DNA
© Gerd Altmann

Forensische DNA-Analysetechnik im Wandel: Chancen, Grenzen und notwendige Entwicklungen

5 Fragen an Prof. Dr. Katja Anslinger

Die forensische DNA-Analyse hat sich in den letzten drei Jahrzehnten durch die Erweiterung der Auswertungsverfahren sowie durch die Erhöhung der Sensitivität dieser immens weiterentwickelt. Diese Fortschritte eröffnen neue Möglichkeiten für die Strafverfolgung, werfen jedoch gleichzeitig ethische und rechtliche Fragen auf. Im Interview erörtert Prof. Dr. Katja Anslinger, Leiterin der Spurenkommission der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München, historische Meilensteine und rechtliche Grenzen der DNA-Analyse in Deutschland, betrachtet internationale Unterschiede und erläutert die Sinnhaftigkeit der verantwortungsvollen Nutzung von DNA-Analyseverfahren.

1. VdZ: Frau Anslinger, Sie arbeiten seit über 30 Jahren auf dem Gebiet der forensischen DNA-Analyse. Wie bewerten Sie selbst die Entwicklungen der DNA-Analytik in den letzten Jahrzehnten in Deutschland und welche Meilensteine sind hier historisch besonders relevant gewesen?

Anslinger: Angefangen hat alles mit der Entdeckung des genetischen Fingerabdrucks durch den britischen Genetiker Alec Jeffreys vor gerade mal 40 Jahren. Die zuerst für die Klärung von Abstammungs- und Einwanderungsfällen eingesetzte Methode wurde weiterentwickelt und schon nach kurzer Zeit auch für individualisierende Untersuchung an Spuren eingesetzt. Ohne Zweifel der erste Meilenstein in der Geschichte der forensischen Genetik und das Fundament für die außerordentliche Entwicklung des Fachgebiets.

Dass sich im Laufe der Jahre die Sensitivität der Untersuchung um ein Vielfaches steigern konnte, ist vor allem der Erfindung der PCR durch Kery Mullis zu verdanken. Brauchte man zu Beginn für eine erfolgreiche Analyse Spurenmaterial mit großen Mengen an gut erhaltener DNA, ist heute die Untersuchung kleinster Spuren, beispielsweise Hautschuppen oder einzelner Zellen, möglich. Darüber hinaus kann stark zerstörtes DNA-Material aus Jahrzehnte alten Cold Case Spuren oder sehr alten Knochen typisiert werden.

Auch hat sich das Spektrum der Untersuchungen mit den Jahren enorm vergrößert. Neben der Erstellung von Identifizierungsmustern zum Zwecke der Abstammungsbegutachtung und Spurenanalyse können heute beispielsweise Vorhersagen äußerlich sichtbarer Merkmale, der biogeographischen Herkunft sowie des Alters eines unbekannten Spurenverursachers getroffen werden. Untersuchungen, die man unter dem Begriff der erweiterten DNA-Analyse oder auch der „Forensischen DNA-Phänotypisierung“ zusammenfasst. Darüber können Feststellungen zur entsprechenden Körperflüssigkeit oder dem spezifischen Gewebe, aus welchem die gewonnene DNA stammt, erzielt werden.

Zusammenfassend kann man sicherlich ohne Übertreibung sagen, dass kein anderer Bereich der rechtsmedizinischen Forschung eine solch rasante Entwicklung aufzuweisen und somit die Strafverfolgung in den letzten Jahrzehnten mehr beeinflusst hat.


2. VdZ: Welche Möglichkeiten eröffnen sich durch die neuesten Entwicklungen in der DNA-Analyse für die Strafverfolgung, und inwiefern tragen diese Innovationen zur Verbesserung der Genauigkeit und Effizienz bei der Aufklärung von Verbrechen bei?

Anslinger: Wie schon erwähnt hat sich die Sensitivität der Analysetechnik um ein Vielfaches gesteigert. Kleinste Spuren bzw. Spuren deren DNA-Qualität beispielsweise durch Witterungs- oder chemische Einflüsse und/oder lange Liegezeiten negativ beeinflusst wurde können heute erfolgreich untersucht werden. Mit ein Grund warum aktuell in Deutschland intensiv an der Aufarbeitung bislang ungelöster Fälle, sogenannter Cold Cases, gearbeitet wird. Hinzu kommen Weiterentwicklungen auf dem Gebiet der biostatistischen Beurteilungen von festgestellten Übereinstimmungen zwischen den DNA-Profilen von Personen und Spuren. Auch hier können heute in der Regel adäquate Berechnungen für Spuren minderer DNA-Qualität oder Quantität erstellt werden.


3. VdZ: Welche Herausforderungen und Grenzen gibt es bezüglich des praktischen Einsatzes von forensischer DNA-Analytik im Polizeialltag und in der Strafverfolgung? 

Anslinger: Was Herausforderungen angeht, fällt mir als erstes der Themenkomplex des „DNA-Transfers“ ein. Denn gerade die viel gepriesene Steigerung der Sensitivität modernster DNA-analytischer Verfahren und der Umstand, dass immer kleinere Spuren erfolgreich typisiert werden können, führt uns unausweichlich zu einer Diskussion über die Entstehung dieser Spuren.  Anders ausgedrückt rückt die Frage, ob eine Spur möglicherweise im Rahmen eines DNA-Transfers und somit ggf. ohne Bezug zu einer konkreten strafrechtlichen Handlung gesetzt wurde, immer öfter in den Mittelpunkt der Diskussion.

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Die Grenzen des Einsatzes der Technik lassen sich dagegen in einem Satz benennen: „Untersucht wird, was im Rahmen unserer Strafprozessordnung erlaubt ist“. Und diese Vorgaben setzten klare Grenzen. Weitergehende, auch bereits wissenschaftlich valide Analysen, finden keinen Einsatz in die Routine.


4. VdZ: Welche ethischen, rechtlichen und praktischen Beschränkungen gibt es in der Anwendung von DNA-Technologien in Deutschland und im internationalen Vergleich und welche Unterschiede sind zu erkennen?

Anslinger: Die rechtlichen Beschränkungen gehen aus der Strafprozessordnung hervor.  Zusätzlich zu Feststellungen bezüglich des DNA-Identifizierungsmusters, der Abstammung und des Geschlechts (geregelt StPO, §81e, Absatz 1) dürfen seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2019 gemäß StPO, §81e, Absatz 2 an Spurenmaterial auch „Feststellungen über die Augen-, Haar- und Hautfarbe sowie das Alter“ eines unbekannten Spurenverursachers getroffen werden. Feststellungen zur sog. „biogeographischen Herkunft“ wurden nicht mit in das Gesetz aufgenommen. Diese Einschränkung - im internationalen Vergleich übrigens eher eine Ausnahme – ist aus wissenschaftlicher Sicht unbefriedigend, da Vorhersagen der Haar-, Haut- und Augenfarbe sowie des Alters bei Kenntnis der biogeographischen Herkunft des Spurenverursachers wesentlich präziser vorhergesagt werden können. Auch aus Sicht der ermittelnden Behörden, die die Ergebnisse der „erweiterten DNA-Analyse“ beispielsweise zur Erlangung fahndungsrelevanter Informationen zur Identifizierung unbekannter Toter oder unbekannter Spurenverursacher nutzen, stellt diese Beschränkung einen wesentlichen Informationsverlust dar. Und dies, obwohl valide Methoden, die eine verlässliche Vorhersage der biogeographischen Herkunft einer Person zumindest auf kontinentaler Ebene ermöglichen, seit längerer Zeit existieren.

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Zusammenfassend kann man sicherlich ohne Übertreibung sagen, dass kein anderer Bereich der rechtsmedizinischen Forschung eine solch rasante Entwicklung aufzuweisen und somit die Strafverfolgung in den letzten Jahrzehnten mehr beeinflusst hat.

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Stellt man sich die Frage, wie es zu dieser – aus meiner Sicht eher lückenhaften und unzureichenden  Abfassung des Gesetzestextes kam, bleibt folgendes festzuhalten: Bereits in Vorbereitung der Gesetzesänderung 2019 wurde über das Für und Wider von Analysen zur biogeographischen Herkunftsbestimmung diskutiert. Wissenschaftliche Argumente, die den Mehrwert dieser Untersuchungen gerade auch im Zusammenhang mit Vorhersagen zu äußerlich sichtbaren Merkmalen und dem Alter aufweisen auf der einen, und ethische Bedenken, im Sinne der Diskriminierung von Minderheiten, auf der anderen Seite wurden sehr emotional diskutiert. In diesem Zusammenhang muss jedoch klar festgestellt werden: Vorhersagen bzgl. der biogeographischen Herkunft geben Auskunft über die genetischen Wurzeln einer Person - mit anderen Worten Informationen, aus welchem Teil der Welt die mütterlichen und väterlichen Vorfahren stammen. Feststellungen zu kulturellen oder ethnischen Zugehörigkeiten werden nicht getroffen.

Neben Untersuchungen aus dem Bereich der Forensischen DNA-Phänotypisierung kommen vermehrt auch Methoden zum Einsatz, die unter dem Begriff des „Familial searching“ zusammengefasst werden können. Methoden, die auf der Tatsache beruhen, dass DNA-Profile verwandter Personen ähnlicher sind als die von unverwandten. Während es bei der Suche in der deutschen DNA-Analysedatei nur zu einer Treffermeldung kommt, wenn das recherchierte DNA-Muster der Spur vollständig (oder mit nur einer Abweichung) mit einem in der Datenbank gespeicherten Muster übereinstimmt, ist mithilfe des „Familial searching“ darüber hinaus eine Suche nach möglichen Verwandten eines unbekannten Spurenverursachers in DNA-Datenbanken möglich.


5. VdZ: Welche Schritte und Entwicklungen sind in Deutschland notwendig, um einen verantwortungsvollen, effektiven und gerechten Einsatz der forensischen DNA-Analytik zu gewährleisten?

Anslinger: Zu Vorhersagen der biogeographischen Herkunft: Die Sinnhaftigkeit, ja fast schon Notwendigkeit, die sich aus der Verknüpfung dieser Analysen mit Vorhersagen zu äußerlich sichtbaren Merkmalen ergibt, ist wissenschaftlich erwiesen. Der Mehrwert, der sich aus diesen Bestimmungen für die Fahndung ergibt, liegt auf der Hand. Trotzdem gibt es in der Bevölkerung Vorbehalte, insbesondere dahingehend, dass die Methoden im Sinne eines „Racial Profiling“ angewandt werden könnten. Bedenken, die man nicht ignorieren sondern denen man vielmehr durch transparente Darlegung der wissenschaftlichen Grundlagen zum einen und der Zweckdienlichkeit im Rahmen der Ermittlungen zum anderen argumentativ entgegentreten sollte.

Ich würde mir wünschen, dass wir ganz generell den Einsatz moderner, forensischer DNA-Untersuchungen in Deutschland noch einmal überdenken, was sicherlich nur im Rahmen eines interdisziplinären Diskurses zwischen Bedenkenträgern, Strafverfolgungsbehörden, politischen Entscheidungsträgern und Vertretern der Wissenschaft geschehen kann.

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