Gov Innovation Labs für nachhaltigere Steuerung und Strategiebildung
Verwaltungsinterne Abstimmungen verbessern: Diskussionspapier regt integrative Neuorientierung durch gemeinsame Auftaktgruppe der Bundesressorts an
Digitaliserung und Nachhaltigkeit zusammenbringen
Eines dürfte klar sein: Es gibt heute zunehmend Aufgaben, die lassen sich in den tradierten Verwaltungsstrukturen preußischer Herkunft kaum noch lösen, und sei der Ressourceneinsatz auch noch so hoch. Dabei geht es vor allem um die Chancen bzw. Aufgaben, die mit dem notwendigen Wandel hin zu einer global nachhaltigen Entwicklung und der Digitalisierung als Motor aktueller Strukturumbrüche einhergehen. Beide Dynamiken gilt es politisch und administrativ klug zusammen-zuführen. Und beide, Denken in mehreren Perspektiven und elektronische Vernetzung, ermöglichen insbesondere bei Effizienz, Bürgernähe und Effektivität ein weitaus besseres öffentliches Handeln. Wenn es gut läuft.
Es geht vor allem um die Chancen bzw. Aufgaben, die mit dem notwendigen Wandel hin zu einer global nachhaltigen Entwicklung und der Digitalisierung als Motor aktueller Strukturumbrüche einhergehen.
Um das digitale Potenzial und die Synergien verteilten Wissens im „Maschinenraum des Regierens“ auszuschöpfen, müssen die bisherigen „analogen“ Strukturen der Ministerialbürokratie ebenfalls auf „Vernetzung“ ausgerichtet werden. Dafür gibt es hierzulande erste Beispiele.
Erste E-Government- und Beschaffungsagenturen
Seit vergangenem Jahr versucht die Bundeswehr mit dem Cyber Innovation Hub, Startups näher an sich zu binden, um an innovative Ausrüstung zu gelangen. Auch die Kooperation zwischen Bundesinnenministerium (BMI) und BMVg im Rahmen der „Agentur für Innovation in der Cyber-Sicherheit“ soll die Beschaffung innovativer gestalten. Hier will man sich an der amerikanischen Defense Advanced Research Projects Agency (Darpa) orientieren. Das BMI kündigte dieses Jahr zudem eine E-Government-Agentur an, die Methodenwissen und Knowhow in der Bundesverwaltung verbreiten und die digitale Transformation insgesamt aktiv unterstützen soll. Geplant sind demnach verwaltungsinterne „Ideen-Pitches“ und die Gründung von internen „Startups“, in denen kleine Teams „relativ frei“ agieren sollen. Theoretisch.
Weiterhin fehlt es an frühzeitigem Austausch unterschiedlicher Perspektiven und übergreifenden und gut verankerten Leitideen.
Schwierige Abstimmungsprozesse, übergreifende Ziele kaum verankert
Insgesamt werde weiterhin ein sehr hoher Anteil der Ressourcen für verwaltungsinterne Abstimmungen innerhalb und zwischen Ressorts eingesetzt, erklärt Jörg Mayer-Ries: „Oft allerdings zu einem relativ späten Zeitpunkt der Erarbeitung politischer Vorhaben und dann meist mit aufwändigen und immer wieder schwer nachvollziehbaren Auseinandersetzungen um Details.“ Demnach fehlt es an frühzeitigem Austausch unterschiedlicher Perspektiven sowie übergreifenden und gut verankerten Leitideen. Stattdessen sorgten etablierte Fachdisziplinen und Detailinteressen sowie Abteilungs-, Ebenen- und Ressortegoismen für „zu isolierte und kurzfristig ausgerichtete Interpretationen anstehender Herausforderungen“. Das ist zu wenig nachhaltig und zu wenig effizient – zumindest, wenn es darum geht, das vorhandenes ministerien- und branchenübergreifendes Wissen für eine möglichst gute Strategiebildung zu nutzen, betont Mayer-Ries.
Im Grunde gibt es auf der Ebene von Bundesministerien zu wenig Möglichkeiten eines frühzeitigen, ergebnisoffenen und systematischen Austauschs zu übergreifenden, komplexen und noch nicht konkret zuordenbaren Themen.
Zu neuen Themen fehlt es an systematischem Austausch
Dieser Einwurf in die öffentliche Modernisierungsdebatte kommt aus einer bislang ungewöhnlichen Richtung. Mayer-Ries, lange Zeit als Moderator und Organisationsberater aktiv, ist seit 2007 Referatsleiter für nachhaltige Entwicklung im Bundesumweltministerium (BMU). Er ist für Grundsatz- und Querschnittsfragen in seinem Haus und ressortübergreifende Prozesse der Bundesregierung zuständig. In anderen Worten: Der promovierte Ökonom und Politikwissenschaftler kennt die inner- wie interministeriellen Abläufe und weiß, wie auf regierungspolitscher Bühne zusammengearbeitet wird. Dass es hier Defizite gibt, ist gerade angesichts beschleunigter, grundlegender Umbrüche in Technologie, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur deutlich spürbar: „Im Grunde gibt es auf der Ebene von Bundesministerien zu wenig Möglichkeiten eines frühzeitigen, ergebnisoffenen und systematischen Austauschs zu übergreifenden, komplexen und noch nicht konkret zuordenbaren Themen.“
Kommunikation und Policy Making-Prozess weiterentwickeln
Ein innovativer Policy Making-Prozess – also eine neue Art, wie Kommunikation erfolgt, um Erkenntnisse, Prioritäten und letztlich Gesetze entstehen zu lassen – fordert neben einer „neuen Art“ zu Denken ebenso neue Strukturen und Prozesse. Das betrifft letztlich die interne Arbeit des politisch-administrativen Systems genauso wie die Zusammenarbeit mit externen Akteuren (Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft). In seinem Diskussionspapier konzentriert sich der Referatsleiter vorerst auf die innere Perspektive der Ministerialbehörden.
Eine Auftaktgruppe für ein Government Innovation Lab…
- zielt darauf, die Steuerung und Strategiebildung für künftig wichtige Themen zu verbessern
- agiert aus den bisherigen Strukturen der Ministerialbürokratie heraus und liefert einen inhaltlich, organisatorisch, finanziell und politisch überschaubaren Impuls
- initiiert einen strategischen, konzeptionellen, methodischen und prozeduralen Austausch über Abteilungs- und Ressortgrenzen und damit auch fachliche Einzelperspektiven hinweg
- arbeitet interministeriell, um neue Herausforderungen multiperspektivisch zu betrachten und kooperative Problemlösungsansätze hervorzubringen
- berücksichtigt die bürokratieinternen Fach- und Prozesskompetenzen und knüpft an bereits vorhandene politisch-administrative Instrumente für den eigenen Aufbau an
- lernt ständig dazu, probiert aus und darf Fehler machen
- rekrutiert sich aus interessierten, engagierten und gut vernetzten Verwaltungsmitarbeitern etwa aus Planungs- und Grundsatzreferate
18-monatiger Forschungsaufenthalt am IASS
Mayer-Ries bringt dabei noch einen anderen Einschlag mit, ein Novum: Als einer von wenigen Führungskräften aus der deutschen Ministerialbürokratie absolvierte er einen Aufenthalt als Senior Fellow von Anfang 2017 bis zum Sommer dieses Jahres am Potsdamer Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS). Der Auftrag seines Ministeriums: u. a. durch den Aufbau einer politisch beratenden Wissenschaftsplattform neue umwelt- und nachhaltigkeitspolitische Initiativen vorbereiten. Es ist gerade diese Erfahrung, die ihm nicht nur Gelegenheit gab, das Diskussionspapier zu einem „Government Innovation Lab“ auszuarbeiten, sondern die darin enthaltenden Punkte in einem erweiterten Kontext zu betrachten.
So entstehen zwar derzeit in vielen Ländern und an vielen Stellen des öffentlichen Sektors experimentelle Formen der Kooperation, meist mit dem Ziel der Modernisierung und Digitalisierung des tradierten Verwaltungsapparates. Allerdings liegt die Herausforderung eines dem Gemeinwohl heutiger und zukünftiger Generationen verpflichteten öffentlichen Handelns darin, Digitalisierung explizit als Mittel zum Zweck, als Treiber für Entwicklung, aber nicht deren Sinn zu verstehen.
Als Voraussetzungen dafür braucht es …
- eine mehrere Ressorts übergreifende Entscheidung, die möglichst aus dem Kanzleramt heraus gefördert und kommuniziert wird
- mehrere „treibende“ Bundesministerien, die möglichst bereits hohe Kompetenzen im Bereich von ressortübergreifenden strategischen Vorausschauen besitzen
Resilienz nur gemeinsam zu erreichen
Vor dem Hintergrund des global, europäisch wie national politisch vereinbarten Rahmens für Gemeinwohl, der Agenda 2030 der Vereinten Nationen von 2015, liegt dieser Zweck darin, die Regierungsarbeit insgesamt besser auf die international, europäisch und national vereinbarte Zielsetzung einer „nachhaltigen Entwicklung“ ausrichten zu können. Zu Neudeutsch geht es um Resilienz, um die Aufrechterhaltung gesellschaftlichen Zusammenhalts und intakter ökologischer Grundlagen angesichts systemischer Risiken für die globale Gemeinschaft wie die Natur unseres Planeten. Ziel ist es, Handlungskapazitäten aufzubauen und vorhandenes Wissen zu nutzen, um ganz allgemein gesprochen, künftigen Einflüssen auf die Bundesrepublik nicht nur reaktiv zu begegnen, sondern im Voraus besser erkennen, sondieren und gestalten zu können. Es braucht eine multiperspektivische Vorausschau, Strategiebildung und Steuerung.
Mehr „positive Koordination“ gefragt
Der Autor bemängelt, dass die bestehenden Kommunikations- und Abstimmungsroutinen zwischen den Ressorts nicht hinreichen, um angesichts neuartiger und unüberschaubarer Problemstellungen eine angemessen kontroverse, ergebnisoffene und systematische konzeptionell-strategische Diskussion führen zu können. Das gilt im Grunde für alle übergeordneten politischen Fragen und Probleme: Ausgelegt sind Behördenstrukturen und Mitarbeiter im Rahmen der bisherigen Regularien, Prozesse und Anreize auf Einzelziele und eindeutige Zuständigkeiten, die in mehr oder minder linearer Verknüpfung zum allgemeinen Wohl beitragen sollen.
Das funktioniert aber nicht mehr in Zeiten des gleichzeitigen, nichtlinearen Wandels vielfach miteinander verschränkter Systeme. Klimawandel, Digitalisierung, Migration und multiple politische Krisen – hierfür braucht es weitaus mehr „positive Koordination“, die unterschiedliche Perspektiven in Kontakt bringt, verschiedene Interessen sichtbar macht, möglichst frühzeitig Zuständigkeits- und Handlungskorridore „konsolidiert“ und damit langwierigen Ressortkonflikten im Nachhinein zuvorkommt.
Frustration hochengagierter Mitarbeiter entgegenwirken
Nicht zuletzt geht es darum, die auch international herausragende, aber verteilte Expertise unserer Administration zusammenzuführen und gerade qualitätsblindem Bürokratieabbau sowie einer verbreiteten Frustration hochengagierter Mitarbeiter in vereinzelten „Silos“ entgegenzuwirken. „Wir müssen unsere vorhandenen Ressourcen weitaus besser nutzen.“
In diversen Bereichen einzelner Ressorts dürften wichtige Kenntnisse zu solchen möglichen Zukunftsentwicklungen vorliegen. Allein diese zusammen zu bringen, wäre höchst aufschlussreich.
BMU, BMZ und BMVg könnten im Bereich "Foresight" kooperieren
Beides, gemeinsame Interessen und Instrumente, seien in der Praxis teilweise schon vorhanden. Als Beispiel nennt Mayer-Ries den ressortübergreifenden Austausch zu Themen und Methoden strategischer Vorausschau, auch Government Foresight. So hätten etwa das Bundesministerium für Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ), das Verteidigungsministerium (BMVg), das Auswärtige Amt und das BMU ein inhärentes Interesse daran, welche ökologischen, ökonomischen, sozialen und politischen Entwicklungen sich in bestimmten Regionen der Welt künftig und in Wechselwirkung miteinander vollziehen. „In diversen Bereichen einzelner Ressorts dürften wichtige Kenntnisse zu solchen möglichen Zukunftsentwicklungen vorliegen. Allein diese zusammen zu bringen, wäre höchst aufschlussreich.“ Vorausschau (Foresight) und Lagebestimmung sind aber nur zwei von vielen Themen.
Unübersichtliche Landschaft der Beiräte und Kommissionen
Die allgemeine Praxis sieht allerdings anders aus. Wie auch der aktuelle Koalitionsvertrag mit beabsichtigten 19 neuen Kommissionen zeigt, reagiert Politik mit immer neuen Beratungsgremien auf die vielfältigen politischen Herausforderungen, darauf ausgerichtete organisatorische Neuerungen innerhalb der Behörden sind dagegen selten.
Allein auf Bundesebene tagen aktuell regelmäßig etwa 30 rein wissenschaftliche Beiräte und schätzungsweise 200 bis 300 mit externen Experten besetzte Kommissionen.
Allein auf Bundesebene tagen aktuell regelmäßig etwa 30 rein wissenschaftliche Beiräte und schätzungsweise 200 bis 300 mit externen Experten besetzte Kommissionen. Dennoch, so Mayer-Ries, gelange anders als etwa in den USA externe Expertise nur schwer in den tatsächlichen Policy Making-Prozess, was letztlich Vertreter beider Seiten beklagen. Analog zu und jeweils orientiert an den auftraggebenden Ressorts seien die Agenden der diversen Gremien kaum auf eine gemeinsame Mission zu bringen. Das nüchterne Fazit des Referatsleiters: „Zwischen ihnen gibt es bislang kaum nennenswerte Kooperationen – man arbeitet jeweils für sich allein.“
Auch dieser Befund war ein Anlass für Nachhaltigkeitsfachleute der Bundesregierung, eine Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030 zu initiieren, sie existiert nun seit 2017. „Diese Plattform bot im Mai dieses Jahres den Ort, erstmals mehrere wissenschaftliche Beiräte der Bundesregierung einzuladen, um sich untereinander über gemeinsame Themen, zukünftige politische und gesellschaftliche Herausforderungen und Optionen besserer Politikberatung auszutauschen - ein Novum im Kommissionsbetrieb.“
Besser in die Zukunft schauen
In seinem Papier geht es Mayer-Ries erstmal weniger darum, externe Beratungsexpertise aus Wissenschaft und Wirtschaft zu integrieren. Das von ihm skizzierte „Government Innovation Lab“ versteht sich bewusst begrenzt als Impuls innerhalb der Ministerialbürokratie.
Vorerst geht es darum, intern nicht-öffentliche Kräfte aufzubauen, die dann übergeordnete Themen- und Fragestellungen erschließen und Optionen einer weiteren Problembearbeitung allen Ressorts zur Verfügung stellen könnten. Wie oben erwähnt, könnten mehrere Ressorts im Bereich „Foresight“ etwas aus ihren Forschungs-, Planungs- und Grundsatzreferaten beitragen und so gemeinsame Kompetenzen aufbauen. „Im Vordergrund stehen ein strategischer, konzeptioneller, methodischer und prozeduraler Austausch über Abteilungs- und Ressortgrenzen und damit auch fachliche Einzelperspektiven hinweg.“