Lieferantenmanagement im Public Procurement
Experten über die Möglichkeiten der Bieter-Organisation im öffentlichen Sektor
"Es gibt für mich keinen Einkauf, es gibt Lieferantenmanagement!" Prof. Dr. Marc Helmold kann auf einen großen Erfahrungsschatz als Einkäufer im Privatsektor zurückblicken. Neben Bombardier und Panasonic war er auch für Porsche und Ford auf nationalen wie internationalen Märkten tätig. Unter anderem unterrichtet er an der iubh Berlin, der zweitgrößten Privatuniversität Deutschlands, Lieferantenmanagement und strategische Management.
"In großen Betrieben hat jeder Einkäufer zwischen 80 bis 90 Lieferanten zu managen“, so Helmold, daher bestehe Einkauf zu großen Teilen aus Lieferantenmanagement.
Kosten managen heißt Lieferanten managen
Immer wieder werden Projekte der öffentlichen Hand in den Medien wegen zu hoher Kosten auffällig oder „laufen aus dem Ruder". Als Beispiele nennt Helmold das Transportflugzeug A400 und die Elbphilharmonie. Auch der Berliner Flughafen BER und die fehlgeschlagenen Rüstungsprojekte der Bundeswehr seien auf schlechtes Lieferantenmanagement zurückzuführen. Durch Lieferkettenfehler komme es regelmäßig zu höheren Kosten, einer verzögerten Fertigstellung sowie qualitativen und quantitativen Mängeln.
Innovation statt „Kostendrücker“
Der Einkauf hat Einfluss auf die gesamte Wertschöpfungskette: von Kundenaufträgen über die Planung, Beschaffung, Produktion, Logistik bis hin zum Service.Trotzdem ist die Reputation des Einkaufs eine andere: In einer Umfrage des Magazins „Markt und Mittelstand“ aus dem Jahre 2017 geben 75 % der Führungskräfte an, dass Sie den Einkauf und damit das Lieferantenmanagement als „Kostendrücker“ betrachten.
75 % der Führungskräfte geben an, dass sie den Einkauf als „Kostendrücker“ betrachten.
Dabei muss das Lieferantenmanagement dem Wandel durch Industrie 4.0, weltweite Digitalisierung und dem Wunsch nach innovativeren und schnelleren Produkten nachkommen und dementsprechend optimiert werden.
Aktuell zeigt sich laut Helmold ein Trend zur globalen und digitalen Vernetzung der Lieferantensysteme. Statt nur auf schlechte Lieferantenperformance oder -eskalation zu reagieren werden partnerschaftliche, proaktive Maßnahmen getroffen, um eine stetige Verbesserung von Qualität, Kosten, Logistik und Technik zu gewährleisten. Traditionelles wird durch innovatives Lieferantenmanagement abgelöst.
Handlungsempfehlungen nach Helmold und Terry, 2016
- Einbindung des Lieferantenmanagments in die strategische Unternehmensplanung
- Ganzheitliche Funktion des Strategischen Lieferanten-managements (SLM) im strategischen Einkauf
- SLM als zentrale Koordinierungsfunktion von Lieferantenproblemen
- Sensorik durch effiziente Nutzung von Informations-und Kommunikationstechnik
- Einbeziehung von adäquaten Methoden zur Bewertung der Lieferantenperformance
- Angepasste Personalpolitik und Qualifikation der Lieferantenmanager
- Aufbau von strategischen Allianzen in der Lieferkette
- Nutzung messbarer Indikatoren zur Verbesserung (Kaizen) der Performance
- Nachhaltigkeit bei der Entwicklung von Lieferanten
- Detailorientierung in einer lernenden Organisation
Integrativ und zentral strukturiert
Ein zentraler, globaler Lieferantenmanager koordiniert regionale und divisionale Manager, darüber hinaus den Qualitätsbeauftragten sowie verschiedene Industrie- und Materialgruppen. Integrativ und zentral – so strukturiert der Konzern Bombardier seinen Einkauf - für den Beschaffungsexperten ein Best Practice-Modell.
An erster Stelle kommt für den Professor beim Liefererantenmanagement immer die Qualität. Danach folgen Kosten- und Zeitmanagement. Um eine zuverlässige Lieferkette zu gewährleiste, empfiehlt sich dennoch ein Lieferantennetzwerk mit Vorzugs-, Alternativ-, und Benchmarkt-Lieferanten aufzubauen.
Lieferanten bewerten und coachen
„Trotz Vergaberecht ist Lieferantenmanagement möglich!“ Auch wenn man aufgrund von Wettbewerbsbeschränkung keine Lieferanten blocken oder bevorzugen könne, sei es dennoch möglich, deren Leistungsfähigkeit aufzulisten und eine Lieferantenbewertung durchzuführen. Ebenso sei das Coaching von Lieferanten ein gangbarer Weg. Die Deutsche Bahn baue dafür beispielsweise Lieferantenakademien auf.
95 % des Beschaffungsbedarfs sind standardisierte Produkte
Prof. Dr. Matthias Einmahl ist seit 2005 Professor an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW in Köln und legt seinen Themenschwerpunkt auf öffentlicher Beschaffung und Vergaberecht.
Einmahl sieht im öffentlichen Sektor das Problem, dass vor allem viele standardisierte Produkte zu beschaffen seien. „Für Bleistifte müssen keine intensiven Lieferantenbeziehungen aufgebaut werden.“
Für Bleistifte müssen keine intensiven Lieferantenbeziehungen aufgebaut werden.
Gerade in Kommunen seien 95 % des Beschaffungsbedarfes standardisierte Produkte – unabhängig von der Besonderheiten der Region sei der Einkauf hier relativ gleichförmig. Spezialbedarf entstünden vorrangig in technischen gezeichnete Behörden oder bspw. der Bundeswehr.
Helmold widerspricht hier. Für standardisierte Bedarfe müsse zwar kein neues Produkt entwickelt werden, trotzdem könne man die Leistung der Lieferanten optimieren und managen.
Personalkosten sind sichtbarer als Lieferantenkosten
Auf der Führungsebene fehlt oft die Bereitschaft für Innovation im Einkauf. Mehrkosten durch schlechtere Lieferanten sind etwa im Vergleich zu Personalkosten nur wenig sichtbar und werden daher politisch kaum unterstützt, so Einmahl.
Klaus Rassmann war zuvor Einkäufer bei zahlreichen Industrieunternehmen und Gesundheitsdienstleistern, Vorsitzender des Vergabe- und Rechnungsprüfungsausschusses der Stadt Gelsenkirchen und ist seit 2006 Zentraleinkäufer im Landesbetrieb Straßenbau.NRW. Auch Rassmann sieht einen starren Fokus auf Personalkosten als Problem. Im Einkauf könne das meiste gespart werden, doch das Bewusstsein in der Verwaltung dafür fehle. Ein weiteres Problem sei die Verortung: Kompetenzen und Fachwissens sind beim Land gebündelt - das erschwere ein gutes Lieferantenmanagement in dezentralen Einheiten zusätzlich.
Dialog zwischen Markt und Staat
Ist ein Bedarf erst einmal ausgeschrieben und das Vergabeverfahren gestartet, verhindere das Vergabrecht erst einmal, dass der Beschaffer mit den Bietern in Kontakt tritt. Rassmann empfiehlt deshlab, den Markt schon vor der Ausschreibung zu erkunden und Besichtigungen bei potenziellen Lieferanten zu unternehmen und sich Ideen zu holen, welche Produkte bereits verfügbar sind.
Lieferanten sollen über bevorstehende Ausschreibungen informiert und vorbereitet werden: „Frühzeitig mit dem Markt in Gespräch gehen“, empfiehlt Helmold. Um den Markt schließlich sachgerecht abzubilden, sollte der Beschaffer zusätzlich externe Expertise hinzuziehen.