Herr Kühn auf dem ZuKo
© Jens Jeske

Dramatische Überlastung in kommunalen Vollzugsbehörden

Leiter des NKR-Sekretariats Hannes Kühn im Interview

Wie kann die Verwaltung leistungsfähiger und resilienter werden? Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) zeigt in seinem neuen Gutachten "Bündelung im Föderalstaat - zeitgemäße Aufgabenorganisation für eine leistungsfähige und resiliente Verwaltung", dass Bündelung ein zentraler Hebel sein kann – auch ohne eine große Staatsreform. Im Interview erklärt Hannes Kühn, welche Aufgaben sofort gebündelt werden könnten und warum Kooperation der Schlüssel ist.

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Verwaltung der Zukunft: Der NKR hat kürzlich das Gutachten "Bündelung im Föderalstaat" veröffentlicht. Können Sie kurz umreißen, um was es hierbei geht und wie das Gutachten zustande kam?

Hannes Kühn: Die Überlastung in den kommunalen Vollzugsbehörden nimmt dramatische Züge an. Durch Fachkräftemangel und Finanzierungslücken wird sich die Lage in den nächsten Jahren noch weiter verschärfen. Der NKR beobachtet die Entwicklung mit großer Sorge. Dabei ist Aufgabenorganisation kein neues Thema: Wir wissen seit langem, dass der Vollzug im Föderalismus viel zu zersplittert ist. Umso bedauerlicher ist es, dass die Gespräche zwischen Bund und Ländern im Zuge der Dresdner Forderungen ins Stocken geraten sind. Das Problem ist, dass es bisher an konkreten Lösungsansätze fehlt. Genau diese Lücke will der NKR mit seinem Gutachten schließen. Wir kommen zu dem Ergebnis, das viele Aufgaben auch ohne eine große Föderalismusreform bereits jetzt gebündelt werden können, um den Staat und seine Leistungen schneller, wirksamer und zuverlässiger zu machen. Anhand konkreter Fallbeispiele werden Bündelungspotenziale analysiert, die auch auf andere Aufgabenbereiche in der öffentlichen Verwaltung übertragbar sind. Bund, Länder und Kommunen sollten sich diese Potenziale zu eigen machen und sich unbedingt zu mehr Bündelung verpflichten. Auf den Bund muss dabei nicht gewartet werden, die Länder und Kommunen können mit gutem Beispiel vorangehen.

VdZ: Das Gutachten schlägt Bündelung als Reformprinzip vor, betont aber, dass dies nicht mit Zentralisierung gleichzusetzen ist. Wo sehen Sie den entscheidenden Unterschied?

Kühn: Bündelung hat gegenüber Zentralisierung den großen Vorteil, mit mehr Flexibilität die größte Effizienzsteigerung zu erreichen. Während die meisten Akteure vielleicht eher argumentieren würden, dass wir einen stärkeren Trennföderalismus brauchen, machen wir den Gegenentwurf und argumentieren, dass wir mehr Kooperation und Flexibilität zulassen müssen. Auf der Suche nach der besten, der effizientesten, der funktionalsten Lösung sollten weniger formale Hürden im Weg stehen. Schließlich weiß jeder: Die Form muss der Funktion folgen, nicht umgekehrt. Der NKR plädiert dafür, Verwaltungsaufgaben einzeln zu betrachten und dort (teil-)zubündeln, wo sie am effizientesten erbracht werden können. Das kann sowohl auf die Bundes-, Landes- und Kommunalebene zutreffen. In dem Gutachten werden drei Bündelungstypen vorgestellt, die auch miteinander kombiniert werden können: räumlich, fachlich und funktional (d.h. querschnittlich).

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VdZ: Welche Verwaltungsbereiche sind aktuell besonders von der Fragmentierung betroffen? Gibt es „Low-Hanging Fruits“, bei denen eine Bündelung schnell und unkompliziert umgesetzt werden könnte?

Kühn: Wir sehen leider, dass die deutsche Verwaltung querbeet von Fragmentierung betroffen ist. Daher spricht sich das Gutachten für Bündelung aus, wo immer das sinnvoll ist. Mit dem Antrag und der Erteilung einer Fahrerlaubnis, der Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen und der Einkommensprüfung liefern wir bereits erste Beispiele für Aufgabenbündelung, die jetzt umsetzbar sind. Aber auch in vielen anderen Bereichen macht sich der NKR bereits seit Jahren für das Thema stark: Ob bei der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes, der Registermodernisierung oder im Sozialleistungsbereich. Dieses Jahr wird der NKR die Ergebnisse eines gemeinsamen Projektes mit dem Statistischen Bundesamt veröffentlichen, in dem Genehmigungsbehörden im Immissionsschutzbereich befragt wurden. Auch hier sehen die Behörden unter anderem in der Bündelung und Spezialisierung großes Potenzial für eine spürbare Verfahrensbeschleunigung.

VdZ: Das Gutachten zeigt auf, dass bereits im aktuellen Rechtsrahmen Bündelungen möglich sind, aber schlägt auch verfassungsrechtliche Änderungen vor. Welche der vorgeschlagenen Änderungen sind aus Ihrer Sicht besonders dringlich? Gibt es hierbei rechtliche Bedenken?

Kühn: Die wichtigste Botschaft ist tatsächlich: Bündelung ist jetzt schon möglich – ohne eine große Staatsreform. Für eine einfache Umsetzung sind vier verfassungsrechtliche Änderungen denkbar: Die Kooperation zwischen Behörden könnte gestärkt, der Begriff „Mischverwaltung“ klarer definiert, dem Bund im Sinne einer Infrastrukturkompetenz die Zuständigkeit für eine Plattformlösung übertragen und mehr Ausprobieren durch eine Verankerung von Experimentierklauseln unterstützt werden. Ein rechtswissenschaftliches Folgegutachten, das der NKR bereits in Auftrag gegeben hat, wird dies genauer unter die Lupe nehmen. Wir sind aber sicher, dass sich mögliche rechtliche Bedenken ausräumen lassen.

VdZ: Was genau ist bei diesem rechtswissenschaftlichen Folgegutachten das Ziel?

Kühn: In Deutschland wird viel zu oft über die Grenzen und was alles nicht möglich ist, geredet. Mit dem Folgegutachten will der NKR so manchen Mythos entkräften und zeigen, was bereits jetzt mit dem Grundgesetz geht. Wir müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen genau abstecken. Denn nur, wenn klar ist, wie der verfassungsrechtliche Rahmen aussieht oder gestaltet werden kann, sind mutige, umfassende politische Entscheidungen möglich. Wir sind überzeugt: Mehr Bündelung stärkt die deutsche Verwaltung, gerade auch auf kommunaler Ebene. Denn wenn vor Ort Ressourcen frei werden, die für Selbstverwaltungsaufgaben genutzt werden können, stärkt das das Subsidiaritätsprinzip.

Der NKR auf dem 11. Zukunftskongress Staat & Verwaltung

🗓️ 23. Juni, 17:15 - 18:30 Uhr
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Prof. Dr. Sabine Kuhlmann vom NKR spricht auf dem 11. Zukunftskongress in der Session "ZuKo Main Stage I.V - Das besondere Gespräch am Abend": Organisationsmodelle der Modernisierung - Innovative Weichenstellungen für schnelle Erfolge und langfristige Staatserneuerung.