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Looking for a (Wo)Man in Finance?

Dr. Jana Marleen Walter im Interview

Im Rahmen des 3. ZuKo-THINKTANK sprach Dr. Jana Marleen Walter vom BMFSFJ über das Konzept des "Humble Government". In diesem Interview erläutert sie, wie kooperative Regierungsführung und innovative Ansätze im Public Finance die Zukunft der Verwaltung prägen können.

Verwaltung der Zukunft: Frau Dr. Walter, können Sie kurz darstellen, um was es in Ihrem Impuls auf dem 3. ZuKo-THINKTANK ging?

Dr. Jana Marleen Walter: In meiner Keynote ging es um die zentrale Frage, wie wir die Verwaltung der Zukunft gestalten können – insbesondere im Bereich Public Finance. Der Titel „Looking for a (Wo)Man in Finance?“ spielt auf die Suche nach neuen Wegen in der Haushalts- und Finanzpolitik an, die dringend notwendig ist, um den aktuellen Herausforderungen multipler Krisen gerecht zu werden. Wir befinden uns in einer Zeit, in der die klassischen, starren Verwaltungsstrukturen – selbst wenn wir Instrumente des New Public Managements konsequent mitdenken – oft an ihre Grenzen stoßen. Mein zentraler Ansatz ist daher das sogenannte Humble Government, von dem ich erstmals aus dem Kontext der finnischen Regierung gehört habe. Es geht um eine bescheidenere, kooperative Regierungsführung, die offen ist für Kollaboration und eine Experimentierkultur – denn die großen Probleme unserer Zeit lassen sich nicht länger durch starre, hierarchische Strukturen lösen.

Dr. Walter auf dem 3. ZuKo-THINKTANK
© Simone M. Neumann

Mein Anliegen ist aufzuzeigen, dass wir öffentliche Finanzen nicht mehr als statische Größe betrachten dürfen, die sich Jahr für Jahr wie eine Maschine immer wieder neu kalibriert, sondern als einen lebendigen Prozess, der nach ständigen Anpassungen und Innovationen verlangt. Humble Government verstehe ich als einen ganzheitlichen Ansatz, der sich im Grunde auf jeden Policy-Bereich übertragen lässt und vor allem durch ein verändertes Mindset der öffentlichen Verwaltung zu einer höheren Legitimität des Verwaltungshandelns und Imageverbesserungen des gesamten Politikbetriebs beiträgt. Humble Government steht für eine Politik, die nicht vorgibt, unfehlbar zu sein, sondern die Komplexität der heutigen Welt anerkennt. Besonders im Bereich Public Finance, wo die Herausforderungen von knappen Ressourcen, steigenden Ausgaben und demografischen Veränderungen zunehmen, müssen wir das gesellschaftliche Vertrauen zurückgewinnen und als öffentliche Verwaltung im Multi-Stakeholder-Management nach Lösungen suchen – statt immer nur von oben herab zu agieren.

VdZ: Können Sie erklären, worum es sich bei dem Begriff Humble Government handelt und was die Vorteile sind?

Dr. Walter: Humble Government ist im Kern eine neue Haltung in der Politikgestaltung. Dies bezeichnet eine Regierungsführung, die bescheiden genug ist, um zuzugeben, dass sie nicht immer alle Antworten hat. Das bedeutet aber auch, dass der Staat offen für Dialoge ist und verschiedene Perspektiven in den Entscheidungsprozess einbindet. Humble Government steht für eine Politik, die sich nicht als unfehlbar inszeniert, sondern bereit ist, aus Fehlern zu lernen und sich anzupassen. Der Vorteil dieses Ansatzes ist, dass er Vertrauen in die Regierung stärkt. Wenn Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, dass ihre Meinung gehört wird und ihre Anliegen ernst genommen werden, steigt auch die Akzeptanz für politische Entscheidungen. Zudem wird die Umsetzung von Reformen effektiver, weil sie auf breiter Akzeptanz und Mitwirkung beruhen. Besonders im Bereich öffentlicher Finanzen, wo oft sehr komplexe Entscheidungen getroffen werden, bietet Humble Government die Chance, nachhaltige, langfristige Lösungen zu entwickeln, die auch über einzelne Legislaturperioden hinaus Bestand haben

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Wenn Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, dass ihre Meinung gehört wird und ihre Anliegen ernst genommen werden, steigt auch die Akzeptanz für politische Entscheidungen.

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VdZ: Was unterscheidet Humble-Policy-Making im Finanzbereich vom bisherigen Ansatz?

Dr. Walter: Der bisherige Ansatz im Finanzbereich ist oft sehr technokratisch: Budgets werden festgelegt, und es gibt strenge Vorgaben, wie das Geld ausgegeben werden muss. Jährlichkeit und Jährigkeit – das sogenannte „Dezemberfieber“, bei dem zum Jahresende hektisch Haushaltsmittel ausgegeben werden, damit sie im nächsten Jahr nicht verfallen oder langfristig gekürzt werden – sind tief verwurzelte Prinzipien, die jedoch langfristig wenig Raum für Flexibilität und strategisches Denken lassen. Humble Public Finance stellt dieses traditionelle System auf den Kopf. Anstatt Budgets und Vorgaben starr zu handhaben, erlaubt dieser Ansatz Flexibilität, Innovation und vor allem Raum für Experimente. Ein Beispiel dafür ist das Konzept des „Zero Waste Budgeting“. Hier geht es nicht darum, am Ende des Jahres zwanghaft alle Mittel auszugeben, sondern darum, Ressourcen gezielt und nachhaltig zu verwenden. Überschüssige Haushaltsmittel verfallen nicht einfach, sondern können in innovative Projekte oder langfristige Investitionen fließen. Ein weiteres Beispiel ist die Einführung sogenannter „Policy Budgets“. Diese Budgets sind nicht fest an bestimmte Programme gebunden, sondern erlauben eine flexible Mittelverwendung für drängende gesellschaftliche Probleme. Dadurch erhält eine Regierung auch die Chance, schneller und agiler auf Krisen reagieren zu können – sei es eine Pandemie, der Klimawandel oder wirtschaftliche Umwälzungen. Gleichzeitig bewegen wir uns dadurch auch weg von der aktuellen Kontroll- und Reporting-Kultur hin zu mehr Vertrauen und Empowerment in den Policy-Bereichen.

© Simone M. Neumann

VdZ: Können Sie konkrete Tipps für die Leserschaft geben, wie sie Humble-Policy-Making bzw. Humble Public Finance direkt umsetzen können?

Dr. Walter: Ein erster Tipp wäre, sich von der Idee der Unfehlbarkeit zu lösen. Kein Plan ist perfekt, und das sollte auch so kommuniziert werden. Offenheit für aufrichtiges Feedback sowie konstruktive Kritik ist zentral. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Förderung einer Experimentierkultur. Den Teams muss der Raum gegeben werden, neue Ansätze auszuprobieren – und das, ohne Sorge vor Sanktionen bei Misserfolg haben zu müssen. Das ist allerdings eine zentrale Führungsaufgabe. Durch sogenannte „Financial Fuckup Nights“, wie wir sie bereits aus diversen Business-Formaten kennen, könnten auch in der öffentlichen Verwaltung sinnvoll sein – also Abende, an denen man offen über gescheiterte Projekte spricht und seine Erkenntnisse daraus mit anderen teilt. Darüber hinaus lohnt es sich, Peer-Learning und Kooperationen zu fördern, anstatt auf klassische hierarchische Durchsetzungsmechanismen zu setzen. Oft liegt das Wissen für die besten Lösungen direkt im eigenen Team oder in den Netzwerken des eigenen Hauses. Und schließlich geht es darum, die Bereitschaft zu zeigen, Budgets und Ressourcen flexibler zu gestalten. Oftmals wird in der öffentlichen Verwaltung noch zu sehr auf starren Zielvorgaben, Indikatoren und Kennzahlen beharrt, die vor einigen Jahren oder Jahrzehnten sicher ihre Berechtigung hatten, aber heute unter anderen Vorzeichen nur wenig Raum für Kreativität und Innovation lassen. Humble Public Finance soll dazu ermutigen, Budgets als Werkzeuge zu sehen, die dynamisch auf Veränderungen reagieren können. Im Kern geht es allerdings darum, echte Veränderungen durch neue Gesetzesinitiative zu schaffen, damit Teile eines Budgets für experimentelle Projekte oder unerwartete Krisen zurückgehalten werden können

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Kein Plan ist perfekt, und das sollte auch so kommuniziert werden. Offenheit für aufrichtiges Feedback sowie konstruktive Kritik ist zentral.

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VdZ: Gab es für Sie während des Diskurses mit den anderen Referierenden und den Teilnehmenden besonders spannende oder überraschende Erkenntnisse?

Dr. Walter: Ja, absolut! Als besonders spannend habe ich die Diskussion darüber empfunden, wie stark die gesellschaftliche Wahrnehmung von der Handlungsfähigkeit einer Regierung geprägt ist – und als noch spannender empfinde ich die Erkenntnis, dass dies im Grunde alle Politikbereiche gleichermaßen betrifft. Viele der Teilnehmenden sprachen von dem gesellschaftlichen Gefühl der Ohnmacht und einem Mangel an Transparenz im Bereich öffentlicher Finanzen. Menschen können leider die Erwägungen der Regierung nicht gut genug durchdringen, zumal sich immer mehr das Bild verfestigt, dass demokratische Streitbarkeit von politischen Fehlentscheidungen überlagert wird. Dies bestärkt mich immer wieder in meiner Auffassung, dass der Ansatz des Humble Governments nicht nur eine verwaltungstechnische Reform ist, sondern einen tiefgreifenden kulturellen Wandel bezeichnet, der die Beziehung von Bürgerinnen und Bürgern zum Staat neu definieren kann.

VdZ: Vielen Dank an Frau Dr. Walter für das Interview.

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