Trtovac.
Blockchain ist lediglich eine unterstützende Technologie. Sie ist kein Ersatz für Fachverfahren oder die Entscheidungsprozesse der Sachbearbeiter.
Sie sei kein Ersatz für Fachverfahren oder die Entscheidungsprozesse der Sachbearbeiter und laufe parallel zum Kerndatensystem. Behördenmitarbeiter können Entscheidungen unabhängig vom Datenbestand der Blockchain treffen.
Die Daten regen lediglich zur Überprüfung der Vorhistorie an. Die Technologie verstärke die Prozesslogik und hilft so ungewollte Divergenzen zu vermeiden. Sämtliche Prozessabweichungen sind innerhalb der Blockchain dokumentiert. Alle beteiligten öffentlichen Einrichtungen verfügen nahezu in Echtzeit über den gleichen Sachstand.
Die Wartezeiten zwischen den Behörden fallen weg, Absprachen können schneller erfolgen, die Verwaltungen arbeiten effizienter.
Verschlüsselung und Datenlöschung
Um das Verfahren nutzen zu können, müsse die Identität der Asylbewerber bereits geklärt sein, so der Blockchain-Experte. Die Technologie kann lediglich Verlaufsdaten verlässlich wiedergeben. Sind Daten einmal im System gespeichert, sind sie nicht mehr löschbar.
Die Einträge in der Blockchain sind über ein Hash-Verfahren verschlüsselt. Um diese zu decodieren, wären nach heutigem Stand mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte notwendig.
Pilot-Projekt mit zentraler Ausländerbehörde Sachsen
Gemeinsam mit der Projektgruppe Wirtschaftsinformatik des Fraunhofer FIT hat das BAMF in diesem Jahr eine Machbarkeitsstudie für den Einsatz von Blockchain für den Asylprozess mit der zentralen Ausländerbehörde Sachsen durchführen lassen, erklärte Franziska Koehler, die als Projektleiterin die Pilotierung auf dem Kongress vorstellte. Welche Sachbestände sollten gespeichert werden? Welche Daten sind für andere Behörden interessant? Welche Prozesslogik benötigt die Blockchain? Die Fachkonzipierung soll bis Ende des Jahres abgeschlossen sein.
Für die Studie wurden keine Echtdaten verwendet, sondern lediglich die Strukturen nachgebaut. Die Behördenmitarbeiter können die Daten einsehen, diese werden aufgrund des Zwischenschritts jedoch nicht übertragen. Mithilfe dieser "Mittelschicht" können auch Löschungen personenbezogener Daten erfolgen. Bis Ende 2019 will das BAMF das Blockchain-Verfahren für das Ankerzentrum Dresden umsetzen, so Koehler. Als langfristiges Ziel soll die Technologie dann auf alle Anker-Zentren übertragen werden.
Mentalitätswandel in den Behörden nötig
„Blockchain ist ein freiwilliger Prozess“, so Ralph Paul. „Für die Verbreitung der Technologie muss ein politischer Prozess folgen.“ Nach Trtovac Auffassung braucht es für dieses Projekt einen „Change of Mind“ und Kompromissbereitschaft in den Behörden.
Prozesse sollen so verändert werden, dass sie funktionieren und sich nicht zu stark an den bisherigen Arbeitsweisen orientieren, fordert Becking. Herrschaftswissen sei das Gegenteil von Digitalisierung. Die Verwaltung müsse hin zu: „Ich weiß was, also bitte kopiert mich“, fordert der IBM-Director.
Man müsse die Strukturen der Verwaltung aufbrechen, erklärte Holger Busse. Die Behörden müssen miteinander verzahnt werden, sowohl auf technischer als auch auf organisatorischer Ebene: „Wenn der Schritt des Mentalitätswandels gemacht ist, kann die Technik vieles leisten.“