Digital-lokal – Hannover kommuniziert quartiersbezogen
Viel näher dran als Facebook, Instagram & Co.: Welches Potenzial Nachbarschaftsnetzwerke für Kommunen bieten
Besonders in größeren Städten stellt sich Verwaltungen die Frage: Wie kann man am effektivsten mit dem Bürger kommunizieren? Neben den klassischen postalischen Wegen und Bekanntmachungen eröffnet das Internet unzählige Möglichkeiten – aber auch die Gefahr, sich im „Klein-Klein“ zu verlieren. Denn wie viele Menschen der jeweiligen Adressatengruppen haben tatsächlich einen Facebook-Account? Wer folgt der Stadtverwaltung wirklich auf Twitter? Diese Fragen werden umso kritischer, je höher die Altersstufe. Ein Problem, dem man sich in Hannover in besonderer Weise stellt.
Digital-analoge öffentlich-private Kooperation
„Wir haben einen Kommunikationskanal hinzugewonnen, der uns ermöglicht, Menschen in ihrem Quartier gezielter anzusprechen und zusammenzubringen.“ Patrick Ney ist Projektmanager für die Digitalisierung der Seniorenarbeit in der Landeshauptstadt Hannover. In anderen Worten: Der 33-Jährige zeigt älteren Menschen, welche Chancen das Internet für sie bieten kann. Die Stadt kooperiert dafür seit 2017 mit dem Nachbarschaftsportal „nebenan.de“. Die Quartierskoordinatoren des Fachbereich Senioren sind seit gut einem Jahr aktiv auf der Plattform und weisen regelmäßig auf Angebote der Stadt hin. Zudem stellen sie Infrastrukturlisten mit relevanten Kontakten im Bereich Beratung und Versorgung für ältere Menschen zur Verfügung. Denn nicht jeder kennt die Möglichkeiten im Quartier.
Wir haben einen Kommunikationskanal hinzugewonnen, der uns ermöglicht, Menschen in ihrem Quartier gezielter anzusprechen und zusammenzubringen.
Städtische Anonymität überkommen
Das Social Startup bietet mit der Plattform Privatpersonen die Möglichkeit, sich online mit ihren Nachbarn zu vernetzen. Ziel ist, dass auf den digitalen Austausch der Nachbarn mehr reale Begegnungen im echten Leben folgen. „nebenan.de“ möchte der Anonymität großstädtischer Quartiere entgegentreten und bezweckt, dass aus „Fremden“ wieder „Nachbarn“ werden. „Es entsteht ein Austausch, der unabhängig von Alter, sozialer Schicht oder Herkunft ist", erklärt Gründer Christian Vollmann. Bundesweit haben sich inzwischen 900.000 Nutzer auf der Plattform registriert. Ein solcher Zugang ist auch für Städte und Gemeinden interessant, vor allem für Themen wie Bürgerbeteiligung und Engagement.
Mehrwert für kommunale Kommunikationsarbeit
„Als wir unser Engagement im vergangenen Jahr begonnen haben, lagen die Zahlen in Hannover bei etwa 8.000 Nutzern“, sagt Ney, heute sind es rund 15.000.“ Eine knappe Verdopplung. Natürlich sei die Entwicklung nicht ausschließlich auf die Aktivitäten der Landeshauptstadt zurückzuführen. Der Netzwerker sieht aber in der Seniorenarbeit mit und rundum das Portal in jedem Fall einen Mehrwert. „Die Möglichkeiten, Bürger quartiersbezogen zu informieren, ins Gespräch zu kommen sowie Ideen und Projekte anzustoßen, reichen weit über relativ statische Medien wie Newsletter oder WhatsApp hinaus.“ Aus Sicht des Gerontologen und E-Business-Manager handelt es sich nicht nur um einen neuen Kommunikationskanal. „Es bietet auch einen Zugang etwa zu Milieus, die sonst gerne unter sich bleiben und unsere Angebote eher selten nutzen.“
Als wir unser Engagement im vergangenen Jahr begonnen haben, lagen die Zahlen in Hannover bei etwa 8.000 Nutzern. Heute sind es rund 15.000.
Einjährige Phase zur Probe
Um auf der Plattform nicht mehr als Privatperson, sondern als offizieller Vertreter der Stadt arbeiten zu können, wurde das Portal jüngst um „Organisationsprofile“ ergänzt. Interessierte Unternehmen und Institutionen können sich hier ein Profil anlegen. An dieser Weiterentwicklung hat Hannover aktiv beigetragen: Gemeinsam mit dem Anbieter und weiterer Städte nahm sich die Landeshauptstadt ein Jahr Zeit, um die Zusammenarbeit mit dem Startup auszuprobieren und für die Belange von Kommunen und gemeinnützigen Einrichtungen zu testen.
Eigenentwicklung hätte 100.000 Euro gekostet
Vor der Testphase ist das Vorhaben knappe zwölf Monate in zahlreichen Gremien und Arbeitskreisen vorgestellt worden. Der Fachbereich hatte auch zwei andere Plattformen in Augenschein genommen, um in der Auswahl die richtige Entscheidung zu treffen. Ein ähnliches Portal einer öffentlichen Wohnungsbaugesellschaft in Hannover sei zwischenzeitlich gescheitert, erklärt Ney. Diese Variante hätte sich aber auf eine einzelne Wohnumgebung gerichtet und sei für einen gesamtstädtischen Ansatz mit Blick auf verschiedene Quartiere weniger geeignet gewesen. „Eine weitere Plattform hat zwischendrin mit unserem heutigen Partner fusioniert.“ So fiel die Entscheidung auf den nunmehr größten Anbieter der Branche. Zudem hätte eine städtische Eigenentwicklung über 100.000 Euro und viel Knowhow in der Plattformentwicklung vorausgesetzt.
Portal will noch stärker auf kommunale Bedarfe eingehen
Aus diesen Gründen eröffnete die Dezernentin für Soziales und Sport Konstanze Beckedorf im Frühjahr 2016 die Kooperation. Auch der Partner profitiert davon. „Durch die Kooperation haben wir viel über die Bedürfnisse älterer Nutzer gelernt und konnten unsere Plattform stetig verbessern“, erklärt Geschäftsführer Christian Vollmann. Der Entrepreneur will künftig noch stärker auf die Anliegen von Kommunen, Quartiersentwicklern und lokalen Initiativen eingehen.
Durch die Kooperation haben wir viel über die Bedürfnisse älterer Nutzer gelernt und konnten unsere Plattform stetig verbessern.
Der Schlüssel liegt laut Ney in einem doppelten Ansatz, der sowohl analoge als auch digitale Bemühungen umfasst. Denn nicht wenige ältere Bürger müssen erst einmal an die sozialen Medien herangeführt werden. „Wir haben vor allem Frauen über 70 Jahre, die sich gerne mehr austauschen und ehrenamtlich engagieren wollen, aber bislang überhaupt keinen Zugang dazu haben.“ Ein Situation, die bundesweit vielerorts zu finden ist.
Freiwillige Medien- und Techniklotsen für Senioren
In Hannover gibt es deshalb seit zwei Jahren freiwillige Medien- und Techniklotsen. Das sind meist Ingenieure und Techniker, selbst im Ruhestand, die ihr Wissen rund um die Digitalisierung mit anderen teilen möchten. Ohne eine solche Ein-zu-Eins-Begleitung liegt die Hemmschwelle für eine ganze Reihe an Senioren einfach zu hoch, um sich allein mit den technischen Gegebenheiten vertraut zu machen. Zudem beantworten die Ehrenamtlichen auch grundsätzliche Fragen zu Sicherheit und Datenschutz. Ney: „Auch wenn kein generelles Verständnis für IT vorliegt, haben doch viele von Sicherheitsmängeln gehört.“ Hier kommt das Portal den Bedenkenträgern entgegen.
Wir haben vor allem Frauen über 70 Jahre, die sich gerne mehr austauschen und ehrenamtlich engagieren wollen, aber bislang überhaupt keinen Zugang dazu haben.
Über datenschutzrechtlichen Anforderungen hinausgehen
Im Vergleich zu großen bekannten Netzwerken müssen sich Nutzer als tatsächliche Bewohner ihrer Nachbarschaft ausweisen. Darüber hinaus ist es Pflicht, den Klarnamen anzugeben. Die Gründer sprechen von einem „vertrauensvollen Umgang“ und einem „geschlossenen digitalen Raum“, der Schutz vor Missbrauch bietet. Das Portal wird von der „Good Hood GmbH“ in Berlin betrieben, ist mittlerweile TÜV-zertifiziert und prüft Organisationen auf ihre gemeinnützigen Absichten. Durch seine eigenständigen Bemühungen oberhalb der datenschutzrechtlichen Anforderungen empfehlen z. B. der Deutscher Städtetag, die Diakonie und die Gemeinschaftsinitiative „Nationale Stadtentwicklungspolitik“ von Bund, Ländern und Kommunen das Portal.
Rollenverteilung mit Mehrwert zwischen Betreiber und Kommune
Trotzdem braucht es oft Zeit, bis sich angehende „Silver Surfer“ tatsächlich aktiv im Netz bewegen – manchmal mehrere Monate. Und genau hieran lässt sich auch die nützliche Rollenverteilung zwischen frei agierendem Startup und gemeinwohl- bzw. sozial orientierter Kommune festmachen. Die beteiligten Mitarbeiter des Fachbereichs Senioren koordinieren das Engagement von Stadt und Sozialträgern rundum das Netzwerk und können gleichermaßen sinnvolle Dinge in die Stadtverwaltung bis zur Entscheidungsebene hineintragen. Die Gründer um Christian Vollmann hatten nicht nur den Mut groß zu denken und so das Portal überhaupt aus der Taufe zu heben, sondern besitzen offenbar auch den Anspruch, es schnell fortzuentwickeln.
So widersprüchlich das klingen mag: Gerade für ältere Menschen ist Geschwindigkeit hier wichtig, damit sie möglichst schnell durch einladende und noch besser händelbare Instrumente mit ihrer Umgebung in Kontakt treten und bleiben können – auch bei schwindender Mobilität.