Die Kommunale Selbstverwaltung ist Fundament politischen Handelns vor Ort. In Art. 28 GG wird den Kommunen garantiert, Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. In der analogen Welt können wir diesen Grundsatz leichter greifen und auch umsetzen. Doch was heißt das für den digitalen Raum?
Hierfür lohnt es sich, den Begriff der Digitalen Souveränität auch abseits seiner Buzzword-Funktion zu betrachten. Im Eckpunktepapier des IT-Planungsrates zur Digitalen Souveränität wird der Begriff beschrieben als „die Fähigkeiten und Möglichkeiten von Individuen und Institutionen, ihre Rolle(n) in der digitalen Welt selbstständig, selbstbestimmt und sicher ausüben zu können“. Das Kompetenzzentrum Öffentliche IT sieht digitale Souveränität „nicht als absoluten Zustand, sondern als eine facettenreiche strategische Autonomie“. Die Gesellschaft für Informatik (GI) nähert sich dem Kern des Begriffes über vier Dimensionen: Technologie, Daten, Governance und Kompetenzen. Insbesondere diese vier Dimensionen eröffnen den Blick in eine Begriffswelt, die sonst häufig nur technologisch betrachtet wird. Doch bei Digitaler Souveränität geht es nicht nur um technologische Anhängigkeiten. Fragen von Selbstbestimmung sind facettenreich und sie betreffen uns alle. Deshalb sollte der Diskurs nicht rein fachlich-technologisch, sondern gesamtgesellschaftlich geführt werden. Wie finden Kommunen sich in den vier genannten Dimensionen wieder?
Technologische Souveränität – es braucht ein übergeordnetes Zielbild
IT ist nicht mehr nur Unterstützung von Verwaltungshandeln, sie ist unverzichtbar. Damit greift technologische Abhängigkeit nicht nur tief ins Handeln ein, sie kann im schlimmsten Fall handlungsunfähig machen. Deshalb sollte die Wechselmöglichkeit bei Systemen gestärkt werden, außerdem braucht es eine stärkere Einflussnahme der öffentlichen Verwaltung auf Anbieter.
Open Source Software ist ein guter Weg, um einen höheren Grad digitaler Unabhängigkeit zu gewinnen. Hier ist vor allem Abstimmung notwendig, damit nicht an vielen Stellen Ähnliches entwickelt wird. Generell wichtig ist das konsequente Einfordern offener Standards und Schnittstellen. Nur durch diese Interoperabilität können verschiedene Systeme miteinander kommunizieren. Für die inter-kommunale Zusammenarbeit, für das Arbeiten der verschiedenen föderalen Ebenen und für die Vernetzung mit weiteren Akteuren ist dies grundlegend. Hilfreich sind hier auch Lösungen, die nachnutzbar sind. Nicht jeder muss für dieselbe Anforderung etwas Eigenes entwickeln. Das „Einer für alle“-Prinzip spart wichtige Ressourcen und Zeit.
In der Summe braucht es weniger eine kleinteilige Auseinandersetzung über Anbieter und Lösungen. Benötigt wird ein übergeordnetes Zielbild. Welche Voraussetzungen muss Technologie erfüllen, um die digitale Souveränität zu gewährleisten? Digitale Souveränität ist kein Zustand, sondern ein Prozess. In diesem Prozess braucht es klare Leitlinien und eine Definition von notwendigen Prinzipien durch Bund, Länder und Kommunen.
Daten sind das Fundament der Stadt der Zukunft
Auf urbanen Datenplattformen sollen Daten verschiedener Akteure vernetzt und damit effektiv genutzt werden können. Hürden bestehen hier häufig nicht nur wegen fehlender Interoperabilität, auch die Frage der Beschaffung kann kompliziert sein. Wie schreibt man ein sich entwickelndes System der Systeme aus? Und wie sichert eine Stadt im Verhältnis zum privaten Anbieter seine Datennutzungs- und Zugangsrechte und damit seine Souveränität? Hier braucht es Handlungshilfen und flexiblere Ausschreibungsmodalitäten.
Fragen der digitalen Selbstbestimmung von Kommunen ergeben sich oft auch im Zusammenspiel zwischen öffentlichen und privaten Akteuren. Insbesondere im Konzern Stadt müssen Daten getauscht werden können, um Leistungen der Daseinsvorsorge möglichst effizient für Bürgerinnen und Bürger zu erbringen. Daten teilen und tauschen zu können, ermöglicht Innovation und schafft Mehrwerte. Dafür braucht es faire Regelungen. Kommunen und ihre Unternehmen müssen Daten teilen können, ohne diese auch privaten Wettbewerbern zur Verfügung stellen zu müssen. Sonst kann es passieren, dass private Anbieter die profitablen Bereiche der Kommunalwirtschaft bespielen, während sich die kommunalen Unternehmen ins Minusgeschäft zurückziehen müssen. Das wäre ein Ausverkauf der kommunalen Daseinsvorsorge.
Technologie verändert Governance
Die zunehmende technologische Durchdringung hat zur Folge, dass Technik immer selbstverständlicher Entscheidungsprozesse in der Kommunalverwaltung unterstützt. Zunehmen wird, dass Entscheidungsprozesse vollständig automatisiert ablaufen. Dies verändert auch Geschäftsprozesse und politisches Handeln. Hierbei gilt es, auch ethische Fragen umfassend zu diskutieren. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz beispielsweise muss innerhalb ethischer Leitlinien erfolgen.
Die zunehmende Nutzung von Daten birgt großes Potenzial für das politische Handeln. Wo macht es Sinn, einen Radweg zu bauen oder wie werden Schulbezirke sinnvoll eingeteilt? Große Datenmengen erleichtern Stadtplanung. Dies wird auch die Art der Steuerung und politischen Entscheidungsfindung in der Stadt ändern. Effektiv kann dies nur passieren, wenn die dafür notwendigen Kompetenzen aufgebaut werden.
Digitale Unabhängigkeit geht nur mit den Menschen
Digitale Unabhängigkeit ist nicht zu erreichen ohne den Menschen. Mitarbeitende in der Kommunalverwaltung müssen neue Technologie nutzen können. Sie müssen sie in Funktionsweise und Wirkung verstehen. Dies ist auch wichtig, um IT-Sicherheit zu gewährleisten. Dafür braucht es eine umfassende Kompetenzvermittlung. Wir brauchen aber auch einen Wandel der Verwaltung selbst: Mehr Unabhängigkeit im digitalen Raum ist auch eine Frage der Einstellung. Wo Prozesse neugestaltet werden, muss man auch Fehler machen dürfen und die Richtung ändern. Kulturwandel ist Teil des Weges zu mehr Digitaler Souveränität.
Es braucht gesamtgesellschaftlich eine bessere digitale Bildung. Diese bezieht sich auch stark auf Medienkompetenz. Soziale Netzwerke verändern, wie wir uns informieren. Soziale Netzwerke sind darauf ausgelegt, das eigene Weltbild zu bestätigen. In der Pandemie ist dies anhand von Verschwörungsideologien besonders deutlich geworden. Aber auch vorher konnten die negativen Auswirkungen auf die Demokratie und den öffentlichen Diskurs beobachtet werden. Es braucht mehr Wissen darüber, wie Informationen verbreitet werden und welche Quellen vertrauenswürdig sind. Nur so kann die Gesellschaft resilienter gegenüber Falschinformationen werden.
Digital souverän sind wir nur gemeinsam
Digital selbstbestimmt zu bleiben oder zu werden ist Daueraufgabe und politischer Handlungsauftrag für Kommunen. Hierbei muss auch die Frage, was Kommunale Selbstverwaltung im Digitalen Raum bedeutet, immer wieder neu beantwortet werden. Beispielsweise wird nicht zwangsläufig durch eine Open Source Lösung mehr digitale Selbstbestimmung hergestellt als durch ein proprietäres (geschlossenes) Produkt. In verschiedenen Kontexten kann eine solche Entscheidung unterschiedlich ausfallen. Entscheidend ist, dass die Kommune das Heft des Handelns in der Hand behält. Das bedeutet auch, dass wir hinterfragen müssen, wie sich Kommunale Selbstverwaltung im digitalen Raum definieren lässt. Ist es wirklich Ausdruck von Digitaler Souveränität, wenn jede Kommune für dasselbe Problem eine eigene Lösung findet? Warum sollte beispielsweise für zentrale Verwaltungsverfahren wie die Beantragung des Personalausweises jede Kommune eine eigene Lösung basteln? Digital selbstbestimmter werden wir eher, wenn wir gemeinsam eine Antwort auf die gleiche Frage finden.
Digitale Souveränität wird nicht hergestellt, indem ein Schalter umgelegt wird. Sie muss fortwährend definiert und aktiv umgesetzt werden und dies in den unterschiedlichsten Bereichen. Es braucht passende technologische Lösungen. Es braucht einen Rechtsrahmen, der klar und übersichtlich ist. Gleichzeitig muss er hinreichend flexibel sein, um vor Ort gestalten zu können. Und wir dürfen die Menschen nicht vergessen: Digital selbstbestimmte Kommunen haben digital souveräne Mitarbeitende, in ihnen leben digital unabhängige Bürgerinnen und Bürger. Es gibt viel zu tun! Diese Mammutaufgabe lässt sich nur gemeinsam lösen. Bund, Länder und Kommunen müssen eng zusammenarbeiten. Wir müssen unsere Netzwerke nutzen und Bürgerinnen und Bürger aktiv beteiligen.