E-Akte: Wie die elektronische Akte für die Verwaltung schneller kommt
Prof. Robert Müller-Török beleuchtet die Faktoren, die die Umsetzung der E-Akte erschweren.
Viele Verwaltungen in Deutschland haben spätestens durch COVID-19 erkannt, dass eine elektronische Akte eine absolute Arbeitsnotwendigkeit ist. Andere Länder, beispielsweise Österreich, haben die dort ELAK genannte E-Akte bereits seit fast zwei Jahrzehnten in Betrieb, während sie in Deutschland noch lange nicht als flächendeckend eingeführt betrachtet werden kann. Dies betrifft sowohl die Bundesebene, die Landesebene wie auch die Kommunen. Die einschlägigen Gesetze und Absichten haben Einführungszeiträume bis circa 2025 in Aussicht gestellt. Einzig in Bayern ist die Einführung, was die Landesverwaltung betrifft, bereits abgeschlossen; Rheinland-Pfalz steht kurz davor und sogar Stadtstaaten wie Hamburg brauchen noch Zeit beziehungsweise mussten wie Berlin vor kurzem wieder „zurück an den Start“. Baden-Württemberg ist hier realistischer und wohl ehrlicher, die Einführung der elektronischen Akte wird per Gesetzesänderung auf einen unbestimmten Zeitraum, vermutlich im Laufe 2025, verschoben.
Woran liegt das? Auf Grund des langen Zeitraums beziehungsweise der langen Zeiträume und der Vielzahl der Akteure sicherlich nicht an einer einzigen (politischen) Person, sondern an vielen Faktoren, unter denen mit ziemlicher Sicherheit die Folgenden zu finden sein werden:
E-Akte braucht starke politische Unterstützung
Die Einführung der digitalen Akte wird auch heute noch vielfach als „Technikprojekt“ betrachtet. Sie ist aber ein Organisationsprojekt und zwar wohl das größte Reformprojekt der Verwaltung seit über 200 Jahren. Es geht hierbei nicht um eine „Elektrifizierung bestehender Abläufe“, sondern um eine fundamentale Neugestaltung von Arbeitsprozessen und Arbeitsweisen. Dies bedarf einer sehr starken Unterstützung der politischen Spitze, und zwar auch in der täglichen Umsetzung und über einen sehr langen Zeitraum.
XÖV-Standard XDomea nicht ausgereift
So gibt es neben dem Bund 16 Bundesländer, eine Gewaltenteilung in Exekutive, Legislative und Judikative und über elftausend Kommunen, dazu noch fast dreihundert Landkreise. Dazu kommen noch viele „Special Purpose Vehicles“ vom Schlage beispielsweise einer Bundesagentur für Arbeit oder der Staatliche Lotterieverwaltung in Bayern. Dies wird verschärft durch den Mangel an einem Austauschstandard für Akten, der XÖV-Standard XDomea wird in der Praxis als nicht ausgereift wahrgenommen.
So hat Österreich ELAK eingeführt
Wenn wir die Einführung von Personalcomputern und damit die flächendeckende Auflösung von Schreibbüros zugunsten des Selbstschreibens mit zumeist MS Office-Produkten mit der Markteinführung von Microsoft Office 95 datieren, so hat man in Österreich schnell dafür gesorgt, dass keine Strukturen und Insellösungen beziehungsweise Inselgruppen entstehen, die später nur sehr schwierig wieder zu integrieren sind. So wurde in der österreichischen Verwaltung eine Vorläuferanwendung des ELAK, das sogenannte Kanzleiinformationssystem (KIS), in dem Metadaten und Dokumente nur von der Kanzlei erfasst wurden, bereits um 1990 eingeführt. Der erste tatsächliche ELAK in Österreich wurde vom Außenministerium im Oktober 1997 und wenig später vom Verteidigungsministerium eingeführt.
Eine E-Government-Architektur benötigt die Bausteine:
- Elektronische Identifikation und Signatur, welche in Deutschland schlecht beziehungsweise nicht gelöst sind und auch in Österreich erst mit der nachträglichen „Anwenderfähigmachung“ durch die Handysignatur richtig zu einer verbreiteten Anwendung wurde, die ihre Nutzerstatistiken in Echtzeit veröffentlicht.
- Styleguide, und zwar in einer für alle Verwaltungen aller Ebenen verbindlichen Form
- Portale, welche erst jetzt im Zuge des OZG miteinander vernetzt werden, während sie woanders bereits seit vielen Jahren als Portalverbund existieren
- elektronische Bezahlmöglichkeiten, wie sie mittlerweile auch in Moldau in der Verwaltung eingeführt sind
- und, vor allem eine elektronische Zustellung. In Dänemark wird der Dienst e-Boks von fünf Millionen Menschen verwendet, die 2019 513 Millionen Briefe von über 30.000 Teilnehmern erhielten. Bei einer dänischen Bevölkerung von 5,8 Millionen eine beeindruckende Durchdringung.
- Sowie, second-last but not least, eine elektronische Akte für die Verwaltung, da Einzelbausteine kein tragfähiges Haus ergeben.
- Und: Fachanwendungen, da sonst die realistische Gefahr besteht, dass die E-Akte von einzelnen Behörden mit behördenspezifischen Anforderungen belastet wird und die Eigenschaft als verwaltungsübergreifendes Medium verliert. Die E-Akte ist keine Fachanwendung, sondern ein Trägermedium, in dem auch Input an und von Fachanwendungen aufbewahrt und transportiert sowie archiviert wird.
Wenn die COVID-19-Krise ein Gutes hatte, dann dass sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass E-Government weder eine Modeerscheinung ist noch ein Accessoire, sondern eine fundamentale Notwendigkeit. Dass Gerichte und Verwaltungsbehörden während des Lock-Down sozusagen inoperabel waren, weil Richter vom Homeoffice aus keine Akten bearbeiten konnten, ist nun wohl endgültig ins Narrativ übernommen.
Eine E-Akte hat einige technische Eigenschaften, die sie fundamental von einer Papierakte unterscheiden:
- Die elektronische Akte ist das Original. Bearbeitungen von MS Office-Dokumenten und Versand per E-Mail sind keine elektronische Akte, sondern Umgehungsversuche.
- E-Akte schafft Transparenz. Auswertungen sind möglich, auch die automatisierte Verfolgung von „Liegenbleibern“
- Eine E-Akte einer Verwaltung ist ein Angriffsziel. Entsprechende hochprofessionelle IT-Sicherheitsorganisation ist erforderlich.
E-Akte und die jeweilige Fachanwendung koppeln
Die Herausforderung bei der Einführung einer E-Akte ist, dass man die beiden Extreme hohe „Fachlichkeit“ einerseits und „neutrale Verwaltung“ andererseits schafft. Einerseits muss die E-Akte alle Fachabteilungen und -bereiche gleichmäßig unterstützen, andererseits brauchen beispielsweise Bauanträge oder Gerichtsverfahren bestimmte Daten (Entitäten und Attribute), die speziell und notwendig sind. Hier darf man diese nicht in die E-Akte implementieren, die man damit überfrachten würde, sondern muss die (allgemeine) E-Akte und die jeweilige Fachanwendung koppeln. Wenn nun keine (elektronische) Fachanwendung da ist, besteht die Gefahr, dass die E-Akte hier mit spezifischen Anforderungen zum Beispiel des Grünflächenamtes und des Tiefbauamtes völlig überfrachtet wird. Eine solche E-Akte, die dann auch Fachanwendung jedes Amtes ist, kann nicht funktionieren.
Die Vorteile einer E-Akte sind nach der Einführung vor allem:
- Stärkung der Verwaltungszusammenarbeit
- Effizientere Verwaltung durch Nachvollziehbarkeit des Verwaltungshandelns
- Steuerungsmöglichkeit der Verwaltung durch KPI und Ermöglichung des Aufdeckens von Fehlentwicklungen in Verwaltungsabläufen
Bei den nun erfolgenden und bevorstehenden Implementierungen der E-Akte in vielen Verwaltungen muss die Einfachheit in der Anwendung und hohe Performance der Anwendung im Vordergrund stehen, so dass die E-Akte intuitiv bedienbar ist und die E-Akte als optimales Werkzeug und nicht als „elektronischer Verwaltungsklotz“ wahrgenommen wird. Die überlegene Wirkung der Einfachheit haben uns in den letzten Jahren die Smartphones und die darauf aufgesetzten Apps eindringlich vor Augen geführt. Es wäre an der Zeit, diese auch in der Verwaltung umzusetzen.
Der Autor dankt Dr. Thomas Findeisen, Landesamt für Digitalisierung des Freistaats Bayern sowie Hr. Johann Siegl, Leiter ELAK-Kompetenzzentrum im Österreichischen Bundesrechenzentrum für wertvolle Hinweise bei der Erstellung des Beitrags. Fehler bleiben selbstverständlich in seiner alleinigen Verantwortung.