Wie der Staat wieder handlungsfähig wird
Cassini-Experte Wichmann über Reformdruck & Digitalisierung
Verwaltung der Zukunft: Welche Rolle spielte Cassini bei der diesjährigen Umfrage Zukunftspanel Staat & Verwaltung 2025?
David Wichmann: Wir halten die Umfrage für äußerst wichtig – vor allem, weil sie langfristige Entwicklungen sichtbar macht und wertvolle Erkenntnisse für die Digitalisierung der Verwaltung liefert.
Als Hauptpartner haben wir aktiv am Umfragedesign mitgewirkt und konnten unsere Expertise einbringen, insbesondere bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Fragen und der thematischen Fokussierung. Uns war es dabei wichtig, nicht nur eine Momentaufnahme zu schaffen, sondern auch Trends und Veränderungen über die Jahre hinweg abzubilden.
Zudem möchten wir uns herzlich für die hervorragende Zusammenarbeit bedanken, insbesondere bei Prof. Gerhard Hammerschmidt von der Hertie School, der die Studie mit seiner wissenschaftlichen Expertise begleitet hat.
VdZ: Gab es Ergebnisse aus der Umfrage, die Sie besonders überrascht haben?
Wichmann: Die Umfragewerte zur Leistungsfähigkeit des Staates sind alarmierend. Wenn 60 Prozent der Verwaltungsmitarbeitenden angeben, dass der Staat seine Aufgaben nicht mehr erfüllen kann, und 73 Prozent mit den Fortschritten bei der Digitalisierung und Modernisierung unzufrieden oder sogar sehr unzufrieden sind, dann zeigt das einen enormen Handlungsdruck. Diese Ergebnisse sollten als klarer Auftrag an Politik und Verwaltung verstanden werden – sowohl strategische Rahmenbedingungen für die Zukunft zu setzen als auch deren Umsetzung konsequent voranzutreiben.
Überrascht hat mich allerdings, dass aus der internen Verwaltungsperspektive Themen wie Bürgerbeteiligung und Transparenz als vergleichsweise wenig wichtig eingestuft wurden. Gerade mit Blick auf eine stärkere Nutzer- und Serviceorientierung der Verwaltung sind das bedenkliche Zahlen. Eigentlich sollten Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger stärker im Fokus des Verwaltungshandelns stehen.
VdZ: Die Ergebnisse zeigen, dass vor allem Beratungs- und IT-Unternehmen Zweifel an der Leistungsfähigkeit des Staates haben. Wie erklären Sie sich diese Wahrnehmung?
Wichmann: Aus meiner Wahrnehmung könnte ein wesentlicher Grund in der Auftraggeber-Fähigkeit der Verwaltung liegen. Für externe Dienstleister – sei es Beratungs- oder IT-Unternehmen –, die mit der öffentlichen Verwaltung zusammenarbeiten, ist es entscheidend, auf kompetente Ansprechpartner zu treffen. Das bedeutet, dass es innerhalb der Verwaltung Fachkräfte geben muss, die in der Lage sind, externe Dienstleister gezielt zu steuern, klare Ziele zu formulieren und Projekte effizient zu managen.
In der Praxis ist das jedoch nicht immer der Fall. Es gibt in der Verwaltung durchaus Lücken, die geschlossen werden müssen, um diese Steuerungsfähigkeit zu verbessern. Das könnte erklären, warum Beratungs- und IT-Unternehmen in diesem Bereich ein eher durchwachsenes Bild zeichnen.
VdZ: Welche Reformansätze halten Sie für besonders dringlich, um die Handlungsfähigkeit von Staat und Verwaltung zu verbessern?
Wichmann: Die Umfrageergebnisse zeichnen hier ein klares Bild. Drei Punkte sind mir dabei besonders aufgefallen:
Erstens, die Kritik an bestehenden Aufgaben und Strukturen. Auch aus der internen Verwaltungsperspektive wird zunehmend hinterfragt, ob alle Aufgaben in ihrer aktuellen Form noch notwendig sind. Hier braucht es Mut, bestehende Strukturen kritisch zu überprüfen und gezielt zu priorisieren, um Verwaltungsarbeit effizienter zu gestalten.
Zweitens, die Entbürokratisierung. Dieses Thema wird zwar schon lange diskutiert, bleibt aber sowohl intern als auch extern ein drängender Punkt. Regelungen und Verfahren müssen einfacher, verständlicher und wirksamer werden. Es geht nicht darum, Bürokratie um der Bürokratie willen zu schaffen, sondern darum, dass sie einen klaren Mehrwert bietet.
Drittens, die Automatisierung interner Verwaltungsprozesse. Gerade mit Blick auf den demografischen Wandel wird deutlich, dass hier enormes Potenzial liegt. Viele Abläufe sind noch manuell und ressourcenintensiv – durch Automatisierung könnte man hier viel Effizienz gewinnen.
VdZ: Wie sollten diese Reformen umgesetzt werden?
Wichmann: Wir haben gemeinsam mit zwei Partnerunternehmen eine Reform-Roadmap für Deutschland veröffentlicht. Darin schlagen wir einen vierstufigen Reformplan vor, der unabhängig von konkreten politischen Inhalten die Umsetzung von Reformen strukturieren soll.
Die erste Etappe konzentriert sich darauf, den Koalitionsvertrag zu operationalisieren. Das bedeutet, Themen zu bündeln, klare Prioritäten zu setzen und innerhalb dieser Themenfelder messbare Ziele zu definieren. Ein zentraler Punkt ist dabei, von Anfang an klare Verantwortlichkeiten entlang der Ministerien zu schaffen, um Doppelstrukturen und Effizienzverluste zu vermeiden.
In der zweiten Etappe geht es darum, stabile Umsetzungsstrukturen zu etablieren. Hier schlagen wir die Einrichtung eines zentralen Koordinationsteams oder einer Steuerungsgruppe im Bundeskanzleramt vor. Diese würde Ziel- und Leistungsvereinbarungen mit den Ressorts abschließen und deren Umsetzung aktiv begleiten.
Die dritte Etappe widmet sich der Erfolgskontrolle. Sobald Umsetzungsstrukturen geschaffen und Ziele definiert sind, muss regelmäßig evaluiert werden, ob die Maßnahmen den gewünschten Effekt haben. Diese Evaluierung sollte kontinuierlich anhand klarer KPIs erfolgen, um frühzeitig Learnings abzuleiten und nachzusteuern.
In der vierten Etappe liegt der Fokus darauf, die Zusammenarbeit innerhalb der öffentlichen Verwaltung weiterzuentwickeln. Dazu gehören moderne Arbeitsweisen wie ressortübergreifende IT-Plattformen, stärker projektorientiertes Arbeiten sowie eine Öffnung der Verwaltung für Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger aus der Privatwirtschaft. Ziel ist es, die Verwaltungsarbeit insgesamt effizienter, moderner und flexibler zu gestalten.
VdZ: Die öffentliche Verwaltung sieht wenig Potenzial in einem externen Digitalisierungsbeirat, während die Wirtschaft diesen befürwortet. Wie steht Cassini dazu?
Wichmann: Bevor neue Beiräte und Gremien eingerichtet werden, sollte man kritisch hinterfragen, ob sie wirklich notwendig sind. Aus meiner Sicht ist die Zeit der Wimmelbilder vorbei – oder sollte es zumindest sein. Statt immer neue Strukturen zu schaffen, sollten wir darauf hinarbeiten, bestehende Prozesse zu verschlanken und wirklich sinnvolle Strukturen aufzubauen. Ein Beirat darf kein Selbstzweck sein. Selbst wenn externe Expertise hinzugezogen wird, muss klar sein, dass sie zielführend eingesetzt wird.
Grundsätzlich halte ich es aber für wichtig, dass sich die öffentliche Verwaltung stärker für den Austausch mit Wirtschaft und Zivilgesellschaft öffnet. Es geht viel Potenzial verloren, wenn Verwaltung ausschließlich in den eigenen Strukturen denkt und handelt.
Externe Expertise ist zweifellos wertvoll – auch für die Verwaltungsdigitalisierung. Sie sollte jedoch gezielt in die Umsetzung eingebunden werden und punktuell auch bei der strategischen Ausrichtung unterstützen.
VdZ: Welche Diskussionen beim ZuKo-THINKTANK sind Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?
Wichmann: Für mich ist besonders der Dreiklang aus Druck, Priorisierung und Freiraum hängen geblieben, den BVA-Präsidentin Katja Wilken hervorgehoben hat. Er fasst gut zusammen, welche Voraussetzungen für erfolgreiche Reformen notwendig sind.
Erstens: Der Druck zur Veränderung ist eindeutig vorhanden – das zeigen auch die Umfrageergebnisse. Zweitens: Priorisierungen müssen klar definiert und vor allem politisch gesetzt werden. Dafür braucht es entschlossene politische Führung. Drittens: Es muss Freiraum geschaffen werden – unter anderem durch die Reduzierung bürokratischer Hürden, die kritische Überprüfung von Aufgaben in der Praxis und eine stärkere Automatisierung.
Wenn dieses Zusammenspiel gelingt, gibt es eine echte Chance, bei der Modernisierung der Verwaltung entscheidende Fortschritte zu machen.
VdZ: Wenn Sie selbst einen Wunsch an die kommende Bundesregierung richten könnten, welcher wäre das in Bezug auf die Digitalisierung der Verwaltung?
Wichmann: Ich möchte zwei Aspekte nennen. Erstens: Die Verwaltung braucht wie bereits gesagt politische Führung und klare Ziele, auf die sie hinarbeiten kann. Ein Koalitionsvertrag sollte nicht nur Absichtserklärungen enthalten, sondern auch konkrete Wirkungsziele, die Orientierung geben. Gleichzeitig muss es möglich sein, Prioritäten zu setzen – also auch bewusst Dinge nicht zu tun.
Zweitens: Investitionen in die Digitalisierung müssen sich messbar lohnen – für die Verwaltung, für Bürgerinnen und Bürger und für Unternehmen. Dafür braucht es ein wirkungsorientiertes Steuerungsmodell und flexiblere Finanzierungsansätze. Eine Idee wäre ein zentrales Digitalbudget, das über mehrere Jahre angelegt ist und sich an klar definierten Zielzuständen orientiert. Maßnahmen, die nicht auf diese Ziele einzahlen, sollten dann nicht weiter finanziert werden. So könnte man langfristig stabile finanzielle Grundlagen schaffen, anstatt sich immer wieder an kurzfristigen Jahresetats zu orientieren.