"Mehr Fortschritt wagen" heißt es im Koalitionsvertrag und gleich im ersten Kapitel wird festgehalten, dass mit einer unkomplizierten, schnellen und digitalen Verwaltung das Leben der Menschen einfacher gemacht werden soll. Auf der einen Seite erfordert dies technologische Entwicklungen, den Ausbau der IT-Infrastruktur und die Nutzung von KI. Ebenso wichtig ist allerdings, dass es auf Ebene der Ämter und Institutionen Menschen gibt, die Veränderungen annehmen und sie mit guten Ideen und Engagement auch selbst gestalten. Hier setzt der Award an, denn er honoriert Kreativität und Veränderungswillen und gibt Teams und Einzelpersonen Sichtbarkeit, die den Fortschritt bereits leben. VdZ hat sich mit Co-Organisator René Ruschmeier unterhalten, der die Verleihungszeremonie moderiert und den stolzen Gewinner*innen ihren Preis überreicht hat.
René Ruschmeier
René Ruschmeier ist Executive Director bei Kienbaum Consultants International GmbH. Er leitet dort das Geschäftsfeld und das Marktsegment „Bund & Länder“. Nach der Ausbildung in der Kommunalverwaltung, mehreren Berufsstationen dort und einem Studium der Volkswirtschaftslehre wechselte er in die externe Beratung des öffentlichen Sektors.
Verwaltung der Zukunft: Warum sind Leadership und Kultur für die Umsetzung von Fortschrittsimpulsen in den Verwaltungen so wichtig und wie definieren Sie diese beiden Begriffe?
Ruschmeier: Leadership und Kultur sind zentrale Pfeiler für den Fortschritt in Verwaltungen. In einer sich rasant wandelnden digitalen Welt müssen öffentliche Institutionen eine moderne Führungs- und Zusammenarbeitskultur etablieren, um sowohl Talente anzuziehen als auch ihrem gesellschaftlichen Auftrag gerecht zu werden.
Leadership bezieht sich auf das Führungsverständnis und wie Führungskräfte ihre Rollen als Visionäre, Mentoren, Inspiratoren und Erfinder wahrnehmen. Letztendlich bedeutet das Leadership, Verantwortung zu übernehmen und einen Weg zu finden, die Dinge wirklich umzusetzen, die umgesetzt werden müssen und sich dabei an dem „Warum?“ und dem eigentlichen „Ziel“ zu orientieren.
Fortschrittskultur ihrerseits befähigt das Leadership und entsteht selbst durch das Leadership. Wenn sie gelebt wird, fördert sie Innovation, Engagement und eine effektive Anpassung an den Wandel.
VdZ: Nach dem Credo "Kultur ist messbar" wurden die eingehenden Bewerbungen anhand von vier Kriterien evaluiert. Wie sah das in der Praxis aus?
Ruschmeier: Wir haben uns sehr gefreut, eine breit gefächerte und professionelle Jury aus Vertreter*innen der Wirtschaft, der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft und öffentlicher Einrichtungen zusammenzustellen. Jedes Jurymitglied brachte eigene Vorstellungen von einer fortschrittlichen Verwaltung ein – die dadurch angeregten intensiven Diskussionen und das große Engagement der Jury führten zu einem gelungenen Prozess der Kandidatenauswahl und einer tollen Shortlist.
Als nächstes stellt VdZ in der Serie Public Leadership Award 2023 die Gewinner aus der Kategorie Sozialversicherungen vor: DRV Bund – Team Digitalstrategie und digitale Transformation.
Als Award-Team unterstützten wir die Jury, indem wir die Struktur des Bewertungsprozesses festgelegt haben. Dazu hatten wir einen mehrstufigen Prozess ausgearbeitet. Ausgehend von einer Kooperationsstudie von Kienbaum und Wegweiser wurden Kriterien einer fortschrittlichen Verwaltung definiert, die dann weiter in Unterkriterien untergliedert wurden. Diese Bewertungskriterien bildeten die Dimension "Wirkung", die zusätzlich um das weitere Kriterium "Bürger*innen-Nutzen" ergänzt wurde. Neben der Wirkungsdimension wurden alle eingereichten Bewerbungen nach zwei weiteren Dimensionen, nämlich Konzept und Umsetzung, bewertet, die ebenfalls in weitere Kriterien und Unterkriterien unterteilt wurden.
In der Praxis sahen die Bewertungsschritte wie folgt aus: Für jede Kategorie – Bund, Länder, Kommunen, Justiz und Sozialvesicherungen – bildeten wir ein Tandem aus zwei Jurymitgliedern. Diese Tandems bewerteten die Bewerbungen anhand der Score-Card und wählten gemeinsam die 3-5 bestplatzierten Bewerbungen aus. Schließlich setzte sich die gesamte Jury erneut zusammen, um eine gemeinsame Entscheidung über die Top 2 pro Kategorie zu treffen. Die zwei Besten kamen in die Shortlist und durften ihr Projekt auf dem Zukunftskongress vorstellen, wo das Fachpublikum ein Gewinner-Team pro Kategorie bestimmte. Es war also ein ziemlich umfangreiches Auswahlverfahren, das zweifellos viel Einsatz und Engagement seitens der Jury erforderte.
VdZ: Wie wir bei der Verleihung des Public Leadership Award gesehen haben, ist der Wille zur Veränderung da und es mangelt nicht an guten Ideen. Was kann bzw. muss auf struktureller Ebene Ihrer Meinung nach getan werden, um Menschen wie unsere Finalist*innen zu unterstützen und den kulturellen Wandel langfristig und verwaltungsübergreifend spürbar zu machen?
Ruschmeier: Verwaltungen müssen radikale Veränderungen in ihrer Führungs- und Arbeitskultur anstreben. Dies kann beispielsweise durch die Initiierung von Projekten und Austausch ressort-, referats- und abteilungsübergreifend, durch die Bildung von Arbeitsgruppen und die Förderung von Fehlerkultur erreicht werden. Es ist essenziell, Führungskräfte und Mitarbeitende zu ermutigen, neue Lösungen für das (Zusammen)arbeiten auszuprobieren und gleichzeitig in Change-Kommunikation und agile Arbeitsmethoden zu investieren.
Die Kooperationsstudie "Fortschritt, Zeitenwende und Staatsfunktionalität - Leadership und Kultur in der Öffentlichen Verwaltung einer neuen Zeit" wurde von Kienbaum, Wegweiser und dem Kienbaum-Institut@ISM im Jahr 2022 durchgeführt und ist wissenschaftliche Grundlage für den Public Leadership Award. In persönlichen Interviews mit dem Top-Management der Bundesressorts (Abteilungsleiter*innen und Staatssekretär*innen) wurden vier Kriterien einer fortschrittlichen Öffentlichen Verwaltung ermittelt: Leadership, Strukturen, Zusammenarbeit, Ressourcen und Fähigkeiten.
VdZ: Gerade wenn es um Digitalisierung im Öffentlichen Sektor geht, sind eine offene Fehlerkultur und eine Kultur der Verantwortungsübernahme sehr wichtig. Welche Erfahrungen haben Sie hiermit bei Ihrer Beratungstätigkeit für Bund und Länder gemacht?
Ruschmeier: In meiner Beratungstätigkeit für Bund und Länder stelle ich fest, dass die Anerkennung und Akzeptanz von Fehlern als Teil des Lernprozesses nach wie vor eine Herausforderung darstellt. Öffentliche Einrichtungen stehen oft unter dem Druck der Öffentlichkeit und der Politik und sind darauf bedacht, möglichst Fehler und Risiken zu vermeiden. Viele sind immer noch in einer eher konservativen und risikoaversen Haltung verharrt. Das erleben wir immer wieder in unserer Beratungsarbeit.
Es gibt jedoch auch positive Anzeichen, nämlich dort, wo dem hohen Maß an Reflexion und der Bereitschaft, die eigenen Strukturen kritisch zu hinterfragen, nicht nur das Erkennen des Veränderungsbedarfs, sondern auch tatsächliche Umsetzung folgt. Und dies geht Hand in Hand mit der Kultur der Verantwortungsübernahme.
Unsere erfreuliche Erkenntnis aus der Studie war eben, dass es in Ressorts solche Mitarbeitende und Führungskräfte gibt, die einen hohen Reflexionsgrad aufweisen und bereit sind, über die Referats- und Ressortgrenzen hinweg zu denken. Es ist daher wichtig, diese entscheidungsfreudigen Köpfe in ihrer Einstellung zu bestärken und sie nicht in den Konstrukten alter Denk- und Arbeitsweisen versinken zu lassen.
Es ist daher wichtig, diese entscheidungsfreudigen Köpfe in ihrer Einstellung zu bestärken und sie nicht in den Konstrukten alter Denk- und Arbeitsweisen versinken zu lassen.
VdZ: Die Finalist*innen haben u.a. gezeigt, wie wichtig die intelligente Nutzung von KI-basierten Systemen für die Bewältigung von Verwaltungsaufgaben ist. Welche Entwicklungen wird es Ihrer Meinung nach in den nächsten fünf Jahren diesbezüglich geben?
Ruschmeier: In den nächsten fünf Jahren wird die KI die Verwaltung revolutionieren, daran besteht kein Zweifel. Routineaufgaben werden automatisiert, datengestützte Vorhersagen werden die Ressourcenplanung erleichtern, Bürgerdienste werden durch personalisierte Schnittstellen und 24/7-Chatbots optimiert… Gleichzeitig werden wir uns weiter mit den ethischen und datenschutzrechtlichen Herausforderungen auseinandersetzen müssen, um mehr Akzeptanz und Sensibilisierung für die KI sowohl in der Verwaltung als auch in der Gesellschaft zu schaffen. KI wird aber auch einen erheblichen Beitrag zur Schließung der sich immer stärkender zeigenden Fachkräftelücke erbringen. Darum wird sich unsere nächste Initiative drehen, die wir auf dem ThinkTank des Zukunftskongresses Ende August vorstellen werden.
VdZ: Gibt es unter den Projekten der Finalist*innen einen Ansatz, der Sie besonders überrascht oder begeistert hat?
Ruschmeier: Alle Einreichungen waren stark. Ich würde ungern ein einzelnes Projekt herausstellen. Stattdessen würde ich sagen, dass die eingegangenen Bewerbungen uns sehr positiv darin bestärkt haben, dass es auf allen Ebenen und in allen Bereichen der öffentlichen Verwaltung in Deutschland fortschrittsfreudige Menschen gibt, die etwas bewegen wollen. Der Public Leadership Award unterstützt sie dabei und dient als Anreiz für andere.