Nachhaltigkeit
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Die Verantwortung des Einkaufs

Ein Plädoyer & Leitfaden für die Verankerung sozialer und ökologischer Kriterien in der öffentlichen Beschaffung

Nun ist moralisierender Belehrungsjournalismus weder zielführend noch unterhaltsam, aber das hohe Beschaffungsvolumen der öffentlichen Hand steht in unmittelbarem Zusammenhang mit systematischer Ausbeutung und Missachtung elementarer Arbeitsrechte entlang globalisierter, komplexer Wertschöpfungsketten von sogenannten sensiblen Produktgruppen (u.a. Textilien, Naturstein, ITK- Hardware). Soziale und ökologische Kriterien werden bisher nicht angemessen bei der Beschaffung berücksichtigt. Unternehmen, die in ihrer Produktions- und Lieferkette gegen soziale und ökologische Mindeststandards verstoßen, haben dadurch oft einen monetären Wettbewerbsvorteil.

Richtlinie der Europäischen Union 2014/24/EU: „Die Mitgliedsstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um dafür zu sorgen, dass die Wirtschaftsteilnehmer bei der Ausführung öffentlicher Aufträge die geltenden umwelt-, sozial- und arbeitsrechtlichen Verpflichtungen einhalten, […] die in den [ILO-Kernarbeitsnormen] festgelegt sind.“)

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung: „Bei der Vergabe werden Aspekte der Qualität und der Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte (…) berücksichtigt.“  §97 GWB

Selbst ILO-Kernarbeitsnorm nur eine Kann-Bestimmung

Bisher gibt es keine verbindlichen Regelungen zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht auf Bundesebene in Form eines Lieferkettengesetzes. Kommunen verfügen je nach Bundesland über unterschiedlich große Spielräume zur Kontrolle der Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen. Bestenfalls wird eine einfache Eigenerklärung der Bieter verlangt, deren Angaben faktisch nicht überprüfbar sind. Spätestens seit der Integration der für die öffentliche Vergabe zentralen Richtlinie der Europäischen Union 2014/24/EU in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung  im Jahr 2016 steht fest: Die Nichtberücksichtigung  von Sozialstandards bei der öffentlichen Beschaffung ist vergabefremd (Kann-Bestimmung).

Aber warum gibt es lediglich eine Kann-Bestimmung zur Kontrolle und Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen? Die Norm umfasst das Verbot von Zwangsarbeit, Kinderarbeit und Diskriminierung sowie das Recht auf Kollektivverhandlungen und Vereinigungsfreiheit. Wünschenswerte Standards wie ein existenzsichernder Lohn oder  bezahlte Überstunden sind durch die ILO-Kernarbeitsnorm nicht abgedeckt.

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Folgen der Verletzungen der Mindeststandards

Während einerseits Vereinbarungen zu Preis, Menge, Lieferzeit und Produktqualität vertraglich durchgesetzt werden, werden andererseits Verhaltenskodizes und die dazugehörigen Audits als außervertragliche Instrumente betrachtet. Die wichtigsten Rechtsvorschriften zur Regelung von Löhnen und Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie stammen teilweise noch aus der Kolonialzeit. Im Durchschnitt liegen die Löhne in Bangladesch in allen Sektoren 50-70 Prozent unter einem existenzsichernden Niveau. Gewerkschaftlicher Zusammenschluss, Krankheit und Schwangerschaft führen zur Kündigung.

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Ein Großteil des in Deutschland verbauten Natursteins stammt aus China. Der mittlerweile größte Naturstein-Exporteur der Welt bezieht sein Rohmaterial sowohl aus eigenen Steinbrüchen, als auch aus Drittländern wie Indien oder der Türkei. Noch immer werden Steine unter menschenrechtsverletzenden Bedingungen abgebaut und weiterverarbeitet. Kinder arbeiten nicht in den Steinbrüchen selbst, sondern um sie herum, z.B. bei der Herstellung von Pflastersteinen für den Export. Kinder arbeiten barfuß, ohne Schutzmaske oder Ohrschutz an Schlagbohrern, die schwerer sind als sie selbst. Kinder, die in den Steinbrüchen aufwachsen, werden im Durchschnitt nicht einmal 30 Jahre alt.

Mit der Förderung sogenannter Konfliktmineralien werden Bürgerkriege, Warlords und Milizen finanziert. Die DR Kongo fördert circa 50 Prozent des weltweiten Kobaltbedarfs, besonders im ländlichen Osten geschieht dies manuell. Die Förderung von Rohstoffen, die bei der Herstellung von Lithium-Ionen Batterien für Laptops, mobile Geräte und elektronische Fahrzeuge benötigt werden, ist von ausbeuterischen Arbeitsbedingungen und Menschenrechtsverletzungen geprägt. Entlang der Produktions- und Lieferketten von IT-Hardware herrschen extrem prekäre Arbeitsbedingungen. Existenzsichernde Löhne werden erst durch Überstunden erreicht, die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit liegt laut Electronics Watch bei 60 Wochenstunden.

Es liegt nicht in der individuellen Verantwortung des einzelnen Beschaffers Produktionsbedingungen selbst zu recherchieren, aber Sie können den gesetzlichen Spielraum zur Forderung von glaubhaften Nachweisen zur Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen maximal nutzen.

Nachhaltige Kriterien im öffentlichen Einkauf berücksichtigen

Das BMZ hat dafür ein Tool entwickelt: den Kompass-Nachhaltigkeit

Die Vorlage eines bestimmten Gütezeichens ist unter Beachtung der Gütezeichenanforderungen für die Nachweiserbringung sozialer und ökologischer Kriterien vergaberechtlich zulässig (§ 34 VgV). Der Kompass-Nachhaltigkeit verfügt über entsprechende Filterfunktionen (unter „Gesetzliche Vorgaben und Empfehlungen„), sodass man leicht Gütezeichen für die jeweilige Produktgruppe findet, die die gesetzlichen Anforderungen auf Bundes- und Landesebene erfüllen. Gleichwertige Gütezeichen sind zwar zu akzeptieren (§ 34 Abs. 4 VgV), die Beweislast für die Gleichwertigkeit liegt jedoch beim Bieter. Verlangt werden darf die Vorlage eines bestimmten Gütezeichens als verbindliches Leistungsmerkmal in der Leistungsbeschreibung sowie in den Zuschlagskriterien und Auftragsausführungsbedingungen. Eigenerklärungen oder Zertifikate, die auf ehrenwörtlicher Basis ohne externe Verifizierung vergeben werden, sind weder vergleichbar noch glaubwürdig.

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Grundsätzlich besteht die Möglichkeit beim Direktkauf Produkte zu kaufen, die nachweislich unter fairen Bedingungen hergestellt sind (Orientierung an Gütezeichen: www.siegelklarheit.de). Bei der Freihändigen Vergabe / Beschränkten Ausschreibung können Firmen zur Angebotsaufforderung angeschrieben werden, die Produkte anbieten, die nachweislich unter fairen Bedingungen hergestellt sind (Orientierung an Gütezeichen). Die nachweisliche Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen können in Ausschreibungen entweder als (1) Auftragsausführungsbedingung, als verbindliche (2) Leistungsmerkmale oder (3) Wertungskriterien/Zuschlagskriterien berücksichtigt werden.

Bei der Beschränkten Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb /Öffentlichen Ausschreibung kann die nachweisliche Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen ebenfalls in der Ausschreibung unter (1) – (3) berücksichtigt werden. Die drei Varianten werden kurz vorgestellt und ausführlich in den Leitfäden im Anhang erläutert:

(1)Soziale Kriterien als Auftragsausführungsbedingung:

Zielführende Maßnahmen sind von Bietern nach der Zuschlagserteilung und während der Vertragslaufzeit durchzuführen.

(2) Soziale Kriterien als Leistungskriterium:

Ergibt die Marktrecherche mithilfe des Kompass-Nachhaltigkeit, dass es viele Anbieter mit glaubwürdigen Produktsiegeln gibt und diese sich an einer Ausschreibung beteiligen wollen, können soziale Kriterien durch die verbindliche Vorgabe eines Gütezeichens (mit dem Vermerk „ oder gleichwertig“) in der Leistungsbeschreibung gefordert werden. Können Bieter diese Gütezeichen nicht vorlegen und verfügen auch über keinen gleichwertigen Nachweis, werden sie vom Verfahren ausgeschlossen.

(3) Wertungs- oder Zuschlagskriterien:

Potentielle Bieter können noch keine glaubwürdigen Gütezeichen für alle erforderlichen Produkte vorlegen oder die Anzahl der potentiellen Bieter ist beschränkt. Durch Berücksichtigung sozialer Kriterien in der Wertung werden positive Anreize für die Einhaltung weiterer Sozialstandards oder der Kontrolle weiterer Produktionsstufen gesetzt.

Leitfäden zur nachhaltigen Beschaffung

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