Wie bekommt die Verwaltung den Kulturwandel in die Fläche?
Ein Interview mit Klaus Wierwille, Director Government & Public Services bei Deloitte Consulting
Herr Wierwille, im August 2021 haben Sie gemeinsam mit Prof. Hammerschmid und Christian Müller die Ergebnisse des Zukunftspanel 2021 vorgestellt. Mit Blick auf mangelndes Pandemiemanagement und die Hochwasserkatastrophe haben Sie betont, dass die Verwaltung kein Erkenntnis- sondern ein Umsetzungsproblem habe. Woran zeigt sich das Ihrer Meinung nach besonders deutlich?
Klaus Wierwille: Es geht vor allem um zwei Aspekte: Digitalisierung und Personal. Die Pandemie hat deutlich gezeigt, dass die behördliche IT-Infrastruktur zügig weiterentwickelt werden muss. Zudem ist die vorhandene Datenqualität unzureichend und das Thema „Cloud“ wurde bisher zu wenig priorisiert. Hier muss dringend nachjustiert werden. Zum einen kommt es auf eine stabile und zuverlässige Datenbasis an – und dies über die unterschiedlichen Ebenen hinweg. Zum anderem spielt das Thema Datensicherheit eine zentrale Rolle. Ein Beispiel: Wie lassen sich vorhandene Daten absichern, damit sie nicht verlorengehen und vor unberechtigtem Zugriff geschützt sind?
Digitalisierung ist jedoch viel mehr als IT-Infrastruktur, Technik und Prozesse. Wir müssen den Menschen ermöglichen, ihre Kompetenzen zu erweitern. Schulungen und Trainings machen mit dem Themenfeld Digitale Transformation vertraut und vermitteln das notwendige Know-how. Dies betrifft Digital- und Umsetzungskompetenzen genauso wie Projekt- und Risikomanagement.
Hinzu kommt: Die neue Arbeitswelt ist flexibler und vernetzter. Ortsunabhängig zu arbeiten wird in Zukunft selbstverständlich sein. Daher besteht für die öffentliche Verwaltung eine wichtige Aufgabe darin, die Voraussetzungen für das Arbeiten im Homeoffice weiterzuentwickeln und für alle Beschäftigten möglich zu machen. Damit all dies gelingt, sollten Kompetenzen organisatorisch und über die Bundes-, Landes- und Kommunalebenen hinweg gebündelt und Abläufe entsprechend angepasst werden.
Das Zukunftspanel stellte unter anderem die Frage nach Ansätzen zur Modernisierung von Behörden. 40 Prozent der Befragten Führungskräfte gaben an, dass sie die Digitalisierung interner Verfahren und Entscheidungsprozesse am wichtigsten erachten. Reicht das? Oder braucht es auch einen Mentalitätswandel?
Beides geht Hand in Hand. Interne Verfahren und Entscheidungsprozesse lassen sich erfolgreich digitalisieren, wenn sie von den Beteiligten befürwortet, mitgetragen und unterstützt werden. Der nachhaltige Erfolg steht und fällt mit der Akzeptanz der Nutzer:innen. Dass flexiblere und agilere Arbeitsweisen darauf einzahlen, ist den meisten beteiligten Akteuren bewusst. Nun stehen sie vor der Herausforderung, organisatorische, personalwirtschaftliche und rechtliche Strukturen, die sich über Jahre und Jahrzehnte herausgebildet haben, neu auszurichten.
Daraus resultierende Komplexitäten und Beharrungskräfte sind Gründe, warum sich der Wandel in der öffentlichen Verwaltung langsamer vollzieht als in der Privatwirtschaft. Wichtig für die Transformation ist nicht zuletzt die weitere Modernisierung des öffentlichen Dienst- und Tarifrechts. Dazu gehören beispielsweise Fragen zum Beurteilungs- und Beförderungsmodus, zu Personalentwicklung und Laufbahnvereinfachungen. Fortschritte in diesen Bereichen können dazu beitragen, die Strukturen der öffentlichen Verwaltung aller staatlichen und kommunalen Ebenen weiter zu flexibilisieren. Damit steigt auch der Nutzen für Staat und Gesellschaft.
Wie könnte ein Mentalitäts- und Kulturwandel aussehen? Welche Aspekte gehören dazu?
Ein Kulturwandel geschieht nicht ad hoc von heute auf morgen. Wenn vorhandene Ansätze weiterentwickelt, Verhaltensmuster verändert und Prozesse neu gestaltet werden, sind die Planungszeiträume länger. Auf diesem Weg gilt es zudem, die Mitarbeiter:innen mitzunehmen und die Transformation mit Mut und Zuversicht gemeinsam anzupacken.
Dies setzt zunächst zwei Dinge voraus: transparente Kommunikation und die Möglichkeit mitzugestalten. Dabei kommt den Führungskräften eine entscheidende Rolle zu: Beziehen Sie die Mitarbeiter:innen mit ein, geben sie ihnen Orientierung und Freiräume, kommunizieren sie wirksam? Auch werden politische Entscheider:innen und Mandatsträger:innen gefragt sein, wenn es darum geht, wie sie in Zukunft das „Warum?“ und „Wie?“ des Wandels erklären und verdeutlichen wollen. Schließlich ist ein weiterer Aspekt wichtig: die unmittelbare Unterstützung für die Mitarbeiter:innen. Schulungen und praktische Trainings helfen ihnen, ihre Kompetenzen kontinuierlich auszubauen. Moderne Lernkonzepte setzen dabei auf Multiplikatoren und binden erfahrene Mitarbeiter:innen mit ein. Je nach Bedarf kann auch externe Expertise hinzugezogen werden.
Punktuell wird ein Kulturwandel schon umgesetzt – wie bekommt man ihn, ähnlich wie die OZG-Leistungen, in die Fläche?
Was nicht vergessen werden darf: Nachgelagerte, kleinere Behörden und vor allem Kommunen sind diejenigen öffentlichen Institutionen, mit denen Bürger:innen am ehesten direkt in Kontakt kommen. Gezielte Unterstützung hier wirkt sich unmittelbar auf die Erfahrung der Bürger:innen aus. Deswegen entscheidet sich der Erfolg des Onlinezugangsgesetzes (OZG) vor allem in den Städten und Gemeinden unseres Landes.
Für die tägliche Arbeit sind realistisch umsetzbare Pilotierungsmöglichkeiten die Basis. Sie bauen auf Best Practices auf und beziehen alle Beteiligten von den Führungskräften bis zu den Mitarbeiter:innen mit ein. Hinzu kommen Bewilligungen ausreichender Haushaltsbudgets, die zweckgebunden ohne großen Aufwand abgerufen werden können, und ein professionelles Veränderungsmanagement. Damit ein Kulturwandel gelingt, müssen auch vorhandene Anreizsysteme entschlossen weiterentwickelt und um weitere Incentivierungen ergänzt werden.
Herr Wierwille, vielen Dank für das Gespräch.