Digitale Ombudsperson, LYTT; Sichere und barrierefreie Beschwerdestellen
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Die digitale Ombudsperson

Sichere und barrierefreie Beschwerdestellen, um Fehlverhalten diskret und ohne Angst zu melden / Startup-Gründung

Wem kann ich es vertrauensvoll erzählen? Damit sich Opfer von Diskriminierung am Arbeitsplatz wirklich zu Worte melden, braucht es eine passende Umgebung. Ombuds- und Vertrauenspersonen in Behörden sind oft nur in einem zeitlich begrenzten Rahmen ansprechbar. Mancherorts ist auch Diskretion ein Thema. Für diese Probleme will nun ein Startup-Unternehmen aus Münster Abhilfe schaffen. "Verwaltung der Zukunft" sprach mit den Gründern Lara von Petersdorff-Campen und Marvin Homburg sowie der früheren Leiterin der Antidiskriminierungstselle des Bundes, Christine Lüders.

„Verwaltung der Zukunft“: Wie sind Sie darauf gekommen, ein Unternehmen zu gründen, das sich mit diesem Thema beschäftigt?

von Petersdorff-Campen: Im Rahmen diverser Praktika haben Marvin Homburg und ich sowohl direkt, als auch indirekt Erfahrung mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz gemacht. In einem dieser Praktika hat Marvin Kommunikationswege, über die Betroffene Fehlverhalten an zuständige Ansprechpersonen melden können, analysiert. Hierbei ist uns aufgefallen, dass existierende Meldewege weder ausreichend Diskretion und Neutralität bieten, noch die Bearbeitung der Vorfälle umfangreich und kompetent erfolgt. Das liegt oft daran, dass die berufene Vertrauensperson in anderen, operativen Tätigkeiten eingebunden ist und darüber hinaus keine ausreichenden Schulungen für einschlägige Vorfalltypen durchlaufen hat.

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Uns ist aufgefallen, dass existierende Meldewege weder ausreichend Diskretion und Neutralität bieten, noch die Bearbeitung der Vorfälle umfangreich und kompetent erfolgt.

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Homburg: Ja, so ist unsere gemeinsame Vision für LYTT entstanden. Es geht darum, jeder Arbeitnehmerin und jedem Arbeitnehmer eine Stimme zu geben, um Fehlverhalten diskret und ohne Angst vor Benachteiligung an eine neutrale und kompetente Ansprechperson melden zu können.

VdZ: Aber existiert so etwas nicht schon längst?

v. Petersdorff-Campen: In Deutschland gibt es seit Längerem Ombudsleistungen, welche jedoch über Kanzleien organisiert werden und primär für das Aufdecken arbeitgeberseitiger Vorfalltypen (z.B. Wirtschaftskriminalität) existieren. Darüber hinaus gibt es klassische Whistleblowing Plattformen, die Vorfallmeldungen der Betroffenen an verantwortliche Ansprechpartner anonym weiterleiten. Whistleblowing Plattformen unterstützen Unternehmen zwar in der Aufdeckung des Problems, jedoch nicht in der nachhaltigen Bekämpfung.

Lara von Petersdorff-Campen ist Gründerin und Geschäftsführerin bei Lytt. Der Firmenname kommt aus dem Norwegischen und bedeutet “hören”.
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VdZ: Wie sieht das in anderen Ländern aus, ist dort ein „Outsourcing“ von Ombudspersonen geläufiger?

v. Petersdorff-Campen: Im Rahmen der #MeToo Debatte wurden Unternehmen vermehrt sensibilisiert, Fehlverhalten am Arbeitsplatz zu erkennen und zu bekämpfen. Als Antwort auf die Debatte, existiert seit Anfang des Jahres das Start-Up „All Voices“ in Kalifornien, das Arbeitnehmern die Möglichkeit gibt, auch arbeitnehmerseitige Vorfälle (Belästigung, Diskriminierung, Mobbing) anonym an C-Level Vertreter zu melden. All Voices bietet, neben der Bereitstellung einer anonymen Plattform, jedoch keine Auslagerung der Vertrauensperson an.

Wir sind somit der erste Anbieter, der beides kombiniert: Eine anonyme Beschwerdestelle für arbeitnehmerseitige Vorfälle, die eine vertrauensvolle Beratung durch unabhängige Experten ermöglicht.

VdZ: Haben Sie schon Referenzen im öffentlichen Sektor?

Homburg: Wir haben Lytt erst Anfang September diesen Jahres gegründet. Daher haben wir im öffentlichen Sektor bis dato noch keine Referenzen. Zum aktuellen Zeitpunkt ist unser erster Kunde die Meeressterne GmbH, eine Hotelkette auf Usedom. Wir stehen darüber hinaus mit verschiedenen Unternehmen aus der Industrie, dem Handel und Energiesektor in Gesprächen. Mit Blick auf die ausstehenden Kundengespräche, sind wir positiv gestimmt, dass wir bis Ende des Jahres fünf weitere Kunden akquirieren werden. Darüber hinaus freuen wir uns, dass wir Christine Lüders, die ehemalige Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, für unser Vorhaben begeistern konnten und sie uns operativ und beratend als Senior Partner begleitet. Frau Lüders verfügt über ein breites Netzwerk im öffentlichen Sektor und hat ein umfangreiches Verständnis zu Strukturen in Behörden. In allen juristischen Fragen steht uns und unseren Kunden die internationale Wirtschaftskanzlei Bird & Bird zur Seite.


Nach dem Bundesgleichstellungsgesetzes (BGleiG) ist es so, dass behördliche Institutionen ab 100 Mitarbeitenden dazu verpflichtet sind, eine Gleichstellungsbeauftragte zu stellen.


VdZ:  An welche Organisationen wollen Sie Ihre Leistungen insbesondere richten?

Homburg: Grundsätzlich sehen wir Lytt als industrieübergreifende Lösung, die sich insbesondere bei Organisationen ab einer Größe von 50 Mitarbeitenden eignet. Nach dem Bundesgleichstellungsgesetzes (BGleiG) ist es zudem so, dass behördliche Institutionen ab 100 Mitarbeitenden dazu verpflichtet sind, eine Gleichstellungsbeauftragte zu stellen.

VdZ: Können Sie den Mehrwert Ihrer Leistung z. B. für eine solche Behörde kurz darzustellen?

v. Petersdorff-Campen: Nehmen wir an, eine Mitarbeiterin wurde von ihrem direkten Vorgesetzten aufgrund ihrer Herkunft wiederholt diskriminiert. Anders als bei bisherigen Lösungen wie Kummerkasten, Email oder Telefon – kann sie über Lytt den Missstand anonym an eine neutrale Expertin übermitteln und eine kompetente Beratung erhalten. Auf Wunsch der Betroffenen, kann der Arbeitgeber in den Prozess involviert werden. Abschließend werden die Daten in einem Dashboard aufbereitet und dem Arbeitgeber zur Verfügung gestellt. In diesem Dashboard erfährt der Arbeitgeber weitere, anonymisierte Informationen zu: Vorfalltypen, Häufigkeit, Schweregrad, Zeitpunkt und Kostenersparnis etc.

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Studien zeigen ganz deutlich, dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die unter Fehlverhalten anderer leiden, doppelt so viele Krankheitstage aufweisen und 1,7-mal so wahrscheinlich ihren Arbeitgeber wechseln.

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Marvin Homburg ist Gründer & Geschäftsführer bei Lytt.
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VdZ: Ihre Leistung wird sicherlich nicht kostenlos sein – inwiefern können Kunden im Gegenzug mit finanziellen Kostenersparnissen rechnen? 

Homburg: Studien zeigen ganz deutlich, dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die unter Fehlverhalten anderer leiden, doppelt so viele Krankheitstage aufweisen und 1,7-mal so wahrscheinlich ihren Arbeitgeber wechseln. Eine Studie aus dem Gender & Society Journal zeigt sogar, dass Frauen, die eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erfahren haben, 6,5-mal wahrscheinlicher ihr Unternehmen verlassen. Dazu kommt geminderte Produktivität und Innovationsverlust. Mit Lytt sind Behörden in der Lage, die Folgekosten von Fehlverhalten am Arbeitsplatz signifikant zu reduzieren. Das Ersparnis-Potential bei 1.000 Mitarbeitern liegt bei knapp 500.000 Euro pro Jahr. Ferner steigern wir durch die Implementierung einer unabhängigen Vertrauensperson das Vertrauen der Mitarbeiter in einen sicheren Arbeitsplatz und fördern so die Zufriedenheit und Produktivität.

VdZ: Mit welchen juristischen und bürokratischen Umständen oder Hürden haben Sie in Behörden zu tun, wenn Sie Ihre Leistungen anbieten wollen?

v. Petersdorff-Campen: Datenschutz und Datensicherheit sind unsere höchste Priorität. Darüber hinaus ist es unabdingbar, dass wir unseren Kunden in allen arbeitsrechtlichen Fragen zur Seite stehen. Aus diesem Grund haben wir uns dazu entschieden, Dr. Martin Nebeling, Partner von Bird & Bird, als juristischen Sparringspartner an unserer Seite aufzunehmen. Wir haben uns für diese internationale Wirtschaftskanzlei entschieden, da sie über langjährige Expertise im Bereich Arbeitsrecht und Datenschutzrecht verfügt. Eine bürokratische Hürde seitens Behörden könnte darin liegen, dass diese keine Cloud-Lösungen akzeptieren. In einem solchen Fall können wir unsere Leistung telefonisch anbieten oder unsere serverseitigen Leistungen auf behördliche Server migrieren.

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Eine bürokratische Hürde seitens Behörden könnte darin liegen, dass diese keine Cloud-Lösungen akzeptieren. In einem solchen Fall können wir unsere Leistung telefonisch anbieten oder unsere serverseitigen Leistungen auf behördliche Server migrieren.

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VdZ: Frau Lüders, wie groß ist das Problem von Diskriminierungen am Arbeitsplatz hierzulande?

Lüders: Diskriminierung am Arbeitsplatz ist in der Tat ein nicht zu unterschätzendes Problem. Jede und jeder Dritte in Deutschland hat schon einmal Diskriminierung am Arbeitsplatz erlebt, das belegt eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Jede Form der Benachteiligung am Arbeitsplatz ist auch schlecht für ein Unternehmen, denn  Mitarbeitende, die mit Frust zur Arbeit gehen, werden schneller krank und arbeiten weniger produktiv. Unternehmen mit gutem Arbeitsklima und respektvollem Miteinander werden langfristig die Gewinner sein.

Christine Lüders ist ehemalige Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und Senior Partner bei Lytt.
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VdZ: Sind die bisherigen Instrumente zur Eindämmung und Prävention von Diskriminierungen am Arbeitsplatz ausreichend?

Lüders: In meiner Zeit als Leiterin der Antidiskriminierungsstelle haben wir immer wieder versucht, Unternehmen davon zu überzeugen, dass es wichtig ist, mit vielfältigen Gruppen zu arbeiten und Beschwerdestellen nicht nur deswegen einzurichten, weil der Gesetzgeber dies fordert. Je kompetenter diese Stellen besetzt sind, desto besser können Mitarbeiter, die von Diskriminierung betroffen sind, beraten werden.

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Das Thema muss auf Betriebsversammlungen zur Sprache gebracht werden, die Unternehmensleitung sollte klar machen, dass sie sexuelle Belästigung nicht duldet, sondern sanktioniert.

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VdZ: Inwiefern ist Diskriminierung ein Thema, dem strategisch und über die Führungsebene begegnet werden sollte?

Lüders: Präventiv sollten bestimmte Formen der Diskriminierung auch auf Betriebsversammlungen zum Thema gemacht oder in Fortbildungen angesprochen werden. Nehmen wir beispielsweise das Thema "Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz“, oft ist dies immer noch ein Tabu. Zwar hat #metoo auch in den Unternehmen etwas bewegt, aber es sollte noch deutlich mehr geschehen: Das Thema muss auf Betriebsversammlungen zur Sprache gebracht werden, die Unternehmensleitung sollte klar machen, dass sie sexuelle Belästigung nicht duldet, sondern sanktioniert.

Es ist sinnvoll, externe Ansprechpartner zu engagieren, bei denen sich jeder vertrauensvoll Beratung, Informationen und Hilfe holen kann. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen das Gefühl haben, von ganz oben geschützt zu werden. Ein Klima, das getragen ist von Respekt und gegenseitiger Wertschätzung spiegelt sich ja auch positiv in der Arbeitsleistung wider, alle haben etwas davon. Dazu gehört auch, dass alle wissen, was sexuelle Belästigung eigentlich ist – sie fängt nämlich nicht erst bei körperlicher Gewalt an, wie viele glauben.