Verwaltung der Zukunft: Herr Wentorp, Sie beschäftigen sich aktuell mit der Entwicklung flexibler Organisationsstrukturen, wie eben auch Fusion-Teams. Was genau versteht man unter diesem Prinzip?
Wentorp: Fusion-Teams bedeuten, dass mehrere verschiedene Teams existieren, die beispielsweise nur aus IT- oder nur aus Business-Teams bestehen – oder gemischt sind. Wir haben weiterhin traditionelle IT-Infrastrukturen wie Operations, Monitoring, Security und Cloud-Infrastruktur. Mit DevOps und agiler Entwicklung beginnen gemischte Teams. Es gibt horizontale Basisdienste wie ERP, CRM und HR sowie Enterprise Architecture und Risk Management, die alle nutzen.
Und dann gibt es eben die Fusion-Teams, die sich mit spezifischen Themen beschäftigen, teilweise temporär und in sich abgeschlossen. Zum Beispiel könnte ein Team sich mit KI beschäftigen, was noch nicht überall verankert ist. Oder wir setzen ein Team für eine Cloud-Strategie auf, das rein technisch ist. Diese Teams werden nach Bedarf gebildet und aufgelöst, wobei sie sich an den Basisdiensten orientieren.
Diese Teams können flexibel gebildet, verändert oder aufgelöst werden, ohne langwierige Umorganisationen. Wichtig ist dabei die Trennung von fachlicher und disziplinarischer Führung. Fachliche Führung erfolgt durch Experten im Team, während disziplinarische Führung im Organigramm an anderer Stelle angesiedelt ist. Dies erfordert einen Mindsetwechsel der Mitarbeitenden, um zu verhindern, dass disziplinarische Führungskräfte fachliche Entscheidungen treffen, die sie möglicherweise nicht kompetent beurteilen können.
Wir müssen zwischen horizontalen und vertikalen Themen unterscheiden. Derzeit sind wir klassisch hierarchisch aufgebaut, ohne horizontale Themen ausreichend zu berücksichtigen.
VdZ: Fusion-Teams sind in ihrer Natur abteilungsübergreifend. Warum ist das Prinzip der Fusion-Teams vor allem für die IT interessant und welche Rolle spielt sie dabei?
Wentorp: Das Prinzip ist für uns besonders interessant, da IT ein Querschnittsthema im gesamten Unternehmen ist. Jeder benötigt IT, ohne sie läuft nichts mehr. In der Hamburg Port Authority (HPA) versuchen wir, durch IT Innovationen voranzutreiben, z.B. im Service- und Prozessmanagement. IT als Ingenieurswissenschaft sollte strukturiert sein und beinhaltet sowohl horizontale als auch spezialisierte Themen.
Wir müssen flexibel sein, um auf neue Anforderungen zu reagieren. Diese Flexibilität können die Fusion-Teams in der IT sehr gut nutzen. Agile Methoden wie Scrum werden oft von der IT initiiert, da sie nicht nur IT, sondern auch das Business involvieren. So entwickeln wir uns von einer asset-basierten IT hin zu einer wertschöpfungsorientierten IT.
Wichtig ist, die Fachbereiche frühzeitig einzubeziehen, damit gemeinsam Entscheidungen getroffen werden. Dadurch werden spätere Fragen, beispielsweise zu Kosten, vermieden, da alle Beteiligten von Anfang an informiert und einbezogen sind.
VdZ: Für welche Fälle eignet sich die Umstellung zu Fusion-Teams? Welche Umstände müssen gegeben sein?
Wentorp: Das Mindset ist bei diesem kulturellen Wandel sehr wichtig. Es ist ein echter Change, der durchgehalten werden muss, da es vermutlich nicht sofort klappen wird. Man muss viele Dinge bedenken, wie Konfliktmanagement und Budgetverantwortung. Wenn Teams sich nicht einig sind, wer entscheidet dann? Wie plane ich das Budget in einem vernetzten System?
Das sind natürlich Themen, die entweder im Voraus versucht antizipiert zu werden, oder sich im Laufe der Zeit dann eben herausstellen.
VdZ: Das klingt so, als wäre die Umstellung allgemein für IT-Abteilungen vorteilhaft. Warum sind sie oftmals noch nicht so strukturiert?
Wentorp: Der Wechsel zu Fusion-Teams erfordert, dass disziplinarische und fachliche Führung getrennt sind. In Fusion-Teams gibt es eine fachliche Führung, die nicht automatisch auch disziplinarisch ist. Das widerspricht der traditionellen hierarchischen Struktur, in der Teamleiter bis hin zu Spartenleitern aufgeteilt sind.
Im neuen Modell hat der fachliche Leiter des Fusion-Teams die verbindliche Entscheidungsgewalt. Dies erfordert einen kulturellen Wandel und die Bereitschaft, sich von der hierarchischen Aufbauorganisation hin zu einer Netzwerkorganisation zu entwickeln. Diese Veränderung ist eine echte Herausforderung und erfordert ein neues Mindset der Mitarbeitenden.
VdZ: Was sind denn dabei die größten Änderungen für die Mitarbeitenden?
Wentorp: Die größten Änderungen für Mitarbeitende sind, dass sie im Regelfall zwei Führungskräfte haben: einen disziplinarischen und einen fachlichen.
Ich stelle mir das vor wie „zwei Unternehmen in einem“, als hätte ich einen externen Dienstleister. Ein Mitarbeiter von Unternehmen XY, der für die HPA arbeitet, hat einen disziplinarischen Vorgesetzten bei XY und einen fachlichen Vorgesetzten bei der HPA. Der disziplinarische Vorgesetzte regelt Weiterentwicklung, Weiterbildung, Urlaub und Gehalt, während der fachliche Vorgesetzte die Arbeit im Projekt leitet. Und hier ist das Unternehmen XY eben die disziplinarische Organisation innerhalb der IT. Dieses Modell verständlich abzubilden, wird eine Herausforderung sein.
VdZ: Welche Änderungen stehen bei einem Wechsel bezüglich Sicherheit- und Compliance-Richtlinien an?
Wentorp: Eigentlich nicht viele, da die aktuellen Richtlinien bereits sehr stark sind. Bei Compliance geht es vor allem darum, wer was freigeben darf, z.B. Aufträge oder Budgets. Sicherheitsrichtlinien sind aufgabenabhängig und nicht an die hierarchische Struktur gebunden. Administratoren benötigen spezielle Freigaben, die ihre Vorgesetzten gar nicht betreffen.
Die Hauptaufgabe ist, klare Kompetenzrichtlinien im Bereich Compliance zu definieren, also wer Budgetverantwortung und Freigabekompetenz hat. Diese Kompetenzrichtlinien sind funktional getrieben und nicht disziplinarisch. In disziplinarischen Bereichen betrifft das hauptsächlich Personalthemen.
In der IT sind wir weniger betroffen, wichtiger ist es in Bereichen wie Asset Management oder Finanzen, wo nicht jeder Zugriff auf alle Informationen haben sollte.
VdZ: Denken Sie, das Hierarchische ist auch ein etwas typisch deutsches Mindset?
Wentorp: Ich habe gehört, dass das sogenannte "Spotify-Modell" oft missverstanden wird. Es wird oft als sehr offen und hierarchiefrei dargestellt, aber tatsächlich gab es auch bei Spotify Hierarchien. Deutschland hat in Bezug auf Organisationsstrukturen sicherlich seine Besonderheiten. Hierarchisches Denken ist weit verbreitet, was Veränderungen oft schwierig macht. Dennoch gibt es auch in Deutschland Netzwerkorganisationen, ähnlich wie in den USA, den Niederlanden und Skandinavien.
Menschen, die in traditionellen hierarchischen Strukturen arbeiten, finden es oft schwierig, sich auf Netzwerkorganisationen und Fusion-Teams einzustellen. In Deutschland könnte dieser Wandel besonders herausfordernd sein, was aber kein ausschließlich deutsches Problem ist. Andere Länder sind möglicherweise offener und flexibler in ihrem Umgang mit Veränderungen.
Lars Wentorp ist seit über acht Jahren bei der Hamburg Port Authority AöR (HPA) tätig, wo er als IT-Leiter und CIO fungiert. Mit einem Diplom in Informatik von der Universität Hamburg und mehr als 20 Jahren Erfahrung in der Beratung, unter anderem bei renommierten Firmen wie software design & management (heute Capgemini) sowie Systematics, bringt Wentorp umfangreiche Expertise in der IT-Branche mit. Vor seinem Engagement bei der HPA war er als externer Berater für den Ottoversand tätig und unterstützte dort bedeutende Systemumstellungen. Bei der HPA ist Wentorp für die umfassende IT-Betreuung der rund 25 Sparten und Tochtergesellschaften verantwortlich.