"Mein Leben gehört mir!" Echt jetzt?
Wann darf, soll, muss die Polizei bei einem Suizidversuch einschreiten?
Aber auch strafrechtlich sollte alles bedacht werden, schließlich ist "Tötung auf Verlangen" gemäß § 216 StGB ausdrücklich mit Strafe bedroht und die Strafandrohung ("von sechs Monaten bis zu 5 Jahren") macht deutlich, welch hoher Unrechtsgehalt diesen Taten beigemessen wird.
Allerdings: Die ursprüngliche Absicht des Gesetzgebers, auch die geschäftsmäßige Förderung einer Selbsttötung eines anderen grundsätzlich unter Strafe zu stellen (§ 217 StGB) wurde durch das Bundesverfassungsgericht durch Urteil vom 26.2.2020 wieder einkassiert. Spätestens jetzt taucht die keineswegs seltene, sondern leider sehr praxisrelevante Frage auf, ob die Polizei einen ihr bekannt gewordenen Suizidversuch überhaupt verhindern darf – oder sogar muss!?
Die Haltung "Mein Leben gehört mir!" zu verabsolutieren, würde allerdings auch bedeuten, dass damit die staatliche Schutzpflicht für die Gewährleistung des Lebens gemäß Art. 2 Absatz 2 GG – rustikal formuliert – unter die Räder käme. Juristisch formuliert geht es hier um die Abwehr einer Gefahr für Leib und Leben zum Schutz der öffentlichen Sicherheit. Oder wollte das BVerfG mit dem "Recht auf Suizid" die Polizei daran hindern, Selbsttötungen nicht zu unterbinden?
In dieser Gemengelage aus verfassungsrechtlichen, polizeirechtlichen, aber auch ethischen Überlegungen wird zwecks Erreichung eines passablen argumentativen Notausgangs auf den Begriff der "freien, selbstbestimmten Entscheidung" abgestellt. Also eine Entscheidung pro Suizid ohne äußeren Zwang oder irgendwelche psychische Störungen. Das BVerfG hat in ergreifender Schlichtheit geurteilt, dass ein freiverantwortlicher angestrebter Suizid zu akzeptieren sei – wie aber können die Einsatzkräfte in kürzester Zeit dieses Kriterium überprüfen?
Wann ist ein beabsichtigter Freitod freiverantwortlich – und wann nicht? Den jungen Mann, dessen "Leben ohne Gaby keinen Sinn mehr macht", einfach in den Tod springen lassen? Oder – falls möglich – doch retten, weil auch "andere Mütter schöne Töchter haben"!?
Den Menschen, und damit auch Suizidwilligen, wird eine nüchterne Bilanzierung ihres Lebens zugestanden. Man darf die Qualität des Lebens mit dem Tod abwägen. Das aber bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass man ohne Rücksicht auf den eigenen Verlust des Lebens andere mit Leid überziehen darf. Beispiel: das bewusste Überfahrenlassen durch einen Zug, bei dem Lokführer traumatisiert werden. Ein Albtraum für jeden Zugführer.
Am Ende bleibt es wohl bei der beliebten Feststellung, dass es immer "auf den Einzelfall ankommt" – und damit auf den verantwortlichen Umgang unserer Polizeien mit Fällen, bei denen es immer – wortwörtlich – um Leben oder Tod geht.
Der Autor, Wolfgang Bosbach, ist Kongresspräsident des Berliner Kongresses für Wehrhafte Demokratie. Von 1994 bis 2017 war er Mitglied des Deutschen Bundestages und dort unter anderem von 2000 bis 2009 stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für den Bereich Innen- und Rechtspolitik und von 2009 bis 2015 Vorsitzender des parlamentarischen Innenausschusses.
Der 7. Berliner Kongress Wehrhafte Demokratie - Gesellschaftlicher Dialog für Innere Sicherheit, Verteidigungsfähigkeit und Zusammenhalt findet vom 16. bis 17. Juni 2025 im Hotel de Rome in Berlin statt.