„Es sollte gar keine "Fanciness" für das Thema entstehen“
Nicolas Zimmer: Bei Digitalisierung Verwaltungsspitzen in die Pflicht und Mitarbeitern die Risiken nehmen / Interview
Verwaltung der Zukunft: Herr Zimmer, hat die klassische deutsche Verwaltung ausgedient?
Zimmer: Es geht um eine Kultur, die über viele Jahrzehnte oder mehrere Jahrhunderte gewachsen ist. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die Verwaltung per se kritisieren – viele organisatorische Strukturen hatten lange oder haben immer noch ihre Berechtigung. Gleichwohl müssen wir anerkennen, dass Bürger heute in der Lage sind, viele Probleme weitaus schneller zu lösen, als es Behörden können.
Wir müssen anerkennen, dass Bürger heute in der Lage sind, viele Probleme weitaus schneller zu lösen, als es Behörden können.
VdZ: Liegt das nur an einer tradierten Organisationskultur oder auch am Personal?
Zimmer: Beides spielt eine Rolle. Sicherlich sind gewisse Strukturen und Prinzipien veraltet. Die Digitalisierung und ihre Folgen – so meine Perspektive – sind auch von vielen Kolleginnen und Kollegen noch nicht realisiert worden. Die typische Aussage „Das haben wir schon immer so gemacht!“ finden Sie aber nicht nur in öffentlichen Einrichtungen, sondern genauso bei vielen mittelständischen Unternehmen in der Wirtschaft.
VdZ: Also kein verwaltungsspezifisches Problem?
Zimmer: In der Verwaltung werden zumindest kaum Anreize dafür gesetzt, dass sich die Mitarbeiter stärker mit der sich stets weitentwickelnden Situation befassen. Im Gegenteil: Es ist eine menschlich verständliche Reaktion, sich in einer gegebenen Situation genauso zu verhalten wie die anderen, nicht gegen den Strom zu schwimmen und sich eben keinen Risiken auszusetzen. Dieses „verwaltungstypische“ Verhalten wird noch stärker angereizt, weil es kaum gute Vorbilder gibt. Die Verwaltungsspitzen stehen zuerst in der Pflicht!
Dieses „verwaltungstypische“ Verhalten wird noch stärker angereizt, weil es kaum gute Vorbilder gibt.
Nicolas Zimmer
Nicolas Zimmer ist Vorstandsvorsitzender der Technologiestiftung Berlin. Der 47-jährige CDU-Politiker war von Dezember 2011 bis November 2012 Staatssekretär in der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung und hat selbst ein Unternehmen gegründet. Zuvor saß er seit 1998 als Vertreter im Abgeordnetenhaus von Berlin. Der CDU-Politiker studierte zusätzlich Computer Science und war von 2000 bis zu seiner Ernennung zum Staatssekretär als Rechtsanwalt tätig.
VdZ: Was erwarten Sie von der Führungsebene genau?
Zimmer: Die politischen Hausleitungen, um mal die Ministerien zu nehmen, müssen viel klarere Ansagen treffen, was sie wollen und was sie von ihren eigenen Mitarbeitern erwarten. Es müssen dann viel klarere Botschaften über das weitere Management, über die Abteilungs- bis zu den Referatsleitern transportiert werden. Nur so kann das notwendige Maß an Glaubwürdigkeit an der Verwaltungsbasis, also in den einzelnen Fachbereichen und auf Stellenebene, entstehen.
VdZ: Lässt die rechtliche Lage überhaupt „große Sprünge“ zu?
Zimmer: Natürlich muss man sich rechtlich im Rahmen des Verwaltungsverfahrensgesetzes und der entsprechenden Geschäftsordnungen bewegen. Disruption und Revolution ist da kaum möglich. Das ist aber nicht der Punkt. Vielmehr bedeutet der richtige Umgang mit Digitalisierung eines: Aufwand!
Die politischen Hausleitungen müssen viel klarere Ansagen treffen, was sie wollen und was sie von ihren eigenen Mitarbeitern erwarten.
VdZ: Sie waren selbst für ein knappes Jahr Staatssekretär in der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft. Was haben Sie aus dieser Funktion heraus maßgebliches angestoßen?
Zimmer: Wir haben in dieser Zeit z. B. eine Dienstvereinbarung zur Einführung der E-Akte für unsere Senatsverwaltung erarbeitet. Damit waren wir die ersten, noch bevor dies auf Landesebene sonst zum Thema wurde.
VdZ: Wie sind Sie vorgegangen?
Zimmer: Die Dienstvereinbarung ist meines Erachtens vor allem gelungen, weil ich die Kolleginnen und Kollegen gefragt habe, wer als erstes einmal Interesse hat, sich damit auseinanderzusetzen. Das lief frei von hierarchischen Ebenen. So gab es plötzlich eine Reihe von – zugegebenermaßen – zumeist technikaffinen Männern, die Lust hatten, sich Gedanken darüber zu machen.
Es hat sich gezeigt, dass sich eine ganz andere Überzeugungskraft entwickelt, wenn die Ideen nicht nur von der Spitze kommen, sondern die Basis gleichermaßen daran teil hat und während der Umsetzungsphase mitentscheiden kann.
VdZ: Sie haben die Hierarchien dabei völlig außer Acht gelassen?
Zimmer: Nein, ich habe die Abteilungs- und Referatsleiter über das Vorgehen informiert und mitgenommen. Ein solches Verfahren müssen am Ende natürlich sämtliche Leitungsebenen unterstützen. Es hat sich aber auch gezeigt, dass sich eine ganz andere Überzeugungskraft entwickelt, wenn die Ideen nicht nur von der Spitze kommen, sondern die Basis gleichermaßen daran teil hat und während der Umsetzungsphase mitentscheiden kann.
VdZ: Es hat alles so funktioniert, wie Sie sich das vorgestellt haben?
Zimmer: Zuerst schon. Wir konnten mit dem Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg auch eine Pilot-Behörde auf Bezirksebene gewinnen – das ist ein weiterer wichtiger Aspekt, vor allem in Berlin! Nach dem Wechsel an der Hausspitze der Senatsverwaltung wurde der Prozess leider nicht verfolgt, lag mehrere Jahre brach und wird nun auf klassische Weise versucht, top-down umzusetzen.
VdZ: Welche Lehren ziehen Sie daraus?
Zimmer: „Sprich mit den Menschen und versuche, diejenigen für dich zu gewinnen, die es angeht – dann wird es auch funktionieren!“ Wir müssen in Verwaltungsmodernisierungsprojekten einfach das große Wissen an der Basis noch viel stärker mitnehmen. Gleichzeitig gilt, dass die Widerstände gegen Veränderung hier auch am schwersten zu überwinden sind. Wenn Sie aber Leute überzeugen und diese wiederum auf Augenhöhe auf die eigenen Kollegen zugehen, können Sie eine Menge erreichen. Das sollten wir bei Digitalisierungsmaßnahmen immer als erstes im Auge haben.
Wir müssen in Verwaltungs-modernisierungs-projekten einfach das große Wissen an der Basis noch viel stärker mitnehmen.
VdZ: Wie halten Sie es mit dem Bottom-up-Ansatz bei Ihren eigenen Projekten der Technologiestiftung Berlin?
Zimmer: Wir versuchen, genau diesen Weg zu gehen. Gerade haben wir z. B. die „Open Data Informationsstelle“ (ODIS) gestartet, die wir für die Berliner Verwaltungen betreuen. Hier geht es darum, unterschiedlichste Behörden dabei zu unterstützen, ihre Open Data-Angebote auszubauen. Das fängt bei der Frage an, welche Daten für das Datenportal interessant sein könnten, geht über die Inventur bestehenden Datensätze bis zur Betreuung laufender Veröffentlichungen. Ziel ist es, mit den Mitarbeitern, die Open Data konkret umsetzen, Kontakt aufzunehmen. Dazu können sie uns anrufen, emailen, wir richten auch eine „Sprechstunde“ ein, kommen gerne vorbei und lösen Probleme mit den Praktikern gemeinsam vor Ort.
Die Technologiestiftung Berlin
Die Technologiestiftung ist eine gemeinnützige Stiftung des Landes Berlin. Laut Satzung gehört die Förderung von Wissenschaft und Forschung zu ihren vorrangigen Aufgaben. Die Einrichtung soll innovative natur- und ingenieurwissenschaftliche Technologien vorantreiben und die Region Berlin-Brandenburg zu einem bedeutenden Standort in ausgewählten Technologiefeldern entwickeln.
VdZ: Im Voraus der Gründung von „ODIS“ haben Sie eine Umfrage zu Open Data in Berliner Verwaltungen durchgeführt. Was kam dabei heraus?
Zimmer: Dabei kam z. B. heraus, dass bislang kaum einheitliche Standards existieren und Daten eigentlich nur eingestellt werden, wenn sich jemand in der Verwaltung dafür persönlich engagiert. Auch die ungeklärte „Zuständigkeitsfrage“ hat dazu geführt, dass letztlich 1.700 Datensätze von ca. 25 Bereitstellern Daten veröffentlicht wurden. Das ist aus meiner Sicht zu wenig und bei den vielen Behörden auch nicht repräsentativ. Im Ergebnis braucht es konkretere Ansprechpartner, die sowohl koordinierend wirken als auch in der Lage sind, möglichst hochwertige Daten standardisiert einzustellen.
Im Ergebnis braucht es konkretere Ansprechpartner, die sowohl koordinierend wirken als auch in der Lage sind, möglichst hochwertige Daten standardisiert einzustellen.
VdZ: Wer käme in den Verwaltungen denn dafür überhaupt infrage?
Zimmer: Auf bezirklicher Ebene gibt es seit langem sogenannte Daten-Koordinatoren, die einst für die sozialraumorientierte Planung geschaffen worden sind. Die Kollegen in diesen Funktionen wurden uns mehrfach als Vorbilder genannt, deren Aufgabe ohnehin darin liegt, Daten aus den einzelnen Abteilungen zusammenzuführen. Diese Leute haben meist einen Überblick, welche Daten überhaupt in den verschiedenen Bereichen existieren.
VdZ: Inwiefern könnten Sie sich vorstellen, interessierte motivierte Verwaltungsmitarbeiter vielleicht im Rahmen eines „Experten-Pools“ stärker miteinander und über die Verwaltungsgrenzen hinaus zu verknüpfen?
Zimmer: Einige dieser Leute kennen sich natürlich bereits untereinander. Darüber hinaus werden wir, einen Open Data-Lunch ins Leben zu rufen. Hier sollen sich Verwaltungsmitarbeiter untereinander austauschen und vielleicht auch besseren Kontakt in die Community finden können. Im Augenblick gibt es dafür noch keinen guten Rahmen. Wir wollen das nun ein Stückweit stärker institutionalisieren und auch die Leute einbinden, die bisher keinen „Titel“ oder offizielle Funktion hatten. Das soll auch die Leute einschließen, die sich in den Behörden künftig mit Open Data befassen.
VdZ: Ob in Inkubatoren, Hubs oder Cyber Labs – vor allem junge Entrepreneure machen sich untereinander Gedanken, um neue Lösungen für allerlei gesellschaftliche Probleme zu finden. Wie könnten Verwaltungsmitarbeiter hier stärker eingebunden werden?
Zimmer: Ich könnte mir in Berlin eine Art „Inkubatoren-Programm“ für Verwaltungen vorstellen, das interessierten Mitarbeitern vielleicht für vier oder sechs Wochen die Möglichkeit gibt, Dinge in einem anderen Umfeld auszuprobieren. Die einfachste Form wäre ein gemischter Co-Working-Space, in dem dann auch Verwaltungsmitarbeiter sitzen und sich mit anderen Branchen austauschen. Natürlich wäre ein „Innovationsfonds“ schön, über den einfach auch mal neue Herangehensweisen finanziert werden könnten. Wie auch immer so etwas umgesetzt wird: Im Vordergrund sollte stehen, wie Verwaltung, Community und Bürger am besten zusammenzubringen sind.
Ich könnte mir in Berlin eine Art „Inkubatoren-Programm“ für Verwaltungen vorstellen, das interessierten Mitarbeitern vielleicht für vier oder sechs Wochen die Möglichkeit gibt, Dinge in einem anderen Umfeld auszuprobieren.
VdZ: „Der Bürger“ ist erfahrungsgemäß schwierig einzubinden in öffentliche Prozesse, gerade aus jüngeren Generationen und bildungsfernen Milieus. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht – wie funktioniert Teilhabe heute?
Zimmer: Da gibt es ein schönes Beispiel aus dem Gaming-Bereich: Kennen Sie das Konstruktionsspiel Minecraft? Wir haben Berlins Mitte für Minecraft aufbereitet und bieten ein 3D-Modell von Mitte auf unserer Seite kostenlos zum Download an. Wer die Karte runterlädt, kann per Mausklick alte Häuser abreißen, neue bauen, Grünflächen anlegen und ähnliches. Kürzlich hat eine Initiative gegen Jugendarbeitslosigkeit ein Projekt aufgelegt, in dem junge Menschen, die eine hohe Affinität zu Video-Spielen haben, diese Minecraft-Karte nutzten, um den Alexanderplatz nach ihren Wünschen umzugestalten. So wurde über das bekannte Computerspiel ein Bezug zum eher trockenen Thema Stadtentwicklung hergestellt - für Jugendliche, die sich für Nutzungskonzepte und Bebauungspläne bis dahin nicht interessiert hatten. Bei den Jugendlichen kam das Projekt gut an. Sicher ist das etwas ungewöhnlich, aber wir sollten solche Wege ausprobieren. Wenn etwas nicht funktioniert, haben wir zumindest das herausgefunden!
VdZ: Wie können die verschiedenen Facetten des offenbar beginnenden Kulturwandels in der Verwaltung verstetigt werden?
Zimmer: Es geht nun darum, nicht nur darüber zu sprechen, sondern den Kulturwandel wirklich umzusetzen und zu institutionalisieren. Dafür brauchen wir zum einen noch stärker erprobte und belastbare Modelle, die zeigen, an welchen Stellen sich etwa Kollaboration, Transparenz und Ausprobieren lohnen. Zudem braucht es Unterstützung von der Spitze: Es wirkt ganz anders in die Verwaltung hinein, wenn der Regierende Bürgermeister sagen würde, dass er diesen Prozess will, unterstützt und sich vor Ort auch mal anschaut. Dabei sollte gar keine „Fanciness“ für das Thema entstehen. Stattdessen müssen wir realistisch bleiben, auf die „Sicherheitsbedürfnisse“ der Verwaltungsmitarbeiter Rücksicht nehmen und Risiken aussparen.