Balance mit der Ordnung
"Gefühl der Sicherheit schaffen" | Umdenken bei der Personalakquise | BKA-Chef Münch kündigt "Meilensteine" für den Herbst an
Ordnung als Voraussetzung einer funktionierenden Migrationspolitik
Einen Tag vor Verabschiedung des Migrationspakets mit insgesamt sieben Gesetzen im Bundestag räumte Bundesinnenminister Seehofer dem wichtigen Thema auch in seiner Rede auf dem „Gesellschaftlichen Dialog Öffentliche Sicherheit“ eine prominente Rolle ein. So sei die humanitäre Verpflichtung schutzbedürftigen Migranten gegenüber ohne Frage wichtig, doch dürfe dabei eine “Balance mit der Ordnung“ nicht außer Acht gelassen werden. Mit dem Paket, welches u.a. die Identitätsfeststellung erleichtern und damit die Rückführung von Personen ermöglichen soll, würde „national geregelt, was national regelbar“ sei. Eine „europäische Regel“ würde hoffentlich folgen. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im nächsten Jahr könne produktiv genutzt werden, um hier weitere Schritte einzuleiten. Gleichzeitig weitete Seehofer den Verantwortungsrahmen aus und betonte, dass für eine reibungslose Umsetzung auch die Wirtschaft in der Bringschuld stehe. Die Politik ist demzufolge in den Bereichen Qualifikationsbeurteilung und administrative Umsetzung maßgeblich auf die Unterstützung der Betriebe angewiesen. Der Bundesinnenminister stellte zudem fest, dass eine starke Diskrepanz zwischen gefühlter und tatsächlicher Sicherheit herrsche und wob damit den roten Faden des "Gesellschaftlichen Dialogs" auch in seine Rede: Trotz aller Herausforderungen durch Rechtsradikalismus oder Islamismus sei die Bundesrepublik ein äußerst sicheres Land. Das Gefühl der Menschen jedoch sei häufig ein anderes. Laut Seehofer ist es die maßgebliche Aufgabe der Politik, dieses Gefühl der Sicherheit auch bei der Bevölkerung zu schaffen.
Ein Neuanfang für Wirtschaft und Industrie?
Den Vertretern von Sicherheitsbehörden und Industrie bot sich die Möglichkeit, sich offen über Schwierigkeiten in der bisherigen Zusammenarbeit auszutauschen. Insbesondere die Erläuterung einer erweiterten Kooperationsstrategie des BND durch den Chief Information Officer der Behörde, Frank Leonhardt, stieß auf reges Interesse. Dr. Sebastian Leder konstatierte, dass sich in anderen Fällen leider gerade die Chefetagen in den Behörden als der „Blockstein“ erwiesen, der Charakter stehe hier im Weg. Viel zu stark herrsche in den Behörden Angst vor Faktoren außerhalb des Beschaffungsprozesses: „Man hat Angst vor der Presse, vor politischen Gegnern. Neue Ideen werden deshalb abgelehnt.“ Häufig würde das Vergaberecht in Behörden dazu genutzt, um sich dahinter zu verstecken, so Leonhardt. Dr. Christian Wildhagen wies darauf hin, dass selbst die Unternehmen nicht über ein vollständiges Wissen darüber verfügten, welche Produkte am Markt verfügbar seien. Behörden befänden sich demgegenüber in einer ungleich schlechteren Ausgangsposition. Umso wichtiger sei eine konstruktive Zusammenarbeit, die nicht durch zeitfressende Debatten obstruiert würde.
Personalbeschaffung der anderen Art
Auf die personellen Herausforderungen, denen sich die Sicherheitsbehörden im Zuge der Digitalisierung zunehmend ausgesetzt sehen, würde vom öffentlichen Dienst heute nicht mit ausreichender Schlagkraft reagiert, so der Tenor von Vertretern der Riege. Einhellig wurde betont, dass der öffentliche Dienst ein durchaus attraktiver Arbeitgeber sei, allerdings mangele es an anderen Stellen, in erster Linie im Bereich der Kommunikation: „Ich glaube nicht, dass die öffentliche Hand erkennt, was sie eigentlich zu bieten hat. Der Purpose wurde noch nicht in aller Konsequenz kommuniziert“, so Dr. Christian Rosen. Besonders problematisch wird es zudem, wenn es um das „Halten“ der Arbeitskräfte geht. Hier müsse dringend ein Umdenken und ein Mentalitätswandel in den Behörden stattfinden, sonst sei mit kaum überschaubaren Konsequenzen zu rechnen: „Es gibt irgendwelche kruden Geheimhaltungsvorschriften, die, wenn wir sie genauer überprüfen, überhaupt nicht greifen. Das hat auch etwas mit dem Mindset zu tun. Es wird richtig wehtun im nächsten Jahrzehnt, was die Aktivfachkräfte im gesamten öffentlichen Dienst angeht“, so Rainer Kasecker, Leitender Kriminaldirektor vom Polizeipräsidium Mittelfranken. Insbesondere mit Blick auf die meist sehr freiheitsliebende Haltung der sogenannten „Nerds“ komme es hier zu einem wahren Zusammenprall der Mentalitäten, der eine erfolgreiche Personalpolitik in den nächsten Jahren vermutlich noch weiter erschweren wird.
Vereinheitlichung der polizeilichen IT-Architektur mit „Polizei 2020“
Die bisherige Achillesferse der Polizei war ihre zerklüftete IT-Landschaft, welche nun im Rahmen des Programms „Polizei 2020“ vereinheitlicht werden soll. Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamts, stellte das Programm en detail vor und ging auf Schritte ein, die für eine Harmonisierung nötig sind. Ziel des Programms soll die Befähigung eines jeden Polizisten sein, immer und überall über alle notwendigen Informationen zu verfügen. Jeder Ermittler soll zudem in die Lage versetzt werden, Zusammenhänge zu erkennen. „Mehrfachabfragen in verschiedenen Datentöpfen“ und weitere Redundanzen würden dadurch endgültig zum Relikt der Vergangenheit. Dafür sei jedoch wichtig, dass die Systeme „einmal für alle“ entwickelt werden, so Münch. Die ersten Meilensteine sind im Herbst zu erwarten.
Viele Fragen, aber auch Chancen
Durchaus kritisch betrachtet wurden die Möglichkeiten sowie die Aufgaben von Frontex. Für Deutschland als größtem Kontingentsteller der Agentur würde sich die Frage stellen, was eigentlich die Aufgaben seien, so Dagmar Busch, Abteilungsleitung für Angelegenheiten der Bundespolizei. Christian Seel, Staatssekretär im Saarländischen Ministerium für Inneres, Bauen und Sport, knüpfte die Personalfrage an die Effizienz der Behörde: „Wo soll beim eigenen Bedarf – ich denke da an den wachsenden Rechtsstaat, für den auch entsprechend Personal notwendig ist – dann noch die große Zahl für Frontex abgestellt werden? Wo ist da der Mehrwert bei der alltäglichen Tätigkeit?“
Laut Seel bietet Frontex perspektivisch auch durchaus Chancen, die jedoch in erster Linie von einer Optimierung der Zusammenarbeit unter den EU-Staaten abhängt. Unter Verweis auf die Flüchtlingskrise betonte er: „Ich glaube nicht, dass die Einzelstaaten in der Lage sind, dieses Problem zu lösen. Das hat auch 2015 nicht geklappt. Die Abgabe von ein wenig Souveränität und etwas mehr Kooperationsbereitschaft wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Busch wies auf die Ressourcen von Frontex hin, die noch nahezu unerschlossene Möglichkeiten hergeben. Mit Ausnahme von Deutschland, das die Angebote von Frontex „zu 40 Prozent“ buche und insbesondere im Bereich von Rückführungen darauf zurückgreife, sei die Aktivität der anderen EU-Staaten trotz Kostenerstattung verschwindend gering. Darüber hinaus könne sich die Agentur zu einem wichtigen Akteur bei der Datenzusammenführung entwickeln. Flüchtlinge sind unterwegs, das sei ohnehin meist bekannt. Dagegen oft unbekannt sei die Identität der Menschen. Hier könnte Frontex eine entscheidende Rolle spielen.
Es gibt noch viel zu tun: Cyberabwehr-Zentrum Plus
Welche Meilen- und Stolpersteine säumen den Weg zum Cyberabwehr-Zentrum Plus? In seinem Impulsvortrag wies Andreas Könen, Leiter der Abteilung Cyber- und Informationssicherheit im Bundesinnenministerium, auf die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit von Behörden, Ländern und perspektivisch auch der Wirtschaft im Rahmen dieser „zentralen Koordinierungsplattform“ hin. Die Spezialkenntnisse vieler Mitarbeiter stehen dabei laut Chief Technological Office Funk im Mittelpunkt. Umso wichtiger seien jedoch auch klare Schnittstellen, die noch geschaffen werden müssen.
Eine weitere Unterscheidung gab Prof. Dr. Kurt Graulich von der Juristischen Fakultät an der Humboldt-Universität zu Berlin zu berücksichtigen: Wo liegt der Unterschied zwischen privat und öffentlich? Dieses Wissen sei dringend notwendig, um überhaupt eruieren zu können, welche Aktivitäten von den jeweiligen Teilnehmern zu erwarten seien. Laut Dr. Markus Hellenthal, Executive Vice President Public Sector, Capgemini, ist auch die Frage einer Beteiligung der Wirtschaft noch offen ist. Die jüngste Erfahrung habe gezeigt, dass die Bereitschaft der Industrie zur Kooperation durch die Meldepflicht sogar rückläufig sei.
Wie geht man mit Fake News um
Die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer brachte im Abschlussplenum auf den Punkt, was den Umgang mit Fake News erschwert: „Die populistische Falschinformation ist häufig sehr emotional, sehr schlicht. Sie packt den Menschen sofort. Das was wir zu verkaufen haben – also die Wahrheit, Politik, der verfassungsgemäße Auftrag, darüber zu informieren – , ist komplex.“ Der beste Schutz vor Fake News sei die Ausbildung einer starken Medienkompetenz innerhalb der Bevölkerung. Diese müsse, notfalls auch kleinschrittig, erfolgen. Klar sei, dass man einige „Glaubenskrieger“ nicht werde mitnehmen können, so Stefan Kaller, Abteilungsleiter für Öffentliche Sicherheit im Bundesinnenministerium. „Trotzdem müssen wir Unfug klar und sachlich zurückweisen.“