Analoge Prozesse gänzlich hinterfragen
Schleswig-Holstein modernisiert Verwaltungsleistungen nach Nutzenpotenzial und bisherigem Digitalisierungsgrad | Themenfelder „Umwelt“ und „Hobbys & Freizeit“
„Wir beginnen mit Verfahren, die entweder noch überhaupt gar nicht digitalisiert sind oder mit Leistungen, die sehr oft von Bürgerinnen und Bürgern oder Unternehmen in Anspruch genommen werden“, sagt Sven Thomsen, Abteilungsleiter im Digitalisierungsministerium und Chief Information Officer (CIO) des Landes Schleswig-Holstein. Als zentraler Ansprechpartner ist er für jegliche Aufgaben, die das Land Schleswig-Holstein bei der Umsetzung des OZG übernommen hat, zuständig. Das sind vor allem öffentliche Leistungen aus dem Umweltbereich – denn Bund und Länder wollen ihre Leistungen und Verfahren möglichst arbeitsteilig digitalisieren. Und dann austauschen.
Meine Mitarbeiter haben Spaß an der Sache und sind an den gewählten Themen selbst interessiert – das motiviert.
60 Mitarbeiter im Zentralen IT-Management Schleswig-Holstein
Jedes Land übernimmt Aufgaben und Verantwortung – orientiert am Königsteiner Schlüssel. Im gemeinsamen IT-Planungsrat hat sich das nördlichste Bundesland neben "Umwelt" deshalb auch freiwillig dafür gemeldet, sich am Ressort „Hobbys & Freizeit“ zu beteiligen. „Das wird uns ganz bestimmt zusätzlich belasten“, erklärt Thomsen, dessen Abteilung – das Zentrale IT-Management Schleswig-Holstein (ZIT) – ungefähr 60 Leute umfasst. „Meine Mitarbeiter haben aber Spaß an der Sache und sind an den gewählten Themen selbst interessiert – das motiviert.“
Zügige Fortschritte und Fehleranalysen durch Scrum
Um dem ambitionierten Zeitplan gerecht zu werden, braucht es schnelle Fortschritte bei der Entwicklung der IT-Prozesse, unterstreicht Thomsen. „Deshalb arbeiten wir mit Scrum.“ Scrum ist ein Projektvorgehen, was zu Zwischenergebnissen frühzeitig Rückmeldungen ermöglicht, sodass ebenfalls frühzeitig Korrekturen durchgeführt werden können. Bereits zum Ende des ersten Quartals 2019 soll eine erste Version des neuen Landesportals Schleswig-Holstein zur Verfügung stehen, die dann laufend weiterentwickelt wird. Es ist also nicht mehr der „eine Schuss“, der früher zumindest immer juristisch sitzen musste. Stattdessen geht es um zügige Fortschritte und Fehleranalysen. Im Rahmen von Rücksprachen, im Scrum-Jargon „Sprint Reviews“ genannt, tauschen sich die einzelnen Projektgruppen alle zwei Wochen aus: Hierbei geht es vor allem darum herauszufinden, was funktioniert, was noch nicht und wie es weitergehen soll. Dieser Prozess findet aber nicht mehr hinter verschlossenen Türen statt, die Verwaltung hat sich längst geöffnet.
In den "Sprint Reviews" geht es vor allem darum herauszufinden, was funktioniert, was noch nicht und wie es weitergehen soll.
Die Nutzer ins Boot holen
„Laboratorien sind bei uns mehrtägige Veranstaltungen, die wir mit allen möglichen Stakeholdern und vor allem natürlich den Anwenderinnen und Anwendern durchführen“, so Thomsen. Im Fall der „Genehmigung zum Betrieb oder wesentlichen Veränderung einer Röntgeneinrichtung“ dreht es sich also beispielsweise darum, zuerst einmal mit den Nutzern zu sprechen und zu hören, was die Bedarfe sind und wie eine digitale Variante der bisherigen Formulare und Verfahren praxisnah umgesetzt werden kann.
Ziel unserer kommenden Workshops ist es zu klären, welche Prozesse die Anwenderinnen und Anwender tatsächlich benötigen – nicht welche schon vorhanden sind.
Apps von morgen brauchen neue Ideen
Ziel ist es, die notwendigen staatlichen Verfahren für die Bürgerinnen und Bürger so einfach wie möglich und gleichzeitig rechtssicher darzustellen. Ein Anspruch, der nicht immer komplett erfüllbar ist. Es braucht neue Ideen, damit Applikationen von morgen bei den Nutzerinnen und Nutzern nicht ähnliche Vorurteile und Hemmnisse hervorrufen, wie es bundesweit bei vielen bürokratischen Verfahren aktuell der Fall ist.
IT-Dienstleister eingebunden
So greift es zu kurz, die bisherigen Dokumente schlicht als PDF ins Netz zu stellen. Im Grunde geht es darum, den bisher analogen Prozess gänzlich zu hinterfragen: „Ziel unserer kommenden Workshops ist es zu klären, welche Prozesse die Anwenderinnen und Anwender tatsächlich benötigen – nicht welche schon vorhanden sind. Und das schaffen wir zusammen mit den Anwenderinnen und Anwendern“, sagte Thomsen. Neben Ärzten, Herstellern und ihren Berufsverbänden beteiligt sich mit Dataport auch der öffentliche IT-Dienstleister an den Veranstaltungen – und die Kommunen. Denn die meisten der 575 Leistungen aus dem OZG-Umsetzungskatalog werden vor Ort erbracht.
Bilaterale Entwicklungskooperationen
Städte, Gemeinden und Landkreise sind nicht verpflichtet, sich finanziell daran zu beteiligen, die neuen IT-Prozesse zu entwickeln, betont Thomsen und ergänzt: „Wir wollen die Kommunen mit ihrem Wissen aber so gut wie möglich darin einbinden.“ So gibt es bereits länger bestehende bilaterale Kooperationen zwischen dem Land und der Landeshauptstadt Kiel sowie dem Amt Hüttener Berge (bei Eckernförde). Ähnliche Modelle sind mit weiteren Landkreisen angedacht. Damit auch die Vielzahl kleiner Gemeinden effektiv eingebunden werden kann, haben die Kommunalverbände zudem kürzlich den IT-Verbund Schleswig-Holstein (ITVSH) neu aufgestellt.
Wir wollen die Kommunen mit ihrem Wissen aber so gut wie möglich einbinden.
Der bisherige Verein soll nun als Anstalt öffentlichen Rechts kommunale Belange bündeln und gegenüber dem ZIT und Dataport besser zur Sprache bringen. Auch wenn das Land selbst nicht mehr Mitglied dieses IT-Verbunds ist, übernimmt das Digitalministerium einen Teil der Finanzierung und stellt personelle Ressourcen zur Verfügung. Zwei MELUND-Mitarbeiter sollen einen möglichst reibungslosen Austausch und eine gute Zusammenarbeit zu gewährleisten.
OZG: Absichtserklärung zwischen Land und Verbänden
Dass die Kooperation zwischen den Ebenen nicht einfach nur so „daher gesagt“ ist, zeigt eine Absichtserklärung. Land, kommunale Landesverbände und die Industrie- und Handelskammern haben 2018 schriftlich vereinbart, das OZG als gemeinsame Aufgabe sicherzustellen. Je nach ihrem Zuständigkeitsbereich verpflichten sich die Beteiligten dazu, bis Ende 2019 mindestens zehn Prozent der Leistungen digital anzubieten. Ende 2020 sollen es dann mindestens 40 Prozent sein („Low-Hanging-Fruits“), 2021 mindestens 85 Prozent („Massen-Roll-Out“) und Ende 2022 dann 100 Prozent („letzte Meile“).
OZG-Agenda in Schleswig-Holstein
- Ende 2019 = 10%
- Ende 2020 = mind. 40%
- Ende 2021 = mind. 85%
- Ende 2022 = 100% der ca. 575 Verwaltungs-leistungen digitalisiert
Land sorgt für zentrale IT-Infrastrukturen
Die schleswig-holsteinische Landesregierung versichert in dem Papier zudem, seinen Kommunen die zentralen Infrastrukturen bereitzustellen, die es für die künftigen elektronischen Bürger- und Unternehmen-Services braucht. Dazu zählt etwa das Bürger-Portal, das jede Kommune durch ihr örtliches Wappen und weitere individuelle Elemente anpassen kann. Hinzu kommen mehrere integrierte Dienste, die das Land durch Dataport kostenfrei zur Verfügung stellen will – wie etwa das digitale Bürger-Konto, E-Payment-Verfahren und ein Portal für elektronische Rechnungen. Eine solche Zusage an ihre Kommunen haben bisher längst nicht alle Länder gegeben.
Das Land stellt das Bürger-Portal zur Verfügung, das jede Kommune z. B. durch ihr örtliches Wappen anpassen kann. Hinzu kommen mehrere integrierte Dienste, wie ein digitales Bürger-Konto und ein E-Payment-Dienst.
Bis zur Schnittstelle des örtlichen Fachverfahrens
Das bedeutet, das Land steht in der Verantwortung, die im OZG-Umsetzungskatalog aufgeführten Verwaltungsverfahren zur Verfügung zu stellen und zu finanzieren. Das umfasst neben dem Front-End, das was Bürgerinnen und Bürger im Browser sehen, jeweils die Bereitstellung einer Schnittstelle, an die bei den Kommunen am weit verbreitetsten Fachverfahren.
Wie beschrieben haben sich Bund und Länder die Aufgaben bei der Digitalisierung der OZG-Leistungen aufgeteilt. Neben „Umwelt“ und „Engagement und Hobbies“ kann das Land in den weiteren der insgesamt 14 Bereiche auf Entwicklungen des Bundes und der anderen Bundesländer zurückgreifen. Hierbei sollen geeignete kommunale Lösungen für die Städte, Gemeinden und Landkreise zwischen Nord- und Ostsee berücksichtigt und an landesspezifische Besonderheiten angepasst werden.
Entwicklungshandbuch soll Kommunen unterstützen
Die Absichtserklärung sieht weiterhin vor, dass den Kommunen im ersten Quartal 2019 ein Entwicklungshandbuch zur Verfügung gestellt wird. Ziel ist es, vor Ort unabhängige Entwicklungsarbeiten zu ermöglichen, mit denen spezifische kommunale Fachanwendungen und automatisierte Prozesse über eigene Schnittstellen an die vom Land bereitgestellte E-Government-Infrastruktur angebunden werden können.
Die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes verlangt das Entwickeln und Programmieren vieler öffentlicher IT-Prozesse sowie die Anbindung bestehender, vor allem kommunaler Fachverfahren. Mehr aber noch ist das Ganze ein riesiger Koordinations- und Abstimmungsprozess zwischen den vielen Akteurinnen und Akteuren auf verschiedenen föderalen Ebenen.
Erster Klick-Dummy im März
Mit Blick auf das Beispiel des Antrags für Röntgen-Anlagen soll Anfang März in einem Workshop möglichst schon der erste Prototyp, etwa in Form eines „Klick-Dummys“, der künftigen digitalen Umsetzung entstehen. Die IT-Abteilung um Leiter und Landes-CIO Sven Thomsen organisiert nicht nur den landesinternen Austauschprozess mit Kommunen und sämtlichen Stakeholdern, sondern steht zudem auch immer wieder im bundesweiten Dialog. „Alle zwei Wochen tauschen wir uns beispielsweise mit unserem Partnerland Rheinland-Pfalz aus.“ Mainz und Kiel haben sich die 40 länderrelevanten Verwaltungsprozesse aus dem Bereich Umwelt aufgeteilt. Das Bundesumweltministerium ist für die Erstellung weiterer 13 Prozesse auf Bundesebene zuständig.
Alle zwei Wochen tauschen wir uns mit unserem Partnerland Rheinland-Pfalz aus.
IT-Planungsrat tagt in Lübeck
Thomsen bereitet derzeit zudem das im März stattfindende Frühjahrstreffen des IT-Planungsrates in Lübeck vor. Die zuständigen Abteilungsleiter kamen dafür bereits im Februar zusammen. Auf bilateraler Ebene stehe außerdem ein Besuch beim Amtskollegen in Sachsen-Anhalt auf der Agenda, dort arbeitet man an der Digitalisierung von Verfahren im Bildungsbereich. Thomsen: „Es wird interessant zu sehen, wie die Kollegen dort vorgehen.“