Dr. Gisela Meister-Scheufelen; NKR Baden-Württemberg
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„Ein Demokratie-Projekt“

Empfiehlt die Gründung weiterer Normenkontrollräte: Ein Interview mit der Vorsitzenden des NKR Baden-Württemberg

Der Bund hat einen, seit zwei Jahren auch der Freistaat Sachsen und in Baden-Württemberg hat der bundesweit dritte Normenkontrollrat kürzlich erstmals einen Bericht vorgelegt. „Verwaltung der Zukunft“ sprach mit der Vorsitzenden des Normenkontrollrats Baden-Württemberg, Dr. Giesela Meister-Scheufelen, über Motivation, Probleme und Ziele der Arbeit ihres Gremiums.
Hat viel Erfahrung gesammelt in Politik und Verwaltung: Dr. Gisela Meister-Scheufelen ist seit Anfang des Jahres Vorsitzende des NKR Baden-Württemberg. Zuvor war die 62-Jährige u. a. Landtagsabgeordnete in Stuttgart, Staatssekretärin für Wirtschaft und Technologie im Land Berlin, Ministerialdirektorin im Finanzministerium sowie Präsidentin des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg.
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Verwaltung der Zukunft: Frau Dr. Meister-Scheufelen, ganz kurz: Was unterscheidet den „NKR-Ansatz“ von anderen Bemühungen, Bürokratie in den Griff zu bekommen? 

Meister-Scheufelen: In diesem Modell geht es darum, Bürokratie nicht erst dann anzugehen, wenn sie entstanden ist, sondern schon im Entstehen. Wir setzen im Rechtsetzungsprozess an, noch vor der Verabschiedung von Gesetzen und Vorschriften. Dazu nutzen wir mit dem „Standardkostenmodell“ ein international anerkanntes Instrument, um den Erfüllungsaufwand zu messen und „objektivierbar“ zu machen. Weiterhin arbeitet der NKR als ein ressortunabhängiges Gremium, das die Mitarbeiter in den Ministerien unterstützt und einlädt, diesen Ansatz gemeinsam umzusetzen.      

VdZ: Erst einmal sind also Investitionen und Mehrarbeit in den Ministerien notwendig…

Meister-Scheufelen: Es ist sicherlich ein zusätzlicher Aufwand für die Ministerien, aber der Nutzen ist sehr groß. Auf Bundesebene ist es seit 2006 gelungen, zwölf Milliarden Euro an Bürokratiekosten abzubauen. Nicht zuletzt geht es hier um ein „Demokratie-Projekt“: Bürger und Unternehmen erfahren – als Adressaten – überhaupt erstmals, was an „Kosten“ auf sie zukommt. Es geht um Transparenz! Diesen Ansatz finden im Übrigen mittlerweile auch eine ganze Reihe europäischer Länder interessant.

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Bürger und Unternehmen erfahren als Adressaten überhaupt erstmals, was an „Kosten“ auf sie zukommt.

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VdZ: Welche Zuständigkeiten obliegen dem Normenkontrollrat Baden-Württemberg?

Meister-Scheufelen: Wir haben uns in der Ausgestaltung der Aufgaben wesentlich am Bund orientiert. Es gibt aber doch zwei Unterschiede: Im Vergleich zum Nationalen NKR arbeiten wir bislang nicht auf einer gesetzlichen Grundlage, sondern auf Basis von Verwaltungsvorschriften. Darüber hinaus haben wir die Aufgabe, auch die Darstellung der Ziele zu überprüfen, die mit Gesetzen verfolgt werden sollen. Kann der „Gesetzeszweck“ noch systematischer, plausibler und konkreter dargestellt werden? Sind die Gesetze auch nachhaltig im Sinne des Leitfadens der Landesregierung? Diesen Fragen nach der „Effektivität“ gehen wir in Baden-Württemberg zusätzlich nach.  

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Die Landesregierung hat sich vorgenommen, das nun gestartete System nach zwei Jahren zu evaluieren.

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VdZ: Soll es denn absehbar eine gesetzliche Grundlage geben?  

Meister-Scheufelen: Die Landesregierung hat sich vorgenommen, das nun gestartete System nach zwei Jahren zu evaluieren. Anfang 2020 entscheidet sich, ob und ggf. mit welchen Inhalten ein solches Normenkontrollratsgesetz für den Landtag vorbereitet werden soll.

Mitglieder des NKR Baden-Württemberg sind (v. l. n. r.): Dr. Gisela Meister-Scheufelen (Vors.), Dr. Rudolf Böhmler (Staatskanzlei-Chef a. D. des Landes Baden-Württemberg), Bernhard Bauer (stellv. Vors. Ministerialdirektor a. D.), Gisela Färber (Prof. für Wirtschaftl. Staatswiss. an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer), Bürgermeisterin Gerda Stuchlik (Freiburg) und Claus Munkwitz (Hauptgeschäftsführer a. D. Handwerkskammer Region Stuttgart).
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VdZ: Das heißt, Ihr Gremium steht dann womöglich auch zur Disposition?

Meister-Scheufelen: Das System ist zunächst einmal auf fünf Jahre angelegt. Deshalb sind auch die sechs ehrenamtlichen NKR-Mitglieder auf fünf Jahre ernannt worden. Nach dem Regierungsprogramm, das die Landesregierung im September 2017 verabschiedet hat, ist beabsichtigt, unter Berücksichtigung der Evaluationsergebnisse einen Regierungsentwurf einzubringen, mit dem der Normenkontrollrat auf der Grundlage eines formellen Gesetzes eingesetzt werden soll.

VdZ: Ein eigenes Gesetz wäre ja wiederum selbst ein Stück Bürokratie, die es ja eigentlich zu vermeiden gilt… 

Meister-Scheufelen: Tatsächlich war kein Gesetz notwendig, um den NKR zu gründen. Es ist auch keines notwendig, um den Erfüllungsaufwand zu messen und darzustellen, wie wir es jetzt schon tun. Allerdings könnte ein Gesetz dem Bürokratieabbau womöglich noch nachhaltiger gestalten, so müssten etwa die Verwaltungsvorschriften, die in Baden-Württemberg grundsätzlich auf sieben Jahre befristet sind, nicht immer wieder verlängert werden. Und ein Gesetz ist auch ein noch klareres politisches Statement. Genaueres soll die Evaluation klären.

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Referenten aus allen drei Häusern haben mehr als 80 Mitarbeiter aus unseren Landes-ministerien zum Standardkostenmodell fortgebildet. Diese Vorbereitung war ganz ausgezeichnet!

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VdZ: Der nationale NKR hat seine Unterstützung für alle Länder angeboten, die ein ähnliches Gremium schaffen wollen – inwieweit hat Ihnen das geholfen?

Meister-Scheufelen: Wir pflegen nicht nur gute Kontakte zum NKR-Vorsitzenden Dr. Johannes Ludewig, sondern tauschen uns auch viel mit Prof. Dr. Conny Mayer-Bonde und Landrätin Dorothea Störr-Ritter aus, die beide aus Baden-Württemberg kommen und ebenfalls Mitglied im Nationalen NKR sind. Wir haben zudem sehr viel Unterstützung von Statistischen Bundesamt und vom Bundeskanzleramt erfahren. Referenten aus allen drei Häusern haben mehr als 80 Mitarbeiter aus unseren Landesministerien zum Standardkostenmodell fortgebildet. Diese Vorbereitung war ganz ausgezeichnet! Aktuell überlegen wir auch, ob es Sinn macht, gemeinsame Gutachten mit dem nat. NKR in Auftrag zu geben.

Der NKR in Sachsen ist bereits seit zwei Jahren "im Amt". Auch wenn beide Gremien unterschiedlich aufgestellt sind, tauschen sich Stuttgart und Dresden regelmäßig aus.
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VdZ: Wie war darüber hinaus die Zusammenarbeit mit Sachsen?

Meister-Scheufelen: Anders als Baden-Württemberg beschränkt sich der sächsische NKR darauf, Landesgesetze und Kabinettsverordnungen zu prüfen. Das Land hat aber mittlerweile zwei Jahre Erfahrung und einige methodische Fragestellungen schon weitaus intensiver diskutiert als wir. Daran sind wir interessiert und dazu tauschen wir uns regelmäßig aus.    

VdZ: Was würden Sie anderen Bundesländern mit auf den Weg geben, die ebenfalls über die Gründung eines NKRs nachdenken?

Meister-Scheufelen: Ich kann anderen Ländern nur empfehlen, auch ein am nat. NKR orientiertes Modell einzuführen. Wir stellen in Baden-Württemberg schon jetzt fest, dass es nicht nur um mehr Transparenz geht, sondern dass durch das Berechnen und Ausweisen der Aufwandskosten zusätzlich ein Bewusstseinsprozess in den Ministerien einsetzt. Die Mitarbeiter müssen sich intensiv damit beschäftigen, ob es Verfahrensformen gibt, die Bürokratielasten vermeiden oder reduzieren.   

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In Baden-Württemberg überprüfen wir derzeit 1.400 Vorschriften, die eine händische Unterschrift vorgeben – die meisten können durch digitale Signaturen ersetzt werden.

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VdZ: Verwaltungsmodernisierung heißt heute zumeist Digitalisierung – wird diesem Umstand auch bei Ihnen Rechnung getragen?   

Meister-Scheufelen: Die Digitalisierung spielt auch bei uns eine entscheidende Rolle. Die „eingesparten“ zwölf Mrd. Euro beim Bund sind mindestens zur Hälfte auf die Digitalisierung von Verfahren zurückzuführen, etwa die digitale Rechnung. In Baden-Württemberg überprüfen wir derzeit 1.400 Vorschriften, die eine händische Unterschrift vorgeben – die meisten können durch digitale Signaturen ersetzt werden. Diese Vereinfachungen sind gerade für die Landes- und kommunale Ebene wichtig, weil auch viele Regelungen des Bundes letztlich vor Ort umgesetzt werden und dort die eigentliche Bürokratie anfällt.

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Eine Änderung der Vereinssatzung erfordert zurzeit eine aufwändige notarielle Beglaubigung, um im Vereinsregister eingetragen zu werden. Hier gibt es Länder, die dies weitaus einfacher handhaben.

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VdZ: Wissen Sie denn, wo Bürgern und Betrieben der „bürokratische Schuh“ drückt – und wie sieht es eigentlich mit den vielen Vereinen im Ländle aus?

Meister-Scheufelen: Wir haben erst kürzlich eine Untersuchung unter den Kammern und Verbänden im Land durchführen lassen, in welchen Bereichen sie sich von Regelungen besonders belastet sehen. Eine weitere Studie wird sich mit Regeln befassen, die Vereine von der Gründung bis zu ihrer Beendigung einhalten müssen. Eine Änderung der Vereinssatzung erfordert zurzeit eine aufwändige notarielle Beglaubigung, um im Vereinsregister eingetragen zu werden. Hier gibt es Länder, die dies weitaus einfacher handhaben. Im Fokus stehen zudem die vielen Vorschriften, die Vereine und Kommunen rundum öffentliche Veranstaltungen wahrzunehmen haben, vor allem mit Blick auf die Sicherheit.

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Bei der Berechnung gesetzlicher Kosten sind wir sehr weit. Der tatsächliche Nutzen einer Rechtsetzung ist dagegen wirklich schwer zu quantifizieren.

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VdZ: Sie sprachen eingangs davon, auch den Zweck bzw. das Ziel von Gesetzen stärker prüfen zu wollen. Ist es überhaupt möglich, deren tatsächliche Wirkung (Outcome, Impact) zu bemessen? 

Meister-Scheufelen: Bei der Berechnung gesetzlicher Kosten sind wir sehr weit. Der tatsächliche Nutzen einer Rechtsetzung ist dagegen wirklich schwer zu quantifizieren. Teilweise kann dies gelingen, wenn ähnliche Sachverhalte oder Projekte etwa durch Förderprogramme unterstützt bzw. nicht unterstützt und danach hinsichtlich ihres Verlaufs evaluiert werden.

In der Schweiz gibt es bereits Berechnungsmodelle, die anhand von Indikatoren mit einem einfachen Ampelsystem handhabbare Aussagen über den Nutzen treffen sollen. In Deutschland hat sich der nat. NKR das Thema „Wirkung“ auf die Fahnen geschrieben – auch hierzu stehen wir in Kontakt. Für uns ist es erstmal wichtig, dass wir Gesetzesziele noch systematischer und konkreter beschreiben, um diese später überhaupt evaluieren zu können.