Innovationen für und mit den Kunden
Mehrstufige Digitalisierungsstrategie: Die Stadtwerke Osnabrück zeigen im Kleinen, wie Kundenorientierung, Technisierung und Datenschutz zusammengehen kann
Wir orientieren uns nicht an der Herkunft der Anbieter, sondern am Nutzerverhalten unserer Kunden.
Die Stadtwerke Osnabrück haben 2016 eine mehrstufige Digitalisierungsstrategie beschlossen. Während der ersten „analogen“ Phase, hat das kommunale Unternehmen seine Tarife zielgruppenspezifischer ausgerichtet, um damit attraktiver zu werden, etwa für Senioren und Familien. Im Mittelpunkt der aktuellen zweiten Stufe stehen nun das Handy-Ticket sowie ein zentrales Mobilitätsportal. Im Zusammenspiel sollen diese beiden Komponenten dem Kunden ein voll integriertes und übergreifendes System bieten, in dem alle öffentlich angebotenen Verkehrsmittel erreichbar und bezahlbar sind.
Interessantes Modell einer Verkehrsgemeinschaft
Zum ÖPNV gehören in der Friedensstadt in erster Linie Busse. Mit der Verkehrsgemeinschaft Osnabrück (VOS) besitzt die Region ein bundesweit recht einmaliges Modell, das die Anbindung zwischen Stadt und Umland so synergetisch wie irgend möglich garantiert. In der VOS treten zehn eigenständige Verkehrsunternehmen dem Kunden gegenüber wie ein einzige Gesellschaft auf – das schließt u. a. Fahrzeug- und Produktdesign sowie Fahrgastinformationen ein. Alle Entscheidungen erfolgen im Konsens und die betriebliche Kooperation unabhängig von Konzessionen und Einnahmen. Die Stadtwerke bieten neben Bussen auch Car- und Bike-Sharing sowie öffentliches Parken.
GooglePay, AmazonPay und Paydirekt in Planung, ApplePay umgesetzt
Das Handy-Ticket umfasst das gesamte Produktsortiment, vom digitalen Kurzstrecken- bis zum Monatsticket. Neben den klassischen Zahlkanälen Sepa und Kreditkarte sind auch die stark nachgefragten Zahlarten Paypal und Apple Pay verfügbar. Weitere Zahlkanäle wie Google Pay, Amazon Pay und Paydirekt sind aktuell in Planung, erklärt Werner Linnenbrink, Geschäftsbereichsleiter für das Mobilitätsangebot der Stadtwerke Osnabrück. „Wir orientieren uns nicht an der Herkunft der Anbieter, sondern am Nutzerverhalten unserer Kunden.“
Mit „Single-Sign-On" und persönlichem Profil
Zusätzlich wird künftig ein web-basiertes Mobilitätsportal den Fahrgästen einen Zugang zu allen erhältlichen Angeboten schaffen. Nach der Registrierung kann man sich mit persönlichem Profil durch ein "Single-Sign-On" für einzelne Dienste online freischalten lassen. Die Buchung erfolgt über die Mobilitäts-App VOSpilot oder alternativ in den jeweiligen Buchungsportalen der beteiligten Mobilitätsanbieter.
Beides zusammen – Handy-Ticket und Portal – ermöglicht es, Mobilität „intermodal“ zu nutzen, digital zu buchen und abzurechnen.
Multimodalität funktioniert durch abgestimmte Dienste
Beides zusammen – Handy-Ticket und Portal – ermöglicht es, Mobilität „intermodal“ zu nutzen, digital zu buchen und abzurechnen. Zum Beispiel: Ein Pendler fährt mit dem Fahrzeug in eines der öffentlichen Parkhäuser der Stadt. Danach steigt er um, nutzt ein Leihrad der Stadtwerke, um die "letzte Meile" bis zum Arbeitsplatz zu bewältigen. Am Monatsende erstellt das Vertriebshintergrundsystem eine Gesamtrechnung. Multimodalität funktioniert durch abgestimmte Dienste – und immer stärker über Automatisierung und Vernetzung. Das zeigt auch ein weiteres Beispiel: „Check-in/Be-out“ (CiBo).
Wir nutzen einen technischen Dreiklang aus GPS-Ortung, Beacon- und Motion-Technologie. Alle drei Komponenten stellen im Zusammenspiel sicher, dass die Fahrten des Kunden richtig erkannt und an die Hintergrund-komponenten übergeben werden.
„Prüffähige Fahrtberechtigung“ statt starres Ticket
Beim Einstieg in den Bus nutzt ein spontaner Fahrgast die App auf seinem im System registrierten Smartphone und checkt mit einem „Wisch“ oder „Klick´“ ein. Anstatt eines Tickets erwirbt der Kunde dadurch eine „prüffähige Fahrtberechtigung“. Die Ticketprodukte werden erst nachgelagert generiert und als Information in der App angezeigt. Den Ausstieg oder einem Umstieg etwa in einen weiteren Bus registriert das System automatisch. „Dafür nutzen wir einen technischen Dreiklang aus GPS-Ortung, Beacon- und Motion-Technologie“, so der 54-Jährige. „Alle drei Komponenten stellen im Zusammenspiel sicher, dass die Fahrten des Kunden richtig erkannt und an die Hintergrundkomponenten übergeben werden.“ Das Handy kann dabei in der Hosentasche bleiben.
Bestpreis-Garantie mit „Check-in-/Be-out“
Und die Abrechnung? Nach einer Woche werden die Daten dieses individuellen ÖPNV-Nutzerverhaltens über alle Verkehrsmittel hinweg aggregiert. Die Abrechnung erfolgt anschließend über einen monatlichen SEPA-Einzug. Das System unterbreitet ggf. auch einen Vorschlag für eine Zeitkarte mit „Bestpreis-Garantie“: Check-in-/Be-out kann damit künftig die Entscheidung über die optimale Ticketwahl im Gelegenheitsverkehr treffen. „Der Kunde erhält hierdurch zukünftig die höchstmögliche Flexibilität und Sicherheit, dass er schnell und einfach immer mit dem günstigsten Preis unterwegs ist“, erklärt Linnenbrink. „Mit der Einführung des CiBo-Systems werden sich zudem zeitversetzt die Verkaufs- und somit Standzeiten der Busse an den Haltestellen deutlich reduzieren, der Zugang zum ÖPNV verbessert und bestehende Hemmschwellen abgebaut.“ Die Testphase läuft.
Man darf die Leute aber auch nicht überfordern und alles gleichzeitig wollen.
Mehrstufige Erprobungsverfahren bis zum Neukunden
Diesen Tests durch den Fachbereich Mobilitätsangebot schließt sich eine Eignungsprüfung unter den Stadtwerke-Mitarbeitern an. In der dritten Testphase wird das Feld dann um aktive ÖPNV-Kunden erweitert, bevor in der vierten Phase auch interessierte Neukunden in die Pilotierung einbezogen werden. „Erst wenn alle vier Phasen positiv abgeschlossen werden konnten, wird das Gesamtsystem in den Kundenwirkbetrieb übernommen.“ Und ohne eine Zustimmung des Kunden zur Erhebung dieser Daten ist die Teilnahme am Check-in/Be-out-Verfahren für den Kunden nicht möglich.
Durch die aktive Handlung des Kunden vor Fahrtantritt (Check-in) behält der Kunde die Kontrolle über das System und gewinnt so Vertrauen in die neue Technologie.
Zu früh für gänzlich automatisierten Vorgang
Akzeptanz und Vertrauen müsse bei einem völlig neuartigen System im Mittelpunkt stehen. „Durch die aktive Handlung des Kunden vor Fahrtantritt (Check-in) behält der Kunde die Kontrolle über das System und gewinnt so Vertrauen in die neue Technologie.“ Zudem gibt das aktive Check-in dem Kunden Transparenz darüber, ab welchem Zeitpunkt das Verkehrsunternehmen ein temporäres Bewegungsprofil des Kunden generiert. Ein gänzlich automatisierter Vorgang „Be-in/Be-out“ (BiBo) sei zumindest für ein offenes ÖPNV-System wie in Osnabrück derzeit technisch noch nicht ausgereift, so Linnenbrink. „Das System muss verlässlich ermitteln können, ob der Kunde sich tatsächlich im Bus befindet oder aber neben dem Bus auf dem Linienweg mit dem Fahrrad unterwegs ist.“
Kleine Großstadt, gut zu pilotieren
Warum kann ein mittelgroßes Stadtwerk so weit vorne mitspielen in der Digitalisierung? „Wir haben eine gute Ausgangsposition, sind weder zu groß noch zu klein und können viele Neuerungen schnell auf die Straße bringen.“ Pilotieren dauert einfach nicht so lange und funktioniert besser in übersichtlichen Systemen. Zwar sind die zu erwartenden Skaleneffekte nicht so groß, dafür verläuft die Abstimmung im Voraus weitaus einfacher.
Das System muss verlässlich ermitteln können, ob der Kunde sich tatsächlich im Bus befindet oder aber neben dem Bus auf dem Linienweg mit dem Fahrrad unterwegs ist.
Gerade im Verkehrsbereich sind Daten Gold wert bzw. dienen als Grundlage für individuellen Kundenservice und qualitativ hochwertigere Angebote. „Hier sind wir sehr gut aufgestellt, weil wir unsere Daten eigenständig erheben und auf niemanden angewiesen sind“, so Linnenbrink. „Das gilt bis hin zu unserer eigenen Carsharing-Flotte und künftigen Tests autonomer Fahrzeuge, die das Angebot des ÖPNV ganz bewusst ergänzen sollen, um z. B. am Stadtrand Lücken zu schließen.“
Wir sind sehr gut aufgestellt, weil wir unsere Daten eigenständig erheben und auf niemanden angewiesen sind.
Viele Parallelen zu Portalverbund und OZG
Im Grunde ähnlich dem Osnabrücker Mobilitätsportal soll das „Bürgerkonto“ im Rahmen, den Bund und Länder derzeit zusammen entwickeln. Das Onlinezugangsgesetz (OZG) schreibt dafür vor, dass Bund, Länder und Kommunen bis Ende 2022 ein zentrales Portal schaffen, an dem alle anderen Plattformen der öffentlichen Hand angebunden sind. Ziel ist es, dass der Bürger – egal, wo er sich anmeldet – auf die richtige Website der richtigen, also zuständigen Behörde und Gebietskörperschaft gelotst wird. In knapp vier Jahren sind so 575 Verwaltungsleistungen online zugänglich zu machen. Die Bürgerkonten von Bund und Ländern sollen ebenso Funktionen erhalten, mit denen Entgelte etwa für Führerscheine und die Anmeldung des Hundes elektronisch abgewickelt werden.
Die Bürgerkonten von Bund und Ländern sollen ebenso Funktionen erhalten, mit denen Entgelte etwa für Führerscheine und die Anmeldung des Hundes elektronisch abgewickelt werden.
Hub Chain-Projekt und Bundesförderung
Auch die Stadtwerke arbeiten nicht allein. Neben der oben beschriebenen Verkehrsgemeinschaft Osnabrück (VOS) ist das kommunale Unternehmen seit Anfang 2018 Konsortialführer eines „Hub Chain-Projektes“, das vom Bundeswirtschaftsministerium mit drei Millionen Euro unterstützt wird. Im Zentrum des dreijährigen Projektes steht die zentrale Mobilitätsplattform, auf deren Basis langfristig geplant ist, ein linien- und fahrplanunabhängiges „On-Demand-Angebot“ hervorzubringen. In anderen Worten: die bislang taktgebundenen Fahrpläne sollen durch flexible Fahrdienste ergänzt werden.
"ÖPNV-Lücken" am Stadtrand wollen die Stadtwerke durch On-Demand-Angebote und später auch autonome Fahrzeuge schließen.
Starke Partner aus der Wirtschaft
Ein Mitglied der Hub Chain und zentraler Partner bei der Entwicklung von Mobilitätsportal und Kunden-Services ist die HaCon Ingenieurgesellschaft. Die Siemens-Tochter aus Hannover hatte sich 2017 als Generalunternehmerin bei einer EU-weiten Ausschreibung der Stadtwerke für eine Entwicklungspartnerschaft durchgesetzt. In vielen Metropolen und auch bei der Deutschen Bahn sind die intelligenten Mobilitätsysteme des Unternehmens im Einsatz. Weiterhin werden die Stadtwerke bei der technischen Umsetzung federführend unterstützt von den beiden Systemhäusern highQ Computerlösung GmbH aus Freiburg und eos.uptrade GmbH aus Hamburg.