Vergabe in Krisenzeiten - Ist Kreativität in der Beschaffung gefordert?
Bericht aus der 23. Beschaffungskonferenz 2022
Eine Bestandsaufnahme
Pahl: Der RNE berät die Bundesregierung, wie nachhaltige Entwicklung vorangebracht werden kann. Eine gemeinsame Linie für die öffentliche Beschaffung brächte eine entscheidende Beschleunigung für die Transformation. Wir haben daher konkrete Vorschläge gemacht, die noch immer aktuell sind. Vor zwei Jahren waren wir bereits kurz vor einer Strategie für die öffentliche Beschaffung. Eine solche Strategie sollte zuerst kommen, vor allen weiteren Schritten. Pahl warnte vor Schnellschüssen im allgemeinen Beschleunigungseifer der Regierung. Zentrale Aufgabe bleibe neben gesetzlichen Regelungen: Die Qualifikation und Qualität. Das Vergaberecht sei kompliziert und komplex und selbst wenn wir versuchen, es zu vereinfachen, sei es manchmal noch komplizierter und nicht etwa einfacher. Daher der Appell: Keine Laien für die Beschaffung.
Haak: "Es gibt Themen, die die Welt bewegen und das Vergaberecht ist ein Bereich davon." Wir bewegen uns von einer Krise in eine andere: Finanz, Flüchtlingskrise, Coronakrise, Flutkatastrophe. Einzelne Maßnahmen erfolgen als Reaktionen. Das ermöglicht das Vergaberecht laut Haak auch - das sei unser Instrumentarium durch die EU, ist zugleich aber keine neue Erfindung. Allerdings wissen damit nicht alle, woran sie sind. Verschiedene Regelungen für Bund, Länder und Kommunen sind für den Beschaffer sehr komplex.
Wie ist das zu lösen? Haak Antwort lautet, dass wir weg müssen von Einzellösungen und hin zu Prozessen, Managementprozessen: Weniger Einzelmaßnahmen und ein EU-weites Paket für alle Länder. Zur Hinderlichkeit des föderalen Systems, wie es sich in der Coronakrise offenbart habe, sagte Haak, dass wir es in Deutschland schaffen werden, dieses förderale System zu überbrücken.
Terzaki: "Ich bin erfreulicherweise älter als die Beschaffungskonferenz - und ich finde es spannend, mit Ihnen nachzudenken, welche Werte das Vergabewesen uns vermittelt und wie wir diese weiterentwickeln. Das Vergabewesen verkörpert keine stille Erotik. Ich finde, es ist sehr schrill, sexy, alle gehen mit Fremden einkaufen. Das ist eine große Verantwortung. Ich selbst gehöre der Gattung der Juristen an und versuche öffentliche Auftraggeber daran zu erinnern, dass sie die Helden sind, sie, die hier unten sitzen, nicht wir."
Laut Terzaki müssen wir gemeinsam einen Weg finden, die Aufgaben umzusetzen und so zu vereinfachen, dass man eine gemeinsame Sprache findet. Als Griechin, die mit 17 Jahren Deutsch lernen musste, habe sie vor allem die sichere Erkenntnis: Gemeinsamkeitswille hilft.
Im Vergaberecht stellt Terzaki seit je fest, dass wir hier keine gemeinsame Sprache haben. Bereits 2018 war aber die Rede von einer Europäischen Vergabekultur - was ist aus dieser Kultur geworden? Vergabewesen ist für Terzaki eine Kulturfrage und eine Sache des Herzens: Vergabewesen hat Seele. Das Vergaberecht sei im Übrigen nur ein kleiner Teil vom großen Vergabewesen.
Sie, die Beschaffer, sorgen dafür, dass unsere Kinder in den Schulen das Richtige essen, so Ihr Fazit. Aus der schieren Zahl der vielen unterschiedlich gewachsenen Vergabekulturen, die wir in der EU haben, sieht man, dass wir der EU zur einheitlichen Sprache Hilfestellungen geben müssen. Aus deutscher, österreichischer, griechischer und europäischer Sicht.
In der Krise
Eßig: "Im Kern geht es darum, dass wir gut einkaufen." Ist unser Problem dann eigentlich ein vergaberechtliches Problem? Was kann aus politischer Sicht getan werden, um die Verantwortung der Beschaffer vor Ort, die Ziele umzusetzen, zu stärken?
Steinberg: "Die Krise ist teils eine Ausflucht."
Es gehe um eine Professionalisierung der öffentlichen Vergabe. Einige Bereiche hätten deutlich Luft nach oben. Wir müssen das Thema Professionalisierung ernster nehmen. Die Rechtsnormen sind nur so gut, wie sie auch gelebt werden.
Eßig: Bezugnehmend auf Marc-Oliver Pahl fragt Eßig, wodurch sich eine Beschaffungsstrategie auszeichnet?
Pahl: Eine Strategie sei mehr als das aktuelle Maßnahmenprogramm, was aber bereits Elemente einer Strategie enthalte. Maßnahmen treten neben einen Produktkatalog und EU-Empfehlungen. Relevant bleibe die Frage, wie in den Behörden die Vergabe gelebt wird. Und das Thema Ausbildung: Warum gibt es keine eigenen Studiengänge für Beschaffung und Vergabe? Wir brauchen Profis. Und dazu ein Miteinander von Bedarf- und Vergabestellen - nicht nur eine zentrale Vergabestelle mit Juristen.
Ein radikales Beispiel ist die Stadt Dortmund, welche alle Vergabestellen in den Ämtern aufgelöst und stattdessen eine zentrale Vergabestelle geschaffen hat. Bei der Beschaffung hat das günstige Integrationseffekte ergeben (eAuto-Beschaffung, Betriebskosten-Einsparung, Energieeinsparung). Bislang würden viele andere Behörden und Städte davor aber zurückschrecken. Da gäbe es Beratungsbedarf.
Eßig: Ist die Ausstattung der Vergabestellen so, wie es nötig wäre? Sind es gehobene, mittlere Positionen des öffentlichen Dienstes oder sogar 'kurioserweise' Stellen im höheren Dienst? Oder anders gefragt, wer ist dort? Das ist die Frage nach dem Elefanten im Raum: Stecken wir denn genügend Mittel in das System, das das verwaltet? Müssen wir Stellen schaffen, bessere?
Ich empfehle daher eine Systeminvestition in das Know-How.
Andreas Haak
Haak: Pragmatisch muss man sich fragen: Was ist der Anreiz? Wenn man selbst Beamter wäre und in der Vergabe arbeitetet, warum sollte man dann nicht die einfachste Vergabeart wählen? Klimaschutz gehört zu den Themen, die wir schon vor 20 Jahren hatten - es gab aber auch einen Mangel an Know How damals. Der Weg ist komplexer geworden, weil viel dazugekommen ist an Vorschriften. Umgangspraxis fehle. "Ich empfehle daher eine Systeminvestition in das Know-How."
Es geht um Prozesse. Das Hauptproblem: Was ist überhaupt der Leistungsgegenstand? Da werden die meisten Fehler gemacht, da wird von Anfang an nicht richtig aufgesetzt und dann scheitert die gesamte Vergabe. Alles drumherum könne man viel mit technischen Mitteln machen. Nicht in Stellen und Besoldung investieren, sondern in Projektgruppen.
Schlussgedanke der Eröffnung
Terzaki: Öffentliche Auftraggeber seien in der Regel kompetent und stark. Terzaki erinnert an die Worte der Europäischen Kommission: Draufschauen, was eingekauft wird. Das sei nicht juristisch. Und Nachhaltigkeit ist immer schon vergaberelevant. "Du darfst doch der Meinung sein, als Beschaffer, dass einige besser sind als andere. Du darfst doch auch verhandeln. Was man in Deutschland nicht anfasst. Fragen sie mal die Österreicher: Es wird alles verhandelt."
Tatsache ist, Vergabemanagement ist Abschreiben. Österreicher behaupten, es ist nicht einmal eine kreative Tätigkeit.
Die gute Nachricht, die Terzaki ausspricht: Krisen haben wir jeden Tag. Das wird sich nicht ändern. Wie gehen wir aber damit um? Diese ganze Diskussion darf nicht rein rechtsphilosophisch geführt werden. Das gehe sonst am Einkauf vorbei. Und wir müssen immer bedenken, dass der EUGH nicht weit weg ist. Die Spielregeln seien sehr schlicht. Und sie sind bekannt. "Tatsache ist, Vergabemanagement ist Abschreiben. Österreicher behaupten, es ist nicht einmal eine kreative Tätigkeit."