Im Herbst 2020 hat der Bund im Rahmen des Konjunkturpaketes ca. 3 Mrd. € für die Verwaltungsdigitalisierung bereitgestellt. Damit hat der Bund den bis zu diesem Zeitpunkt größten Kritikpunkt der Verwaltungsdigitalisierung – nämlich den Mangel an Finanzausstattung – behoben. Warum nehmen die Bürger und die Mitarbeiter in den Verwaltungen aber seitdem dennoch keine beträchtlichen Fortschritte wahr?
Vor der Spurensuche sollten wir klären, was Verwaltungsdigitalisierung eigentlich ist. Digitalisierung ist das Ersetzen von Post und Papier. Es geht also bei Digitalisierung darum, Papier als universellen Datenträger und die Post als etablierte und sichere Transportinfrastruktur durch digitale Formate abzulösen, die von allen Beteiligten – also Verwaltung und Bürgern gleichermaßen – verwendet werden können. Post und Papier waren nie spezifisch für die Verwaltung geschaffen worden, sondern sie hatten sich im Laufe der letzten Jahrhunderte etabliert und werden bzw. wurden in allen Bereichen genutzt, z.B. bei Kunst, Kultur, Handel, Medien, Wirtschaft. An der Schwelle zum digitalen Zeitalter gälte es nun, Papier und Post abzulösen – in einem digitalen Format, das ebenso universell, sicher und einfach genutzt werden kann.
Doch wie wurde die Verwaltungsdigitalisierung bisher vorangetrieben? Leistungen und Leistungsbündel wurden gezählt und beschrieben, Digitalisierungslabore wurden eingesetzt, die sich mit einzelnen Leistungen beschäftigt haben. Einzelne Antragsverfahren wurden entsprechend dem Onlinezugangsgesetz (OZG) so ausgestaltet, dass Bürger Anträge online stellen können.
Verglichen mit dem Ziel und der Aufgabe, der öffentlichen Verwaltung ein digitales Betriebssystem aufzusetzen, haben wir also eher einzelne Anwendungen oder Apps geschaffen. Vor diesem Hintergrund ist es wenig überraschend, dass (noch) kein umfassendes System von digitaler Verwaltung entstanden ist.
Das Problem: Wir haben an den falschen Themen gearbeitet
Viele Herausforderungen in der Politik sind hinlänglich analysiert, werden aber – auch wegen mangelnder öffentlicher Zustimmung – zögerlich angegangen. Es handelt sich um ein Umsetzungs-, nicht um ein Erkenntnisproblem. In Bezug auf die Digitalisierung der Verwaltung könnte das anders sein. Selbstverständlich könnte in den letzten Jahren vieles schneller und besser umgesetzt worden sein, aber wahrscheinlich ist das größere Problem, dass wir bisher an den falschen Themen arbeiten.
Statt eine universelle Infrastruktur für digitale Verwaltung – und damit vielleicht auch universell für die Interaktion der Bürger in der digitalen Zeit – zu schaffen, sammeln wir vielfach schmerzliche Erfahrungen bei der Schaffung von Online-Anträgen für einzelne Leistungen. Wir schaffen einzelne Anwendungen an Stelle des benötigten Betriebssystems für das digitale Zeitalter. Im Augenblick nimmt zusätzlich das Großprojekt Registermodernisierung Fahrt auf. Mit einem zweifelhaften Ansatz wird unter hohem Zeitdruck ein Großprojekt vorangetrieben, das ähnlich erfolgversprechend ist wie der Berliner Flughafen.
Die Lösung: Universelle Standards für Daten und den Transport von Daten
Bisher kümmern sich immer Sonderstrukturen um Digitalisierung. In Behörden gibt es eigene Abteilungen dafür, in Regierungen von Bund und Ländern teilweise eigene Minister und sonst CIOs (Chief Information Officer). Im IT-Planungsrat kommen diese Vertreter von Bund und Ländern zusammen und versuchen im Rahmen der Zusammenarbeit, die Digitalisierung voranzutreiben.
Wenn wir uns auf die Aufgabe besinnen, ein Betriebssystem für die digitale Verwaltung aufzusetzen, drängt sich die Frage auf, ob ein Kooperationsgremium von Bund und Ländern dafür eigentlich geeignet ist. Papier und Post als wesentliche Betriebsmittel der analogen Verwaltung haben wenige rechtliche Regelungen benötigt, da sie verlässlich und etabliert zur Verfügung standen – für die Verwaltung wie für die Wirtschaft. An der Schwelle zum digitalen Zeitalter gibt es noch keine universellen Daten- und Datentransportstandards, die ähnlich universell wie Papier und Post zwischen den Bürgern und zwischen Bürgern und Behörden funktionieren würden.
Eine Bundeszuständigkeit für die digitale Infrastruktur
Für Regelungen ist der Gesetzgeber zuständig, der bisher aber das Problem hat, dass das Grundgesetz als Verfassung das Thema digitale Verwaltung noch gar nicht als Gesetzgebungsmaterie kennt und deshalb auch keine Zuständigkeit für den Bundes- oder Landesgesetzgeber vorsieht. Deshalb bedarf es im ersten Schritt einer eng gefassten Bundeszuständigkeit für die digitale Infrastruktur. Erst auf dieser Grundlage kann der Gesetzgeber überhaupt tätig werden.
Die Änderung des Grundgesetzes – also die Schaffung einer Digitalverfassung – ist ein großer Schritt, der wohlüberlegt getan werden muss. Er ist aber lohnend, da ein digitales Betriebssystem in der öffentlichen Verwaltung in Zukunft genutzt werden kann und muss. Somit wird sich der Aufwand jedenfalls auszahlen.
Entscheidend ist, sich zunächst mit den richtigen Fragen auf der richtigen Ebene zu beschäftigen. Auf der Ebene einzelner Anwendungen werden wir das eigentliche Problem, nämlich das fehlende Betriebssystem, nicht lösen können.
Der zweite Schritt ist die Ausgestaltung einer gesetzlichen Regelung, die eine zeitgemäße digitale Infrastruktur sicherstellt. Dabei wird ganz wesentlich sein, nicht bestimmte Technologien hart zu verdrahten, sondern Organisationsstrukturen und Funktionsweisen zu verankern, die der Verwaltung eine Grundlage dafür verschaffen, das Betriebssystem entsprechend der technischen Entwicklungen laufend anzupassen.