Verwaltung der Zukunft: Sie setzen sich dafür ein, das Unternehmertum in juristischen Berufen populärer zu machen. Welche strukturellen Hürden sehen Sie dabei für Jurist*innen in Deutschland, insbesondere im Bereich LegalTech?
Dr. Benedikt M. Quarch: Es gibt hier mehrere Hürden: Die größte ist der Mangel an Vorbildern und der stark traditionelle Fokus der juristischen Ausbildung auf klassische Berufe wie Richter, Staatsanwalt oder Anwalt. Unternehmertum wird dabei kaum vermittelt, obwohl Initiativen wie Founders in Law oder Legal Tech-Projekte an Universitäten bereits Fortschritte bringen.
Ein weiteres Hindernis ist die bisher geringe Förderung von Legal Tech-Start-ups durch Investoren, da andere Branchen stärker im Fokus standen. Allerdings könnte sich das mit der Entwicklung von KI und großen Sprachmodellen ändern, die das juristische Arbeitsfeld grundlegend transformieren werden. Wenn es gelingt, mehr Unternehmergeist und KI-Kompetenzen in die juristische Ausbildung zu integrieren, stehen die Chancen gut, dass auch mehr Investitionen in diesen Bereich fließen.
VdZ: Welche Maßnahmen könnten Ihrer Meinung nach helfen, das Unternehmertum im Rechtsbereich zu fördern und Innovationen in LegalTech voranzutreiben?
Dr. Quarch: Dazu sind vor allem Änderungen in der juristischen Ausbildung notwendig. Dazu gehört, zentrale Aspekte wie KI, unternehmerische Fähigkeiten und BWL als Pflichtfächer in das Studium und Prüfungen zu integrieren. Obwohl ich eine grundlegende Reform des Staatsexamenssystems befürworten würde, könnte man auch innerhalb der bestehenden Strukturen diese Themen stärker berücksichtigen.
Ein weiteres wichtiges Element ist die Veränderung des Mindsets – sowohl bei den Studierenden als auch bei den Lehrenden. Universitäten sollten nicht nur Verfassungsrichter für Vorträge einladen, sondern auch Unternehmer*innen aus der Praxis. Sichtbarkeit von Vorbildern ist essenziell. Initiativen wie die Vorlesung „BWL für Juristen“ an der Uni Köln sind gute Ansätze, aber solche Formate sollten verpflichtend werden, um Einblicke ins Unternehmertum zu geben.
Zudem braucht es Unterstützung, um den Mut zum Gründen zu fördern – nicht nur während des Studiums, sondern auch in Großkanzleien, wo viele Anwält*innen mit der Idee spielen, sich selbstständig zu machen, aber den Absprung oft nicht wagen. Dies ist letztlich auch ein gesamtgesellschaftliches Thema, das gefördert werden sollte.
VdZ: Sie plädieren dafür, die Digitalisierung als Staatsziel ins Grundgesetz aufzunehmen. Wie würde ein solcher Schritt die Digitalisierung der Justiz konkret vorantreiben?
Dr. Quarch: Ich halte es für einen sehr sinnvollen Schritt, die Digitalisierung als Staatsziel ins Grundgesetz aufzunehmen, weil es einen klaren verfassungsrechtlichen Auftrag gibt, der die Digitalisierung vorantreibt. Es gibt zwar bereits gute Initiativen, aber in der Justiz gibt es noch einen großen Nachholbedarf, und oft scheitert es an föderalen Strukturen, weil jedes Bundesland eigene Systeme entwickeln möchte. Ein Staatsziel Digitalisierung würde einerseits alle Beteiligten motivieren, aktiv zu werden, und andererseits auch rechtliche Konsequenzen haben, ähnlich wie beim Klimaschutz, wo das Staatsziel eine stärkere gesellschaftliche und politische Orientierung bewirkt hat. Es würde auch dazu führen, dass Verfahren, die durch mangelnde Digitalisierung zu langen Wartezeiten führen, stärker angegangen werden, um möglicherweise Entschädigungsansprüche zu vermeiden. Der wichtigste Aspekt wäre die Motivation und der klare Auftrag, den Weg der Digitalisierung konsequent zu beschreiten und nicht länger zu verzögern.
Ich halte es für einen sehr sinnvollen Schritt, die Digitalisierung als Staatsziel ins Grundgesetz aufzunehmen, weil es einen klaren verfassungsrechtlichen Auftrag gibt, der die Digitalisierung vorantreibt.
VdZ: Wie stellen Sie sich die ideale digitale Justiz in Deutschland vor? Wie würden Sie das utopische Rechtssystem "auf der grünen Wiese" gestalten?
Dr. Quarch: Die Gestaltung eines neuen Rechtssystems sollte unternehmerisches Denken und eine offene, mutige Haltung fördern, besonders in der Ausbildung. Auch mit kleinen Mitteln können große Fortschritte erzielt werden. Eine wichtige Maßnahme wäre die automatische Anonymisierung und Veröffentlichung aller Urteile sowie der Open Access von wissenschaftlichen Veröffentlichungen, damit KI-Sprachmodelle auf alle relevanten Daten zugreifen können. Im Bereich der Zivilrechtssachen könnte man KI als 'nullte Instanz' einführen, bei der die Parteien ein KI-Urteil akzeptieren oder ablehnen können. Falls das Akzeptanz findet, würde dieser Ansatz die Justiz massiv entlasten. Weiterhin könnte KI als Assistenzsystem für Richter*innen eingesetzt werden. Ein zentrales, digitalisiertes Portal für alle Akten und strukturierte Daten würde zudem die Auswertung von Entscheidungen und die Nutzung von KI für die Entscheidungsfindung ermöglichen.
VdZ: Wie sehen Sie die Rolle von Richter*innen, wenn KI zunehmend bei der Urteilsfindung unterstützt? Könnte dies langfristig die Rolle des Menschen im Rechtssystem verändern?
Dr. Quarch: Der Mensch bleibt im Rechtssystem entscheidend. Zwar kann KI bei der Lösung von Rechtsproblemen helfen, insbesondere durch Datenbanken und Analysen, aber die menschliche Unterstützung bei komplexen Problemen ist unverzichtbar. Das gilt sowohl für Anwälte als auch für Richter. KI kann bei der Massenbearbeitung von Standardstreitigkeiten helfen, aber der Fokus muss auf den menschlichen Fähigkeiten wie Empathie und kreativer Problemlösung liegen.
In der Ausbildung sollte daher ein stärkerer Fokus auf psychologische Aspekte und die Entwicklung kreativer Denkweisen gelegt werden, um auch neue, unerforschte Probleme im Recht zu lösen. Statt sich nur auf Massenbearbeitung und stundenlange Recherchen, die auch schon andere ebenfalls stundenlang recherchieren mussten, zu konzentrieren, sollte mehr Raum für kreative und menschliche Lösungen geschaffen werden.
VdZ: Sie arbeiten an einer Publikation zum Thema KI-Verordnung und Justiz. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Punkte, die bei der Regulierung von KI im Justizbereich berücksichtigt werden sollten?
Dr. Quarch: Unabhängig von den spezifischen Normen der KI-Verordnung in der Justiz gibt es noch einige Unklarheiten, die wir in einer bevorstehenden Publikation ansprechen werden. Auf einer höheren Ebene muss jedoch klar sein, dass niemand der Anwendung von KI unterworfen werden sollte, ohne darüber informiert zu sein. Es muss Transparenzregeln geben, die genau festlegen, welche KI-Anwendungen in der Justiz eingesetzt werden und welche nicht. Dabei müssen Datenschutz und Anonymität der Parteien gewahrt bleiben. Auch wenn Verfahren öffentlich sind, sollten keine sensiblen Daten auf unsicheren Servern gespeichert werden. Die Grundregeln sind also: Datenschutz, Datensicherheit und transparente KI-Anwendung in der Justiz. Zudem sollte es immer die Möglichkeit geben, gegen KI-basierte Entscheidungen Berufung einzulegen, falls solche überhaupt eingeführt werden.
VdZ: Welche Herausforderungen sehen Sie bei der Akzeptanz digitaler Verfahren bei den Vertreter*innen der Justiz und Bürger*innen?
Dr. Quarch: Transparenz ist absolut notwendig, um Missverständnisse und Vorbehalte gegenüber digitalen Verfahren abzubauen. Ein Missverständnis ist die Angst vor einem 'Robo-Judge', der Entscheidungen autonom trifft. Niemand möchte ein System, in dem Maschinen den Menschen Entscheidungen aufzwingen. Vielmehr geht es darum, die Justiz effizienter und effektiver zu gestalten, damit sich Richter*innen stärker auf menschliche Probleme konzentrieren können, während technologische Lösungen rein ökonomische Streitigkeiten unterstützen.
Es ist wichtig, klar zu kommunizieren, dass die Entscheidungshoheit letztlich beim Menschen bleibt. Wenn die Parteien mit einer KI-basierten Entscheidung einverstanden sind, könnte ein Streit schneller beigelegt werden – das wäre ein Gewinn. Gleichzeitig muss aber auch die Möglichkeit bestehen, Verfahren ohne Digitalisierung oder KI zu führen, insbesondere für Bürger*innen ohne Anwalt.
Um digitale Verfahren attraktiver zu machen, könnte der Staat Anreize setzen, etwa durch reduzierte oder erlassene Gerichtskosten für die Nutzung digitaler Plattformen und strukturierter Daten. Es sollte also keine Pflicht zur Digitalisierung geben, aber gezielte Förderung, um die Justiz insgesamt besser und zukunftsfähiger zu machen.
Niemand möchte ein System, in dem Maschinen den Menschen Entscheidungen aufzwingen. Vielmehr geht es darum, die Justiz effizienter und effektiver zu gestalten, damit sich Richter*innen stärker auf menschliche Probleme konzentrieren können.
VdZ: KI-Vorschläge für Urteile sind in China bereits gelebte Praxis. Welche Chancen und Risiken sehen Sie, wenn ein solches Modell in Deutschland angewendet würde?
Dr. Quarch: In China gibt es nach meinem Kenntnisstand bei bestimmten internetbezogenen Streitigkeiten bereits KI-Urteilsvorschläge für Richter*innen, die sie entweder übernehmen oder abändern können. Zwar gibt es keine Statistik darüber, wie oft diese Vorschläge angenommen oder abgelehnt werden, aber so ein System könnte ein guter erster Schritt sein. Transparenz wäre dabei essenziell – Richter*innen müssten immer angeben, ob sie den Vorschlag übernommen oder abgelehnt haben.
Ein solches Modell könnte auch in Deutschland sinnvoll eingeführt werden, beispielsweise für bestimmte Themen wie Fluggastrechte oder einfache Zahlungsklagen bis zu einem Streitwert X. Das wäre ein gutes Testfeld, um KI-basierte Entscheidungsvorschläge zunächst in ausgewählten Bereichen zu erproben, bevor man größere Schritte wagt.
VdZ: Welche Pilotprojekte oder Initiativen würden Sie gerne sehen, um den Einsatz von KI und anderen digitalen Technologien in der Justiz zu testen und zu verbessern?
Dr. Quarch: Es gibt ja schon viele gute Initiativen, teilweise von den Ländern, von den Justizministerien. Man könnte vielleicht auch dezidierte Gerichte auswählen, um KI-basierte Entscheidungsvorschläge zu testen, die auch klar für die Parteien kommuniziert werden. Man kann es ja auch so machen: Das ist der KI-basierte Entscheidungsvorschlag – wollen Sie den annehmen, oder möchten Sie das anders entscheiden lassen? Das mal zu testen und auch die Akzeptanz bei den Streitparteien, bei den Prozessparteien herauszufinden, das fände ich eine sehr gute Initiative.
📅 4. Digital Justice Summit
Deutschlands Justiz gemeinsam moderner machen!
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24.–25. November
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Kongresscenter im Hotel de Rome
Der Digital Justice Summit begleitet den Transformationsprozess aller Institutionen und Akteure im Umfeld der Judikative einschließlich europäischer Entwicklungen. Der Kongress vernetzt also ebenenübergreifend Entscheidungsträger/innen und alle beteiligten Akteure/innen im Umfeld der Justiz bzw. des Justizwesens: die Gerichte der verschiedenen Gerichtsbarkeiten, die Staatsanwaltschaften, den Justizvollzug, die sozialen Dienste der Strafrechtspflege, die Justizverwaltung, das Notariat sowie die Rechtsberatung. Ebenso die Digitalwirtschaft, die Legal Tech-Szene, die Versicherungswirtschaft, Wissenschaft und Forschung sowie die Zivilgesellschaft. Die Veranstaltung schafft eine Plattform für einen gesamtgesellschaftlichen Dialog, um gemeinsam die volle Bandbreite der Themen der Modernisierung und Digitalisierung des Justizsektors zu diskutieren und neue Lösungsansätze zu entwickeln.