klimaneutral nachhaltig
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Nachhaltig klimaneutral? Der Staat als Vorbild

Interview mit Dr. Burkhard Huckestein (UBA)

Die EU möchte bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent sein. Deutschland will das Ziel „Klimaneutralität“ schon 2045 erreichen. Die öffentliche Hand soll dabei eine Vorbildfunktion einnehmen. Was das für die Verwaltung bedeutet und wie sie damit einen wirksamen und effizienten Klimaschutz auch außerhalb der Verwaltung fördert, darüber sprach VdZ mit Dr. Burkhard Huckestein vom Umweltbundesamt.

Verwaltung der Zukunft: Herr Dr. Huckestein, welche Funktionen hat der Staat und wie kann er damit seine Klimaziele erreichen?

Huckestein: Dem Staat kommen in erster Linie die „klassischen“ Funktionen der Gestaltung des Rechtsrahmens und dessen Vollzug zu. Daneben gibt es aber auch eine Vorbildfunktion. Deren Grundmaxime ist: Der Staat handelt in seinen Institutionen so, wie er es von seinen Bürgerinnen und Bürgern erwartet. Dieser Vorbildfunktion ist ein eigener Abschnitt im Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) gewidmet, sie ist nicht mehr nur Kür, sondern Pflicht. Obwohl es also eine gesetzliche Verpflichtung gibt, nehmen die Akteure in der Politik und in der Verwaltung diese Vorbildfunktion nach wie vor nicht ernst und gestalten sie daher nicht angemessen. Sie erkennen ihre Bedeutung noch nicht. 

VdZ: Worin liegt denn die Bedeutung der Vorbildfunktion? 

Huckestein: § 13 KSG verpflichtet die Träger öffentlicher Aufgaben, bei ihren Planungen und Entscheidungen den Klimaschutz und die zu seiner Erfüllung festgelegten Ziele zu berücksichtigen. Frei übersetzt bedeutet das, dass der Staat sich in seinen Institutionen so verhalten muss, wie er es von den Bürgerinnen und Bürgern sowie den Unternehmen verlangt, damit Deutschland bis 2045 klimaneutral werden kann. Dazu gehört, dass sich die gesamte öffentliche Verwaltung ganz selbstverständlich klimafreundlich verhält. 

Huckestein
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„Die Verwaltung nimmt ihre Vorbildfunktion noch nicht ernst und gestaltet sie daher nicht angemessen.“ 

VdZ: Was ist unter dieser Selbstverständlichkeit zu verstehen?

Huckestein: Selbstverständlich heißt, dass Verwaltungen Belange des Klimaschutzes vollständig in ihre Abläufe und Routinen integrieren, und nicht mehr als lästige Pflicht wahrnehmen, die im Konflikt mit den „eigentlichen Aufgaben“ der Verwaltung – also mit der Gestaltungs- und Vollzugsfunktion – steht. Bis die gesamte Verwaltung treibhausgasneutral agiert, ist es noch ein weiter Weg. Aber wie jede Reise beginnt auch dieser Weg mit dem ersten Schritt. Dieser besteht darin, dass jede einzelne Behörde die Verantwortung und die Zuständigkeiten für den Klimaschutz im eigenen Haus festlegt und dies nicht mehr an eine dafür eigens zuständige Institution – z.B. eines Klimaministeriums oder des Umweltbundesamtes – delegiert. Auf dieser Basis kann dann Klimaschutz nach und nach zur Selbstverständlichkeit heranwachsen. 

VdZ: Hat die öffentliche Verwaltung bereits mit der Umsetzung begonnen?

Huckestein: Der Startschuss für den Weg zur klimaneutralen Verwaltung ist längst erfolgt. Die rechtliche Grundlage nannte ich bereits. Um das für die Bundesverwaltung umzusetzen, gibt es eine eigene Koordinierungsstelle beim Bundeswirtschaftsministerium. Einige Bundesländer haben bereits deutlich früher beschlossen, dass ihre Landesverwaltung klimaneutral werden soll und entsprechende Zuständigkeiten und Stellen geschaffen. Derzeit gibt es nur noch drei Bundesländer ohne entsprechende Beschlüsse. Auch die Zahl der Kommunen, die ihre Verwaltung klimaneutral machen wollen, wächst stetig. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die meisten Verwaltungen den (Start-)Schuss noch nicht gehört haben. Wer mit offenen Augen Behörden betrachtet, sieht noch sehr vieles, was nicht vorbildlich ist. 

Es gibt schon Behörden – etwa das BMZ, das BMUV, das EU-Parlament oder einige Kommunen – die sich bereits selbstbewusst als klimaneutral bezeichnen. Damit meinen sie in der Regel, dass sie Maßnahmen zum Klimaschutz ergreifen und einen wesentlichen Teil ihrer Treibhausgasemissionen durch CO2-Emissionszertifikate auf dem freiwilligen Markt kompensieren. Nicht immer wird dabei deutlich, inwiefern dahinter ein engagiertes, planvolles und systematisches Vorgehen steht. Ohne ein solches Vorgehen laufen die betreffenden Verwaltungen Gefahr, dass ihre Initiativen als reine Imageaktionen wahrgenommen werden. Die Frage bleibt immer: Ist das schon vorbildlich oder noch Grünfärberei?

VdZ: Was tut das UBA, um die Verwaltungen zu unterstützen? 

Huckestein: Das UBA hat sich bereits 2017 auf den Weg zur treibhausgasneutralen Verwaltung gemacht, es betreibt seit über 20 Jahren ein Umweltmanagement nach EMAS und tauscht mit vielen anderen Behörden seine Praxiserfahrungen aus. Das machen wir aber nicht nur wegen der damit erreichbaren CO2-Minderung, sondern um unsere Expertise um eine praktische Dimension zu erweitern. Das hat uns ermöglicht, einen praxisnahen Leitfaden zu erstellen, der die Schritte und Etappen auf diesem Weg beschreibt und weiterführende Hilfestellungen bietet. Darüber hinaus bieten wir regelmäßige Vorträge, Workshops und Webinare zur treibhausgasneutralen Verwaltung – z.B. über die BAköV – und vernetzen uns aktiv mit anderen Verwaltungen, von der kommunalen Ebene bis zur EU. Schließlich arbeitet das UBA gemeinsam mit zahlreichen anderen Fachleuten intensiv an einem weltweiten Standard zur Klimaneutralität von Organisationen und Produkten, der ISO 14068. Wir hoffen, dass dieser Standard, der voraussichtlich Anfang 2024 erscheint, auch den Verwaltungen eine Orientierung bieten kann, um Klimaneutralität jenseits von Grünfärberei zu erreichen. 

VdZ: Welche Schritte braucht es jetzt?

Huckestein: Wie bereits erwähnt, besteht die erste und wichtigste Etappe darin, die organisatorischen Voraussetzungen für ein systematisches – und nicht nur punktuelles – Agieren zu schaffen, d.h. die Verwaltungen müssen die Zuständigkeiten, Verfahren und Entscheidungsprozesse für den Klimaschutz regeln. Gelingt dies gut, profitieren alle weiteren Schritte auf dem Weg zur Treibhausgasneutralität.  

VdZ: Geht der Verwaltung nicht die Flexibilität verloren, wenn sie bereits früh feste organisatorische Strukturen festlegt? 

Huckestein: Das kann passieren, wenn die Strukturen kein Abwägen und Austarieren unterschiedlicher Perspektiven und Interessen ermöglichen. Werden die von Klimaschutzmaßnahmen betroffenen Organisationseinheiten und Personen aktiv an den Informations- und Entscheidungsprozessen beteiligt, sehe ich diese Gefahr nicht. Dass in der Vergangenheit diese Beteiligung häufig schlecht gelöst wurde, erklärt meiner Meinung nach wesentlich besser das Scheitern viele Projekte als das weithin verbreitete Narrativ des Bürokratismus und der Inkompetenz in der öffentlichen Verwaltung. 

Eine geeignete Organisation ist also eine wichtige Voraussetzung, dass die Verwaltung ihre Vorbildfunktion stärkt. 

VdZ: Was ist der Effekt einer gestärkten Vorbildfunktion des Staates?  

Huckestein: Zum ersten reduziert es die Treibhausgasemissionen und trägt damit direkt zum Klimaschutz bei. Zum zweiten erhöht es die Glaubwürdigkeit der Klimapolitik und die Akzeptanz für damit einhergehende Beschränkungen, die viele Menschen ja nach wie vor als Zumutung betrachten. Und zum dritten erhöht es das Verständnis des Staates für die Perspektive genau dieser Menschen, es schafft Augenhöhe und schärft den Blick für die zahlreichen Widerstände, Hemmnisse und Probleme, mit denen der Weg zu einer treibhausgasneutralen Gesellschaft – die sogenannte Transformation – gepflastert ist. Und zum vierten stärkt es die Problemlösungskompetenz der Verwaltung und erweitert das Erfahrungswissen. Das dahinterstehende Konzept „vom Tun zum Wissen“ kennen wir alle aus unserer frühen Kindheit.  

Ein Staat, der seine Vorbildfunktion stärkt und nutzt, vermittelt den Bürgerinnen und Bürgern nicht ein „du musst“, sondern ein „du kannst“, verbunden mit einem „sieh her, es geht, ich habe es selbst erlebt!“. Das ist doch mal ein echter Beitrag zur bürgernahen Verwaltung und gegen Obrigkeitsdenken, zu „good governance“ und „better regulation“.