Bürokratisierung
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Bürokratiefilter im Rechtsetzungsverfahren zur Entlastung der Verwaltung

Weniger Last für Wirtschaft & Staat

Bürokratie gilt inzwischen als größter Wettbewerbsnachteil für Unternehmen in Deutschland. Die neue Studie „Bürokratiefilter für den Gesetzgeber“ der Stiftung Familienunternehmen zeigt, wie unnötige Bürokratielasten bereits im Gesetzgebungsverfahren verhindert werden können.

Umfragen bei Familienunternehmen zeigen, dass die Überbürokratisierung in Deutschland inzwischen als der größte Wettbewerbsnachteil angesehen wird. Bürokratie steht dabei im Rang noch vor den Standortkosten und dem Fachkräftemangel. Sie verhindert Investitionen hierzulande und lenkt solche in andere Länder um. Statt sich auf das eigentliche Geschäft konzentrieren zu können, müssen Unternehmen Formulare ausfüllen und mit langen Planungs- und Genehmigungszeiten rechnen. Die Zahl der Einzelnormen in Gesetzen ist auf über 52.000 angewachsen,1 die Zahl der Dokumentationspflichten dürfte bei über 10.000 liegen. Ein zusätzlicher Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft i. H. v. 10 Milliarden Euro allein in den Jahren der Ampel-Koalition zeigt: Hier besteht ein gewaltiger Handlungsbedarf für die Politik. Wie kann dieser gordische Knoten durchschlagen werden und wie kann es gelingen, dass die Politik unnötige Regelungen nachhaltig und wirksam vermeidet und bestehende verzichtbare Bürokratieanforderungen endlich beseitigt? Prof. Dr. Winfried Kluth hat im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen untersucht, wie mithilfe eines Bürokratiefilters bereits im Rechtsetzungsverfahren unnötige Bürokratie vermieden werden kann.2

Eine neue Gesetzgebungs-Governance

Die Idee des Bürokratiefilters besteht darin, dass sowohl Regierungen als auch Verwaltungen zunächst einmal ihre Denkweise grundlegend neu ausrichten. Sie sollte sich neben der Regelorientierung vor allem auch an „Zeit für Qualität“ und einer „unternehmensbezogenen Ermöglichungskultur“ orientieren. Vorschriften sollten Unternehmen eher zur Innovation und Transformation befähigen als diese zu verhindern. Dazu sind auf allen Ebenen organisatorische und verfahrensrechtliche Grundlagen zu schaffen, um das erforderliche Wissen in den Ministerien und den nachgeordneten Verwaltungen zu vermitteln. Ein wirksamer Bürokratiefilter setzt voraus, dass Bürokratieabbau in Deutschland Chefsache ist, also beim Bundeskanzleramt und den Staatskanzleien angesiedelt ist und sich die Regierungen zu der neuen Governance ausdrücklich bekennen.

Bürokratiefilter-Leitfaden für Legisten

In einem ressortübergreifenden Leitfaden sollten Prüfkriterien für eine innovationsfreundliche und wettbewerbssichernde Gesetzgebung festlegt werden, in dem die wichtigsten Checklisten, wie Praxis- und Digitalcheck, integriert sind. Der Leitfaden konkretisiert den Prozess der Alternativen- und Angemessenheitsprüfung und dient zur Strukturierung der Begründung von als angemessen erachteten Bürokratie- und Erfüllungslasten. Dabei ist zwischen primären, sekundären und tertiären Bürokratielasten zu unterscheiden. Primär sind Berichtspflichten, die Mitwirkungspflichten im Rahmen von Anzeige- und Genehmigungsverfahren betreffen, sekundär und schwer begründbar sind solche, die aufgrund von langen und komplizierten Verwaltungsverfahren oder Mehrfachzuständigkeiten Zusatzinvestitionen auslösen. Als tertiär werden Berichtspflichten bezeichnet, die Mitwirkungspflichten im Rahmen von Überwachungsmaßnahmen darstellen, indem sie z. B. über unternehmerisches Handeln informieren sollen. Sie wurden in den letzten Jahren in Form von nichtfinanziellen Berichtspflichten sowohl vom Bundesgesetzgeber (z. B. Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz) als auch von der EU (z. B. Nachhaltigkeitsberichterstattung) zu einem „Instrument der indirekten Verhaltenssteuerung“3 umfunktioniert.

Begründungspflicht bei Bürokratielasten

Ein entscheidendes Element des vorgeschlagenen Bürokratiefilters ist, dass Ressorts nicht nur den politischen Gehalt neuer Vorschriften, sondern vor allem auch geplante Bürokratielasten begründen müssen. Auf diese Weise wird im Gesetzgebungsverfahren transparent gemacht, welche Lasten auf die Unternehmen zukommen und aus welchen Gründen sie unverzichtbar seien. Nur so kann rechtzeitig kontrolliert werden, ob diese Argumente auch der Prüfung standhalten, ob sie mit der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft noch im Einklang sind.

Qualität von Recht – 17 Merkmale

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Der Normenkontrollrat Baden-Württemberg hat eine Übersicht mit 17 Qualitätsmerkmalen von Recht erstellt

Kontrollinstanzen bei neuen Bürokratielasten

Die Studie schlägt vor, in allen Ressorts interne Kompetenzstellen für Bürokratievermeidung einzurichten, um dem rechtsetzenden Fachreferat Kollegen bei der Erstellung des Referentenentwurfs an die Seite zu geben, die neues Recht speziell unter Qualitätskriterien prüfen (Notwendigkeit, Praxistauglichkeit, Verständlichkeit, geringstmöglicher Aufwand, Evaluierbarkeit etc.). Der Referentenentwurf ist in frühem Stadium des Rechtsetzungsverfahrens der
für Bürokratieabbau zuständigen Stelle, die beim Bundeskanzleramt angesiedelt sein sollte, und dem Nationalen Normenkontrollrat vorzulegen. Sie prüfen, ob die Begründung geplanter Bürokratielasten stichhaltig und mit der Gesetzgebungs-Governance, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft eher zu fördern als einzuschränken, kompatibel ist.

Ex-ante Praxischeck

Als zentrales Verfahrenselement schlägt die Studie die systematische Anwendung von ex ante-Praxischecks. Er soll als Grundregel Teil der Gesetzesfolgenabschätzung sein. Nur wenn Normadressaten, also Unternehmen und vollziehende Verwaltung, mit der antizipierten Umsetzung von Vorschriften befasst werden, können Lösungsalternativen erarbeitet und unnötige Bürokratie vermieden werden.

Qualifizierung von Legisten

Da Rechtsetzungslehre und Qualität von Recht nach wie vor kein Examensstoff für Juristen ist, spielt die Qualifizierung von Legisten eine große Rolle. Das Kompetenzzentrum Legistik sollte als zentrale Einheit die Forschung zur bürokratiearmen Gesetzgebung fördern und für die Bundesressorts das Aus- und Weiterbildungsangebot inhaltlich und organisatorisch weiterentwickeln. Korrespondierend sind die entsprechenden Aus- und Weiterbildungspflichten in den Ressorts so umzusetzen, dass eine ausreichende Zahl von Mitarbeitern über das erforderliche Wissen verfügt.

Systemischer Bürokratieabbau

Um eine zeitnahe Überprüfung bestehender Bürokratie- und Erfüllungslasten zu ermöglichen, sollte die Bundesregierung die Durchführung eines entsprechenden ex post-Praxischecks in Form eines Gutachtens beauftragen, die bestehenden Regelungen nach den Kriterien des Leitfadens beurteilen und Vorschläge zu deren Abschaffung erarbeiten lassen. Dabei sollte ein systemischer Ansatz gefunden werden, Bürokratielasten wie Dokumentationspflichten nach typisierten Merkmalen flächendeckend abzuschaffen.

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1 BT-Drs. 20/10565 S. 72
2 Stiftung Familienunternehmen (Hrsg.) Bürokratiefilter für den Gesetzgeber, Unnötigen Belastungen präventiv begegnen, erstellt von Prof. Dr. Winfried Kluth, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 2025. Die Studie ist abrufbar unter https://www.familienunternehmen.de/de
3 Detlef Kleindiek, in: BeckGOK HGB, Stand: 1.11.2023, § 289b HGB, Rn. 2; Birgit Spießhofer, Corporate Social Responsibility, in: Burgi/Habersack (Hrsg.), Handbuch Öffentliches Recht des Unternehmens, 2023, § 5, Rn. 16: Paradigmenwechsel von Information zu Transformation.