DJS Award Exelentic
© Simone M. Neumann

8.000 Akten an einem Wochenende migriert

Wie Exelentic die Umstellung auf die E-Akte beschleunigt

Die Exelentic GmbH setzte sich souverän beim Digital Justice Award des letzten DJS durch und gewann die finale Publikumsabstimmung mit ihrem wegweisenden Projekt zur "Migration elektronischer Akten der Verwaltungsgerichte". AI-Lead Julian von Payr spricht im Interview über die erfolgreiche Prozessautomatisierung, die besonderen Merkmale des Projekts und die Zukunftsvisionen für die Digitalisierung der Justiz.

Migration elektronischer Akten der Verwaltungsgerichte (MIGVG)

Im Projekt MIGVG setzte die Exelentic GmbH erstmals erfolgreich und produktiv, Intelligent-Hyperautomation mittels Robotic Process Automation (RPA) in einer deutschen Justizbehörde ein. Ziel war es, die Migration elektronischer Akten zu automatisieren, um die Umstellung auf die E-Akte zu beschleunigen.

Im Rahmen des Projekts in Zusammenarbeit mit der Leitstelle für Informationstechnologie der sächsischen Justiz (LIT) wurden rund 8.000 Akten innerhalb weniger Arbeitstage fehlerfrei migriert, was manuell mehrere Wochen in Anspruch genommen hätte. Neben der Zeitersparnis wurden die Fehlerquote auf 0 % reduziert und die Datenqualität durch programmatische Berechnungen verbessert. Das Projekt ist skalierbar und ermöglicht die Anwendung des Migrationsprozesses auf weitere Gerichte und Verwaltungsprozesse.

Verwaltung der Zukunft: Glückwunsch zum Gewinn des Digital Justice Awards! Wie fühlt es sich an, mit diesem Preis ausgezeichnet zu werden?

Julian von Payr: Der Gewinn des Preises bedeutet uns wirklich viel, weil es eine Bestätigung unserer Arbeit von unabhängiger Seite ist – gerade in einer Nische, die durch KI und die aktuellen Entwicklungen einen starken Aufwind erlebt. Es zeigt uns, dass unser Fokus auf den deutschsprachigen Raum und der bewusste Aufbau unseres Teams über die letzten sechs Jahre die richtige Entscheidung war. Es ist auch ein Beweis dafür, dass kleinere, spezialisierte Unternehmen durchaus Vorteile gegenüber großen Namen haben können, wenn sie ihren Weg konsequent gehen.

VdZ: Wie kam es zur Zusammenarbeit mit der LIT Sachsen und was macht das Projekt besonders?

von Payr: Das Projekt wurde durch die LIT Sachsen angestoßen, da die bisherige Arbeitsweise nicht funktionierte. Wir begannen nicht ganz bei Null, sondern mussten mit vorgegebenen Ergebnissen arbeiten. Der Fokus lag auf der Migration im Rahmen der E-Aktenumstellung. In enger Zusammenarbeit mit der LIT Sachsen haben wir ein Center of Excellence und eine Automatisierungsmanufaktur aufgebaut.

Der Kontakt entstand durch eine Schulung eines LIT Sachsen-Mitarbeiters bei uns. Daraus ergab sich eine weitere Zusammenarbeit mit maßgeschneiderten Schulungsinhalten und einer finalen Projektumsetzung, da unser Angebot und die Qualität unserer Berater überzeugte.  Besonders an diesem Projekt ist, dass Automatisierung die bevorzugte Lösung war. Die Menge an Überstunden, die für die Migration nötig gewesen wäre, war nicht zu bewältigen. Roboter eliminieren alle Fehler, und Experten greifen nur dort ein, wo es notwendig ist – was das Ganze effizienter und kostengünstiger macht. Die Maschinen überwachen ihre eigenen Prozesse und bieten eine hohe Nachvollziehbarkeit, was für Compliance wichtig ist. Der Mensch ist entlastet und kann sich den wirklich wichtigen Aufgaben widmen.

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VdZ: Was ist die langfristige Bedeutung des Projekts und wie lief der Aufbau ab?

von Payr: Das Projekt dient nun als Modell für andere Gerichte und ist das erste in der deutschen Justiz, das vollständig autonom in die Prozessautomatisierung geht. Es zeigt, wie Automatisierung als Plattform genutzt werden kann, um langfristige Effizienz zu steigern.

Besonders war auch der interne Ansatz von der LIT, von Anfang an Personal für den Automatisierungsbereich zu schulen. Die Kombination aus interner und externer Zusammenarbeit hat zum Erfolg beigetragen. Durch die Plattformansicht entstanden Andockmöglichkeiten für Themen wie Testautomatisierung und KI-Tools, die langfristig Potenziale heben und nicht nur einzelne Prozesse optimieren.

Sachsen war die erste Region in Deutschland, die einen vollständig automatisierten Prozess ohne menschliche Interaktion produktiv umgesetzt hat. Dieser Schritt, das Ganze als Plattform zu etablieren, war der logische nächste, da es in Deutschland bisher nicht existiert.

Von Anfang an wurde das Projekt strategisch geplant: Es ging nicht nur um einzelne Prozesse, sondern um den Aufbau einer soliden Grundlage. Dafür wurden Projektleiter, Prozessanalysten und Ansprechpartner mit technischem Verständnis benötigt. Auch die technische Umsetzung erfordert mehr als nur gute Programmierer – ein Automation-Experte muss die Brücke zwischen Fachabteilung und IT schlagen.

Beim Aufbau einer solchen Abteilung ist es wichtig, auch externe Partner einzubeziehen. Besonders im juristischen Bereich spielen Themen wie Compliance und Datensicherheit eine große Rolle. Ohne diese Bausteine kann eine zentrale Einheit nicht erfolgreich arbeiten.

Andere Branchen wie Versicherungen und Banken haben ähnliche Modelle bereits erfolgreich umgesetzt. Sachsen hat den Vorteil, dass es diese Erfahrungen direkt auf Behörden übertragen kann. So wie das Projekt dort angegangen wurde, gibt es in Deutschland kein vergleichbares Beispiel.

VdZ: Wie wurde die Datenqualität und Fehlerfreiheit bei der Migration sichergestellt?

von Payr: Zunächst war die Datenqualität in diesem Fall bereits sehr hoch, da die Justiz Sachsen ein System nutzte, wodurch die Daten digital vorlagen. Der Schwerpunkt lag daher darauf, den Prozess so zu gestalten, dass alle relevanten Daten korrekt extrahiert und verarbeitet wurden.

Ein entscheidender Faktor war, dass die zuständigen Personen innerhalb der Organisation die notwendige Kompetenz und Verantwortung hatten, um den Datenzugriff und die Begleitung des Projekts zu gewährleisten. Denn Daten allein reichen nicht aus – es braucht klare Verantwortlichkeiten und Zusammenarbeit, um die Qualität sicherzustellen.

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Ein häufiger Irrtum ist die Annahme, dass ‚digital‘ automatisch bedeutet, dass alles perfekt strukturiert und nutzbar ist.

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Ein häufiger Irrtum, den wir bei anderen Projekten erlebt haben, ist die Annahme, dass ‚digital‘ automatisch bedeutet, dass alles perfekt strukturiert und nutzbar ist. Beispielsweise reichen eingescannte Dokumente nicht aus, da diese oft nur Bilddateien sind. Hier kommen Technologien wie OCR (Optical Character Recognition) oder KI-gestützte Lösungen ins Spiel, die die Daten in strukturierte Formate umwandeln. Dies erfordert jedoch Tests und eine enge Zusammenarbeit zwischen den technischen Experten und der Fachabteilung, die die Ergebnisse validieren und freigeben muss.

Hinsichtlich der Fehlerfreiheit wurde ein robuster Ansatz gewählt: Roboter übernehmen die Aufgaben als ‚Arme und Beine‘ der Prozessexperten, arbeiten aber strikt innerhalb vorgegebener Entscheidungsbäume. Jeder Schritt ist genau definiert – von dem, was der Roboter tun darf, bis hin zu dem, was er tun muss, wenn er auf unvollständige oder falsche Daten stößt. Solche Ausnahmefälle werden an menschliche Experten zurückgespielt, die die Probleme lösen.

Durch diese Kombination aus klar definierten Prozessen, automatisierter Fehleraussteuerung und enger Zusammenarbeit konnte eine fehlerfreie Migration sichergestellt werden. Es gibt hier keine ‚Grauzonen‘: Alles, was der Roboter verarbeitet, ist zu 100 Prozent korrekt, da es vorher eindeutig definiert und getestet wurde. Damit konnten wir eine 0-Prozent-Fehlerquote erreichen.

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VdZ: Wie haben Sie mit den Mitarbeitenden der Leitstelle für Informationstechnologie (LIT) zusammengearbeitet, um das Projekt erfolgreich umzusetzen?

von Payr: Die Zusammenarbeit war in vielerlei Hinsicht eng und arbeitsteilig. Die Projektleitung lag bei Chris Zenner, der das Thema intern gesamtheitlich verantwortet hat. Ich war als externes Pendant seine Schnittstelle nach außen. Entscheidend war die absolute Rückendeckung durch die Behördenleitung, die das Projekt aktiv vorantreiben wollte.

Unter Chris gab es zwei Business-Analysten, die mit technischer Expertise die Prozesse, Analysen und operative Umsetzung vorangetrieben haben – beispielsweise die Frage, bei welchem Gericht ein neuer Prozess produktiv getestet werden kann. Workshops spielten dabei eine zentrale Rolle: Wir haben die Mitarbeitenden vorab abgeholt, geschult und so Rückmeldungen eingeholt, die in die weitere Optimierung einflossen.

Unser Team übernimmt aktuell die gesamte Entwicklung, unterstützt aber parallel die LIT dabei, intern Kompetenzen aufzubauen – etwa durch die Ausbildung eines internen Technikers, der langfristig Programmierung, Wartung und Support übernehmen kann. Zusätzlich gibt es einen klaren Fokus auf Dokumentation, damit die Abteilung eine solide Basis hat. Insgesamt war unsere Rolle, Entwicklung und Einschätzung zu liefern und gleichzeitig alle Beteiligten auszubilden und zu unterstützen, um das Projekt nachhaltig erfolgreich zu machen.

VdZ: Gab es einen besonderen Moment oder Erfolg im Projektverlauf, der Ihnen in Erinnerung geblieben ist?

von Payr: Es gab wirklich viele besondere Momente im Projekt. Einer der ersten war, als wir den ersten technischen Durchblick hatten und sagen konnten: ‚Macht euch keine Sorgen, das wird funktionieren.‘ Die anfängliche Skepsis der LIT, basierend auf früheren Erfahrungen, war groß, und wir hatten wenig Zeit und ein sehr knappes Budget. Trotzdem war es ein toller Moment, als klar wurde, dass alles technisch machbar ist und die Zusammenarbeit – sowohl fachlich als auch persönlich – richtig gut funktioniert.

Ein weiterer wichtiger Moment war der letzte Testlauf vor der Einführung, bei dem alles wie geplant geklappt hat. Das war wie bei einer Rakete: Hochfliegen ist das eine, aber sicher landen das andere – und genau das ist gelungen. Wir hatten alle das Gefühl, dass sich die Mühe gelohnt hat, auch dank der intensiven Mitarbeit der Fachabteilungen.

Ein Highlight war dann die positive Resonanz aus anderen Abteilungen, die bereits signalisiert haben, dass sie weitere Prozesse angehen möchten. Spätestens beim Digital Justice Summit, als wir mit dem Projekt in die Ausschreibung gingen und die ersten Runden überstanden haben, war die Euphorie groß. Besonders beeindruckend war auch das echte Interesse und die Nachfragen aus anderen Bundesländern, die ähnliche Herausforderungen erlebt haben.

Das alles hat gezeigt, dass unser Ansatz funktioniert und Mehrwert schafft. Es war ein Balanceakt mit kleinen Risiken, aber die Bestätigung durch die positiven Rückmeldungen, den Preis und die fortlaufende Begeisterung hat das absolut gerechtfertigt. Rückblickend fühlt sich die Dynamik im Projekt fast wie die eines Silicon Valley-Start-ups an – etwas, das im Behördenumfeld selten ist, aber umso motivierender war.

VdZ: Welche langfristige Vision verfolgt Exelentic für die Digitalisierung der Justiz in Deutschland? Was sind die nächsten technischen oder organisatorischen Innovationen, die Sie für die Justiz anstreben?

von Payr: Die langfristige Vision von Exelentic für die Digitalisierung der Justiz in Deutschland ist es, die Erfolge und Erkenntnisse aus diesem Projekt auf eine Vielzahl von Abteilungen und Prozessen zu übertragen, um einen flächendeckenden Mehrwert zu schaffen. Dabei liegt der Fokus nicht nur auf den ‚glanzvollen‘ oder öffentlich sichtbaren Bereichen wie der Arbeit von Richtern, sondern auch auf den oft übersehenen, aber essenziellen Prozessen im Hintergrund, wie Administration, Einkauf oder IT.

Dieser Ansatz ist besonders, weil er den Schwerpunkt auf die Tätigkeiten legt, die den Großteil der Arbeitszeit beanspruchen und bei denen durch Digitalisierung erhebliche Effizienzgewinne erzielt werden können. Es geht darum, Aufgaben zu automatisieren, die vielleicht nicht besonders spannend sind, aber viel Zeit kosten, sodass Mitarbeitende ihre Fähigkeiten besser einsetzen können.

Ein konkretes Beispiel für die nächsten Schritte ist die Digitalisierung von Prozessen bei der Verteilung der eingehenden Post an den Gerichten. Hier wird zudem Künstliche Intelligenz eingesetzt, insbesondere für die Datenauswertung. Dies ist ein erster Schritt in eine Richtung, die über die reine Automatisierung hinausgeht und datengetriebene Entscheidungen unterstützt.

VdZ: Was würden Sie anderen Start-ups raten, die daran arbeiten, mit innovativen Technologien die öffentliche Verwaltung oder die Justiz zu modernisieren?

von Payr: Das Wichtigste ist, dass das technische Know-how wirklich einwandfrei sitzt – da darf es keine Unsicherheiten geben. Man muss außerdem klein anfangen und echte Ergebnisse liefern, statt nur große Visionen für die Zukunft aufzuzeigen, die am Ende vielleicht nicht realisierbar sind. Es ist entscheidend, ein klares Alleinstellungsmerkmal zu haben: Was mache ich anders oder besser als andere? Und ganz wichtig – man muss die Menschen mitnehmen, sie abholen und überzeugen. Es reicht nicht, nur etwas zu entwickeln, man muss auch zeigen, wie es den Leuten wirklich hilft.

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Das Wichtigste ist, dass das technische Know-how wirklich einwandfrei sitzt – da darf es keine Unsicherheiten geben. Man muss außerdem klein anfangen und echte Ergebnisse liefern, statt nur große Visionen für die Zukunft aufzuzeigen.

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VdZ: Gibt es noch weitere abschließende Worte?

von Payr: Ich finde es wichtig, darauf hinzuweisen, dass Behörden sich bei der Auswahl ihrer Partner auch mal abseits der großen, etablierten Anbieter umsehen sollten – hin zu kleinen und mittelständischen Unternehmen. Nicht immer ist der Ableger großer internationaler Konzerne die beste Wahl, insbesondere, wenn diese Lösungen nur oberflächlich an die lokalen Anforderungen angepasst sind.

Das Thema Prozessautomatisierung ist ein sehr attraktiver Bereich, den große Firmen oft für sich beanspruchen, aber die Ergebnisse bleiben häufig hinter den Erwartungen zurück. Gleichzeitig gibt es Unternehmen, die versuchen, alles intern zu lösen, ohne externe Unterstützung hinzuziehen zu wollen. Das kann ebenfalls problematisch sein, da nicht jede Organisation die notwendigen Kompetenzen in allen Bereichen intern aufbauen kann – und das auch gar nicht muss.

Robert Sevecke, Geschäftsführer:

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Es ist wichtig, eine ausgewogene Herangehensweise zu wählen: Zusammenarbeit zwischen internen und externen Experten, kombiniert mit einer kritischen Auswahl von Partnern, die wirklich zum Projekt passen. Ein Kompetenzzentrum aufzubauen, das eng mit externen Fachleuten kooperiert, kann langfristig der richtige Weg sein. Das gilt nicht nur für Behörden, sondern zieht sich als Herausforderung durch viele Branchen und beweist sich seit über 5 Jahren als die einzig nachhaltige und echten merhwertbringende Lösung.

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Claudia Glausch, Leiterin Leitstelle für Informationstechnologie der Sächsischen Justiz:

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Nicht immer ist die für einen konkreten Anwendungsfall beste Lösung der alleinige Einsatz von KI. Für die erfolgreiche Verwendung von KI-Lösungen ist die Frage der Verknüpfung zwischen Techniken der künstlichen Intelligenz und den bereits vorhandenen Justizanwendungen für den Erfolg der Projekte kritisch. Dies kann beispielsweise durch Schnittstellen geschehen, die zwischen bereits vorhandenen Anwendungen und neu zu erstellenden KI-Tools zu implementieren sind. Entwicklungen von KI-Tools und Automatisierung durch RPA können somit Hand in Hand erfolgen, indem Prozesse ganzheitlich betrachtet werden. Im Bereich von Justizfachanwendungen, wie forumSTAR, web.sta, deren Fortentwicklung langwierig und teuer ist, stellt die RPA-Technologie eine sinnvolle Alternative dar. Durch die Möglichkeit der Software Roboter, verschiedene Schnittstellentechniken und gleichzeitig Anwendungsoberflächen zu bedienen, können diese eine Brückentechnologie darstellen und bilden daher einen wichtigen Baustein bei der Automatisierung der Justiz. Die bisherigen Erfahrungen in laufenden Projekten der sächsischen Justiz haben gezeigt, dass RPA grundsätzlich für den Einsatz in der Justiz u. a. zur Überbrückung von Medienbrüchen und Effektivierung bei repetitiven Aufgaben geeignet ist.

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