Dokumentation im Vergabeverfahren: Was schreibt der Transparenzgrundsatz vor?
Fachanwalt Andreas Haak gibt Handlungsempfehlungen für die Beschaffungspraxis
Die Dokumentation
Anders als vielfach angenommen, ist ein Vergabeverfahren erst dann gelungen, wenn der öffentliche Auftraggeber seine vergaberechtskonformen Entscheidungen auch nachvollziehbar und lückenlos dokumentiert. Die Dokumentationspflicht ist Ausfluss des Transparenzgrundsatzes, der das gesamte europäische und nationale Vergaberecht durchzieht.
Der vergaberechtliche Transparenzgrundsatz ist an prominenter Stelle in § 97 Abs. 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen („GWB“) geregelt.
Vergabeverfahren schriftlich dokumentieren
Jedes Vergabeverfahren, ob unter- oder oberhalb der EU-Schwellenwerte, ist von der Vergabestelle schriftlich zu dokumentieren. In der Vergabeakte muss der Auftraggeber alle Informationen und Verfahrensschritte ablegen, die notwendig sind, um das Vergabeverfahren in seiner Gesamtheit nachzuvollziehen. Hierzu gehören der formale Verfahrensablauf und der materielle Inhalt aller im Laufe des Verfahrens getroffenen Entscheidungen, freilich aber auch die Kommunikation mit den Bietern und interne Beratungen.
Die Dokumentation muss fortlaufend, sorgfältig, detailliert und nachvollziehbar gestaltet sein.
Dokumentation des Vergabeverfahrens in chronologischer Reihenfolge
Die Dokumentation ist laufend fortzuschreiben. Es ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass das Verfahren lückenlos dokumentiert wird. Für die Dokumentation ist die Textform nach § 126b des Bürgerlichen Gesetzbuches („BGB“) vorgeschrieben. Das bedeutet, dass die Unterlagen in chronologischer Reihenfolge zur Vergabeakte genommen werden müssen. Zur Erhöhung der Nachvollziehbarkeit bietet sich zudem eine Gliederung nach den verschiedenen Verfahrensschritten (z.B. Bedarfsfestlegung, Bekanntmachung, Wahl der Verfahrensart/Eignungs- und Zuschlagskriterien, Leistungsbeschreibung, Öffnung der Angebote, Prüfung und Wertung usw.) an.
Der öffentliche Auftraggeber dokumentiert das Vergabeverfahren von Beginn an fortlaufend in Textform nach § 126 b des Bürgerlichen Gesetzbuchs, soweit dies für die Begründung von Entscheidungen auf jeder Stufe des Vergabeverfahrens erforderlich ist. Dazu gehört zum Beispiel die Dokumentation der Kommunikation mit Unternehmen und interner Beratungen, der Vorbereitung der Auftrags-bekanntmachung und der Vergabeunterlagen, der Öffnung der Angebote, Teilnahmeanträge und Interessensbestätigungen, der Verhandlungen und der Dialoge mit den teilnehmenden Unternehmen sowie der Gründe für Auswahlentscheidungen und den Zuschlag.
Erleichtert die Beweisführung in einem potenziellen Rechtsstreit
Die Dokumentation erleichtert der Vergabestelle in einem späteren Rechtsstreit die Beweisführung und macht umgekehrt die Entscheidungen für den Bieter und die Nachprüfungsinstanz überprüfbar. Ob die einzelnen Verfahrensschritte vergaberechtskonform erfolgt sind, ergibt sich aus dem Vergabevermerk. Insbesondere die hohen Anforderungen an die Dokumentation der Angebotswertungen waren in den letzten Jahren wiederholt Gegenstand der Rechtsprechung (BGH, Beschluss vom 04.04.2017 – X ZB 3/17; VK Brandenburg, Beschluss vom 22.06.2018 – VK 5/18; VK Westfalen, Beschluss vom 14.02.2019 – VK 1-44/18).
Neben der zentralen Regelung in § 8 VgV enthalten § 6 der Unterschwellenvergabeordnung („UVgO“) und § 20 der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen, Teil A („VOB/A“) parallele Vorschriften für den Unterschwellenbereich. § 20 VOB/A EU verweist hingegen auf die Regelung der VgV.
Der Vergabevermerk
Die Anfertigung des Vergabevermerks ist ein zentraler Teilaspekt der Dokumentationspflicht. Per definitionem ist der Vergabevermerk der schriftlich niedergelegte Nachweis über alle Maßnahmen, Feststellungen und Entscheidungen innerhalb des Vergabeverfahrens. Der öffentliche Auftraggeber nimmt den Vergabevermerk zur Vergabeakte. Der Vergabevermerk kann aus mehreren Teilen bestehen. Es ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass das Verfahren lückenlos dokumentiert wird (VK Lüneburg, Beschluss vom 02.08.2018 – VgK-29/2018).
Der öffentliche Auftraggeber fertigt über jedes Vergabeverfahren einen Vermerk in Textform nach § 126b des Bürgerlichen Gesetzbuchs an.
Warum diese konkreten Verfahrensart, warum keine Losvergabe?
In inhaltlicher Hinsicht beschreibt § 8 Absatz 2 Satz 2 VgV die für den Vergabevermerk geltenden Mindestangaben. Dazu gehören neben den allgemeinen Angaben wie Name und Anschrift des Auftraggebers, Gegenstand und Wert des Auftrags auch die Gründe für die Wahl der konkreten Verfahrensart und für den Verzicht auf eine Losvergabe.
Darüber hinaus ist es aus Sicht des Auftraggebers in vielen Fällen sinnvoll, besondere oder kritische Verfahrensfragen in den Vergabevermerk aufzunehmen. Die schriftliche Begründung bietet der Vergabestelle hier die Möglichkeit, die getroffene Entscheidung zu rechtfertigen und sich vorab zu „entlasten“. Damit dient der Vergabevermerk zugleich der Selbstreflexion des Auftraggebers. Eine besondere Begründungsbedürftigkeit kann sich beispielsweise im Hinblick auf die Wahl von besonderen Eignungskriterien oder in besonderen Fällen der Nur-Preis-Vergabe einstellen.
Internen Entscheidungs- und Willensbildungsprozess wiedergeben
In diesem Zusammenhang ist darauf zu achten, dass die Gründe nicht pauschal oder formelhaft bleiben, sondern sich auf den konkreten Auftrag beziehen. Der Vergabevermerk sollte daher – mitunter verkürzt – die tragenden Erwägungen beinhalten, um die Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen der Vergabestelle – sei es für die Bieter oder in einem etwaigen Nachprüfungsverfahren – sicherzustellen. Nur in diesem Fall geht aus dem Vermerk deutlich hervor, dass der Auftraggeber seinen Beurteilungsspielraum in Bezug auf die jeweiligen Entscheidungen erkannt und sachgerecht ausgeübt hat. Insbesondere bei Ermessensentscheidungen muss der Vergabevermerk den internen Entscheidungs-/Willensbildungsprozess der Vergabestelle wiedergeben. Das bedeutet gleichzeitig, dass ein schlichter Verweis auf einen „billigenden Prüfvermerk“ eines Rechtsanwalts nicht ausreicht. Die Erstellung eines Vergabevermerks darf nicht delegiert werden.
Bei Abweichungen vom vergaberechtlichen Regelverfahren bedarf es einer besonderen – ausführlicheren – Begründung im Vergabevermerk. So ist besteht beispielsweise bei der Wahl des Verhandlungsverfahrens eine besondere Darlegungs- und Begründungspflicht. Wesentliche oder „weichenstellende“ Entscheidungen verlangen dabei einen erheblichen Detaillierungsgrad und Begründungstiefe!
Von der Pflicht zur Anfertigung eines Vergabevermerks zu unterscheiden sind die Pflichten zur Auftragsbekanntmachung (§ 37 VgV) und Vergabebekanntmachung (§ 39 VgV) sowie zur Bereitstellung der übrigen Vergabeunterlagen (§§ 29, 41 VgV). Diese zu veröffentlichenden Dokumente erfüllen – ebenfalls als Ausprägung des Transparenzgrundsatzes – einen rein informatorischen Zweck für Bewerber und Bieter.
Formblätter als Orientierungshilfe
Bei der Erstellung des Vergabevermerks können frei abrufbare Formblätter als Orientierungshilfe dienen. Speziell für Bauvergaben bietet das Vergabe- und Vertragshandbuch für die Baumaßnahmen des Bundes (Ausgabe 2017) online unterschiedliche Formulare an, die zur vereinfachten Erstellung der Dokumentation – betitelt als „Vergabevermerke“ – genutzt werden können.
Dennoch ist im Umgang mit Formblättern Vorsicht geboten: Nicht in allen Fällen reicht das Formblatt für sich genommen als Vergabevermerk aus. So bieten die in den Formblättern vorgesehenen Textfelder in komplexen Vergabeverfahren sie nicht ausreichend Platz für die dann vergaberechtlich geforderte Ausführlichkeit der Begründung. In diesen Fällen bedarf es einer ausführlichen Begründung in einem separaten Dokument.
Dokumentationspflicht unbedingt beachten
Verstöße gegen die Dokumentationspflicht sollten nicht unterschätzt werden. Denn bei fehlender oder unzureichender Dokumentation ziehen die Beschaffungsstellen oftmals den Kürzeren. Die Auswirkungen können gravierend sein: Dokumentationsmängel führen dazu, dass das Vergabeverfahren ab dem Zeitpunkt, in dem die Dokumentation unzureichend ist, fehlerbehaftet und in diesem Umfang zu wiederholen ist.