Das war die 21. Beschaffungskonferenz
Beschaffungswende und Wandel der Profession – Weg von der Wirtschaftlichkeit hin zur Nachhaltigkeit
Die öffentliche Beschaffung müsse soziale Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit unterstützen, so Marzena Rogalska, Direktorin in der Generaldirektion Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU der Europäischen Kommission, in ihrer Rede im Eröffnungsplenum der 21. Beschaffungskonferenz. Die öffentliche Auftragsvergabe spiele eine tragende Rolle in der europäischen Wettbewerbsfähigkeit und müsse sich viel strategischer ausrichten. Man müsse mehr in kritische Sektoren wie Mobilität, Gebäude- und Verkehrsinfrastruktur investieren, auf nachhaltige Produkte setzen und innovative Projekte fördern. Die Europäische Kommission hat einen Leitfaden für Beschaffer zur Innovationsförderung entwickelt und versucht den europäischen Binnenmarkt durch ein Instrumentarium an Richtlinien zu stärken.
Öffentliche Beschaffung kann kein Allheilmittel für alle politischen Entscheidungen sein.
Qualität und Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt stellen
„Europa hat einen der größten Beschaffungsmärkte der Welt. Dennoch haben europäische Unternehmen oft Probleme, Zugang zu öffentlichen Aufträgen zu bekommen.“ Durch die Leitfäden sollen sich die Einkäufer mehr auf Kriterien wie Qualität, Nachhaltigkeit und das Kosten-Nutzen-Verhältnis und weniger auf den Preis stützen. Um die 30.000 Einkäuferinnen und Einkäufer europaweit auf die neuen Anforderungen vorzubereiten, arbeitet die Europäische Kommission an einem Maßnahmenplan zur Professionalisierung des öffentlichen Einkäufers.
Die Europäische Kommission ruft öffentliche Einkäufer dazu auf, Qualität und Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt ihrer Entscheidung zu stellen.
Um Sozial- und Umweltstandards in der Lieferkette oder Innovationen in der Beschaffung zu berücksichtigen, brauche es Kompetenzen im Sourcing, in der Kommunikation und Fachkenntnisse. Jedoch könne der Einkauf allein, nicht alle Vorsätze der Politik umsetzen: „Öffentliche Beschaffung kann kein Allheilmittel für alle politischen Entscheidungen sein“, mahnte Frau Rogalska. Der Einkauf und die Entscheidungsebene müssen in Zukunft noch enger zusammenarbeiten, um die Forderungen umzusetzen.
Europa braucht eine aktivierende Industriepolitik
Dr. Thomas Solbach, Referatsleiter für Öffentliche Aufträge, Vergabeprüfstelle, Immobilienwirtschaft im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) betonte nochmals die aktivierende Industriepolitik, die Bundesminister Peter Altmaier fordert, um den Wohlstand und das Wachstum zu erhalten und die Industrie in Europa zu stärken.
Es gäbe zwar keine offiziellen Zahlen, jedoch bewege sich das Auftragsvolumen des öffentlichen, deutschen Beschaffungsmarktes zwischen 82 und 500 Milliarden Euro. Dieser soll für europäische Unternehmen zugänglich gemacht werden und die lokale Wirtschaft fördern. Die USA reserviere beispielsweise einen Teil der öffentlichen Aufträge für mittlere und kleinere Unternehmen. Eine Bevorzugung dieser Art soll es auf europäischer Ebene nicht geben, jedoch brauche es Regelungen für Drittländer. Ein „International Procurement Instrument“ soll weltweit faire Beschaffungskonditionen gewährleisten.
Das BMWi beschäftige sich außerdem aktuell mit einem Prüfauftrag menschenrechtliche Mindestanforderungen im Vergaberecht zu verankern sowie einer Mittelstandsstrategie: „Vergaberecht dient nicht allein der kosteneffizienten Beschaffung“, so Dr. Solbach. Behördenleitungen sollen die Ausschreibungskriterien mittragen und den Einkäufern entsprechend Zeit und Mittel einräumen.
„Es macht den Eindruck Deutschland ist mehr ordentlich, als innovativ“, meint Dr. von Dohnanyi. Die heutige Welt verlange ein gewisses Maß an Flexibilität, welches auch die Beschaffung bedienen müsse. Die Einkäuferinnen und Einkäufer sollen die potenziellen Freiheiten, die das Vergaberecht bietet, auch nutzen, so der Vorsitzende des Wegweiser-Beirats.
Hindert uns das Vergaberecht, Fahrt aufzunehmen?
Diesen Gedanken griff das Plenum am Abend auf. Unter dem Titel „Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Verliert sich eine zeitgemäße (digitale) Beschaffung im Dschungel des Vergaberechts? - Eine Zukunftsdebatte vor dem Hintergrund aktueller Gesetze und Vergabeentscheidungen“ diskutierten Vergabeexperten die Möglichkeiten und Einschränkungen durch das Vergaberecht.
„Hindert uns das Vergaberecht, Fahrt aufzunehmen?“, fragt Jan-Lars Bey, Partner bei Cassini Consulting und Mitglied des Programmbeirats. Man müsse weg von der Erwartung, Vergabe müsse schnell gehen. Im Kontext der Digitalisierung würde auch Beschaffung komplexer und brauche mehr Zeit. Mehr Zeit für die Vorbereitung der Ausschreibung und Markterkundung, mehr Zeit für den Austausch mit der Privatwirtschaft. Zwar brauche es mehr Standards innerhalb der strategischen Beschaffung, jedoch stehe dem das Vergaberecht nicht im Wege. „Wir müssen die neuen Vergabeverfahren mutiger nutzen und überlegen – Wie machen wir Ausschreibungen bekannter?“
Vergaberecht mit Selbstverständlichkeit betrachten
Das Vergaberecht stehe in ständiger Kritik, erklärt Sebastian Spinzig, Vorsitzender des 2. Spruchkörpers der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Münster: „Welches Recht wird so oft in Frage gestellt, wie das Vergaberecht? Denken wir an das BGB oder das Strafrecht. Fordern wir hier ständige Änderungen?“
Welches Recht wird so oft in Frage gestellt, wie das Vergaberecht?
Man müsse beginnen das Vergaberecht mit einer Selbstverständlichkeit zu betrachten: einen Rahmen den öffentliche Auftraggeber einhalten müssen. Die Einschränkungen und Freiheiten des Vergaberechts müsse man nun auch digital abbilden. Spinzig sieht Potenzial in maßgeschneiderten, digitalen Prozessen, um eine selektivere, zweckmäßigere Dokumentation des Verfahren abzubilden: „Die Digitalisierung wird eine zusätzliche Anstrengung bedeuten. Sie wird administrativ weiterhelfen, uns allerdings keine Entscheidungen abnehmen. Ich sehe den Rückbau des Vergaberechtes durch die Digitalisierung nicht kommen.“
Die Vergabe sei historisch gewachsen und sei aus Erfahrungswerten entstanden, erklärt Lars Wiedemann, Richter beim Oberlandgericht Naumburg. „Wir können mit dem Finger nicht nur auf den Gesetzgeber zeigen.“ Die steigende Komplexität der Vergabeverfahren im Rahmen der Digitalisierung zeige sich in den Kommunikationswegen im Vergabeverfahren, aber auch in den zu beschaffenden Produkten. Leistungsbeschreibungen müssen viel funktionaler werden. Der Richter kritisiert auf der operativen Ebene die enormen Datenmengen in digitalen Leistungsbeschreibungen. Hier müsse man sich disziplinieren, möglichst kompakt auszuschreiben, um Anbieter nicht zu verschrecken. „Wir denken noch analog und versuchen es digital umzusetzen.“
Produktkomplexität versus Vergaberecht
Die bloße Rechtsicherheit könne nicht der Hauptanspruch an Beschaffung sein, so Anja Theurer, Chief Finance Officer des Cyber Innovation Hub der Bundeswehr: „Die Forderung einer rechtssicheren Abwicklung einer Vergabe an eine Behördenleitung ist die Abwesenheit einer strategischen Beschaffung.“
Wenn strategische Ziele berücksichtigt werden sollen, dürfe die Beschaffung nicht länger angstgetrieben agieren. Beschaffung nach vergabefremden Kriterien sei aufgrund der offenen Rechtbegriffe von Natur aus anfälliger für Rügen. Wer strategisch beschaffen will, solle sich eine „Kriegskasse“ anlegen, scherzt die Rechtsanwältin. Weiterhin warf sie die Frage auf, ob der gegebene Rechtsraum geeignet sei, um digitale Produkte abzubilden.
Ein digitales Produkt ist niemals fertig.
Vielmehr sehe sie die Herausforderung im Produkt selbst: „ Ein digitales Produkt ist niemals fertig.“ Man müsse mehr in die Betreuung der Anbieter investieren und einen stärkeren Fokus auf die Markterkundung legen, grade dann, wenn der Bedarf nicht genau geklärt sei. Der Cyber Innovation Hub tut genau das: Start-ups, ihre Produkte und Leistungen sichten, um den Bedarf von morgen zu erkennen. Die Unklarheit, die die Digitalisierung in den Bedarfen mit sich bringt, erweitert den Kompetenzbereich des Einkäufers.
Der Einkauf muss aus einem weißen, unbeschriebenen Blatt eine U-Bahn machen. Das Vergaberecht hilft auf diesem Weg.
„Der Einkauf muss aus einem weißen, unbeschriebenen Blatt eine U-Bahn machen. Das Vergaberecht hilft auf diesem Weg“, führt Prof. Dr. Mark von Wietersheim, Geschäftsführer des forum vergabe e.V., aus. Man müsse die Handlungsspielräume des Rechtsrahmens kreativ nutzen und auch Entscheidungen treffen, die über den Tag hinausgehen. Der gesellschaftliche Anspruch an vergabefremde Kriterien steigt, die Fridays For Future-Bewegung sei das beste Beispiel dafür, so Andreas Haak, Partner bei Dentons und Mitglied im Wegweiser-Beirat. Vergabekriterien werden in Zukunft immer stärker von technologischen und gesellschaftlichen Forderungen geprägt sein.
Rolle des Einkaufs in der Erreichung der Klimaziele
Das Plenum am Morgen griff die Debatte zur Nachhaltigkeit und einer Beschaffungswende, welche sich flächendeckend durch die Foren und Diskussion der 21. Beschaffungskonferenz zog, noch einmal prominent auf. Dr. Ulf Jaeckel, Referatsleiter für nachhaltige Verbraucherschutzpolitik, produktbezogenen Umweltschutz im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit eröffnete mit einem Impulsvortrag zu den deutschen Klimazielen. Bis 2030 strebe man 55 Prozent weniger Emission an, bis 2050 will Deutschland klimaneutral werden: „Entscheidungen im Bereich Klimaschutz müssen, um die Ziele im Jahr 2030 zu erreichen, schon heute getroffen werden.“ Um das Klimaschutzprogramm umzusetzen, müssen die öffentliche Hand und somit auch der öffentliche Einkauf, eine Vorreiterrolle einnehmen. Um hier konsequent zu arbeiten, führt das Ministerium Regelungen für nachhaltigen Einkauf zusammen: von Textilien, Fahrzeugen, energieeffizienten Geräten, Holz aus zertifizierten Quellen hin zu Umweltmanagementsystem und Software. Die größten Potenziale sieht der Referatsleiter im Bereich der Mobilität, der Ernährung und im Gebäudebereich.
Mehr politisches Gewicht für Beschaffer
Aktuell erfüllen nur vier öffentliche Gebäude des Bundes den klimaneutralen Gebäudestandard, führt Walter Kahlenborn, Mitbegründer und Geschäftsführer von adelphi, aus. Eine Vielzahl der Bundesgebäude habe nicht einmal einen Energieausweis. Auch im Mobilitätsbereich ist der aktuelle Stand eher ernüchternd: der Anteil neuer Fahrzeuge entsprechend der vorgegebenen Emissionswerte liegt bei 3,4 Prozent, der Anspruch bis 2020 liegt bei 20 Prozent. Um im Bereich Verkehr voranzukommen brauche es eine Elektrifizierung und Digitalisierung des PKWs sowie eine Verstärkung öffentlicher Verkehrsmittel. Im Städtebau müssen die Verkehrsträger intensiver einbezogen werden.
Für den Einkauf bedeute das ein Paradigmenwechsel von der Wirtschaftlichkeit zur Nachhaltigkeit. Im Zuge seiner Vorreiterrolle müsse der Einkauf entsprechend an politischem Gewicht gewinnen und mehr Mittel erhalten, fordert Kahlenborn. Umweltfreundliche und soziale Produkte müssen Standard werden, für Ausnahmen nicht nachhaltiger Produkte müsse man Anträge stellen. Als großes Problem stellt der adelphi-Geschäftsführer die fehlenden Zahlen in der Beschaffung heraus. Ohne Daten aus der Beschaffung in den Sub-Sektoren können resultierende Umweltschäden nur schwer abgeschätzt werden.
Nachhaltige Beschaffung in Kommunen
Was können Kommunen tun, wenn selbst auf Bundesebene noch Nachholbedarf in Sachen Nachhaltigkeit besteht? Waltraud Spange, Leiterin des Vergabeamts der Stadt Regenburg berichtet, was ihre Stadt bereits umsetzen konnte. Auf die 160.000 Einwohner der Kommune kommen 20 Mitarbeiter in der Beschaffungsstelle. Im Jahr 2014 wurde Jürgen Hubert zum dritten Bürgermeister, dem „Umweltbürgermeister“ gewählt und befasst sich mit einem nachhaltigerem Regensburg.
Für die Versorgung der Schulen, werden nur Ernährungspläne mit maximal einmal Fleisch pro Woche zugelassen und die Stadt wurde mit Elektrobussen ausgestattet. Über die Leistungsbeschreibungen könne man bereits einiges lösen, insofern die Marktkenntnis vorliegt. Die fehlende Marktkenntnis identifiziert Spange als größtes Problem in der nachhaltigen Beschaffung ihrer Kommune.
Thomas Berger, Bürgermeister der Stadt Trebbin, hebt Nachhaltigkeit nochmals als politisches Führungsvorhaben hervor. Die Politik müsse den Beschafferinnen und Beschaffern Rückhalt geben und die Beschaffung als Regulative begleiten. Die enge Zusammenarbeit zwischen politischen Entscheidungsträgern und dem Einkauf kristallisierte sich im Plenum als klare Handlungsempfehlung heraus.
Attraktivität öffentlicher Aufträge für Anbieter steigern
Die steigenden Anforderungen öffentlicher Aufträge und die zunehmende Komplexität der Ausschreibungs- und Vergabeverfahren führen zu immer weniger Angeboten. Um Unternehmen einfacheren Zugang zu Ausschreibungen zu ermöglichen, soll im Rahmen des Onlinezugangsgesetzes (OZG) ein zentrales Unternehmenskonto geschaffen werden. Das Abschlussplenum beschäftigte sich mit den Folgen des OZG für den öffentlichen Beschaffungsmarkt.
Wie werden wir als öffentliche Hand weiterhin attraktiv für leistungsfähige Anbieter?
„Wie werden wir als öffentliche Hand weiterhin attraktiv für leistungsfähige Anbieter?“, fragt Professor Dr. Michael Eßig, Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehrer, insbesondere Beschaffung und Supply Management an der Universität der Bundeswehr München. Wie auch in den Verwaltungsleistungen für Bürgerinnen und Bürger muss das Unternehmenskonto nutzerorientiert aufgebaut werden und auch kleinerer Unternehmen den Anreiz bieten, sich für Ausschreibungen zu bewerben. Michaela Kay, Mitglied der Geschäftsführung der Bombardier Transportation GmbH, wünscht sich eine einheitliche Vergabeplattform und mehr Effizienz in den Ausschreibungen. Einerseits soll hier das vielmals diskutierte „Once Only“-Prinzip greifen: Zertifizierungen und Leistungen des Unternehmens werden einmalig hinterlegt und stehen für alle folgenden Ausschreibungen im Unternehmenskonto zur Verfügung. Aber auch stufenweise Nachweiserbringung würde den Aufwand für Anbieter verringern. Das Unternehmen sammelt die tiefergehenden Anbieteranforderungen erst, wenn es qualifiziert wurde und in die nächste Ausschreibungsrunde kommt. So würde die Vorleistung, in die sich der Anbieter für einen öffentlichen Auftrag begeben muss, reduziert, erklärt Kay.
„Eine Vereinfachung allein wird nicht reichen“, wendet Professor Eßig ein. Um weiterhin für Anbieter attraktiv zu sein, müsse sich die Profession des Beschaffers wandeln. Die Markterkundung, Anbieterkommunikation und Betreuung wird sich immer weiter verstärken. Der Wandel des Berufsbildes des Verkäufers zog sich wie ein roter Faden durch die Bandbreite der Themen der 21. Beschaffungskonferenz und wird auch im Jahr 2020 ein wichtiger Themenschwerpunkt sein. Des Weiteren zeichnet die Veranstaltung das Bild einer Beschaffungswende, welche sich den gesellschaftlichen Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit annimmt und dem Einkauf in Zukunft ein stärkeres politisches Gewicht verleiht.