"Die Justizcloud ist ein Gewinn für uns alle"
Malte Büttner über Fortschritt, Sicherheit und Zukunft der Justiz-IT
Verwaltung der Zukunft: Können Sie einen generellen Umriss der bundeseinheitlichen Justizcloud geben? Die Machbarkeitsuntersuchung wurde im Dezember letzten Jahres gestartet, was ist der aktuelle Stand und wo liegen die größten Probleme?
Malte Büttner: Bei einem Vorhaben mit einem so modischen Begriff wie „Cloud“ im Titel ist es eine der vordringlichsten Aufgaben, überhaupt erst einmal zu klären, ob alle Projektpartner dasselbe darunter verstehen. Wir haben die Untersuchung ganz offen mit der Frage begonnen, wo in der Justiz-IT uns Cloudtechnologie helfen könnte. Dazu haben wir die gesamte Anwendungslandschaft analysiert. Dabei hat sich gezeigt, dass die in Entwicklung befindlichen, neuen, gemeinsamen Fachverfahren wie AuRegis und GeFa ganz besonders vom Betrieb auf einer bundeseinheitlichen Plattform profitieren könnten, weil sie bereits „cloud-ready“ entwickelt wurden. Auf der Basis dieser Analyse haben wir dann erst unser Zielbild einer Private Community Cloud entworfen, deren Herzstück der Betrieb dieser neuen Fachverfahren auf einer einheitlichen Cloudplattform für die gesamte Justiz wäre. Private Community Cloud heißt, dass wir die öffentlichen IT-Dienstleister über ein justizeigenes Netz verbinden, der Betrieb der justizeigenen Anwendungen also in öffentlicher Hand bleibt. Den Betrieb der Justizcloud, insbesondere der Cloudplattform, soll dabei eine neu zu errichtende Stelle von Ländern und Bund übernehmen. Sie hat aktuell den Arbeitstitel Justizcloud-Einheit.
Ganz frisch wurde uns der Abschlussbericht der Untersuchung vorgelegt. Unser nächster Schritt ist der Bund-Länder-Digitalgipfel – eine Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister des Bundes und der Länder zu den strategischen Fragen der Digitalisierung der Justiz, der am 28. November entscheiden wird, ob wir mit dem Vorhaben in die nächste Phase gehen.
VdZ: Können Sie kurz erklären, warum die Machbarkeit überhaupt geprüft wird - warum soll es eine Justizcloud geben und was wären die Vorteile?
Büttner: Beauftragt haben uns die Justizministerinnen und Justizminister des Bundes und der Länder, die beim ersten Bund-Länder-Digitalgipfel im März 2023 unter anderem beschlossen haben, die Machbarkeit einer bundeseinheitlichen Justizcloud zu untersuchen. Sie haben erkannt, dass es bei diesem Thema sinnvoll erscheint, auf gemeinsame Anstrengungen von Bund und Ländern zu setzen. Die Vorteile eines gemeinsamen Vorgehens liegen auf der Hand, wenn man sich überlegt, dass ansonsten jedes Bundesland selbst Cloudinfrastruktur aufbauen und dafür die erforderlichen Fachkräfte anheuern müsste. Die Kosten für den x-fachen Aufbau plus Bund betrügen ein Vielfaches. Und die besonderen Fähigkeiten, die man für Aufbau und Betrieb dieser Technik braucht, sind am Arbeitsmarkt so knapp, dass es sich besonders lohnt, die Kräfte zu bündeln.
Der Betrieb einer gemeinsamen Cloudplattform für die Justiz brächte aber noch viele weitere Vorteile mit sich. Insbesondere würde sie Softwareentwicklung auf der Höhe der Zeit ermöglichen. Dazu gehört auch, dass Anwendungen viel öfter geupdated werden können. Feedback der Anwender kann unmittelbar umgesetzt werden. Betrieb und Entwicklung werden enger miteinander verzahnt. Das macht natürlich die Anwendungen besser. Aber es steigert vor allem die Zufriedenheit des Justizpersonals durch bessere digitale Arbeitsbedingungen.
Die Vorteile eines gemeinsamen Vorgehens liegen auf der Hand […] Die Kosten für den x-fachen Aufbau plus Bund betrügen ein Vielfaches. Und die besonderen Fähigkeiten, die man für Aufbau und Betrieb dieser Technik braucht, sind am Arbeitsmarkt so knapp, dass es sich besonders lohnt, die Kräfte zu bündeln.
VdZ: Wie sieht der Plan bis 2026 aus, und wie werden die bisherigen Fortschritte bewertet? Gibt es bestimmte Meilensteine, die bis dahin erreicht werden müssen?
Büttner: Unser Wunsch ist es, bis Ende 2026 ein „Minimum Viable Product“ der bundeseinheitlichen Justizcloud gemeinsam und in enger Zusammenarbeit mit den Ländern aufzubauen. Ein „Minimum Viable Product“, das ist eine erste lauffähige Version. Das mag erst mal klein klingen, erfordert nach dem in der Untersuchung der Machbarkeit erarbeiteten Zielbild aber schon eine ganze Menge: Wir möchten ein justizeigenes Netzwerk zwischen den öffentlichen IT-Dienstleistern der Länder aufbauen, eine eigene Cloudplattform betreiben und schließlich eine dedizierte Justizcloud-Einheit organisatorisch und personell aufbauen, die den Betrieb der Justizcloud übernimmt. Im ersten Schritt ist jedoch die Anschubfinanzierung sicherzustellen. Sie soll, wie schon die Untersuchung der Machbarkeit, aus der Digitalisierungsinitiative für die Justiz erfolgen. Dafür muss der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages dieser Verwendung der Haushaltsmittel zustimmen, woran wir aktuell aktiv arbeiten.
VdZ: Wie kann garantiert werden, dass die sensiblen Daten, die in der Justizcloud gespeichert werden, absolut sicher sind, vor allem angesichts der zunehmenden Bedrohungen durch Cyberangriffe?
Wir verfolgen bei der Justizcloud den ‚security-by-design‘-Ansatz, d.h. die IT-Sicherheit wird von Anfang an mitgedacht.
Büttner: Das spricht einen ganz wichtigen Punkt an. Die Speicherung der Daten erfolgt zunächst wie auch bislang lokal in den Rechenzentren der Länder. Für die Übertragung der Daten über das Justiznetz sind wir bereits mit dem BSI im Gespräch, um auch insoweit höchste Sicherheitsstandards zu etablieren. Wir verfolgen bei der Justizcloud den „security-by-design“-Ansatz, d.h. die IT-Sicherheit wird von Anfang an mitgedacht.
VdZ: Wie wird gewährleistet, dass alle Justizmitarbeitenden, auch in ländlichen Gebieten oder bei älteren Systemen, Zugang zur Cloud haben?
Büttner: Die Justizcloud bzw. die hierauf laufenden Anwendungen sind Webanwendungen, die über das bei den IT-Dienstleistern gespannte Justiznetz erreichbar sind. Die Justizmitarbeitenden befinden schon heute im Landesnetz ihres IT-Dienstleistes, die Voraussetzungen sind daher schon geschaffen. Für die Justizcloud selbst ist viel wichtiger die Bandbreite der Verbindungen zwischen den IT-Dienstleistern untereinander, weil hier tatsächlich die Cloudanwendungen laufen werden und Daten austauschen. Deshalb wird es hier den Aufbau von Bandbreite und damit auch Investitionen bedürfen.
VdZ: Gibt es Best Practice-Beispiele aus anderen Ländern, die bereits erfolgreich eine einheitliche Justizcloud betreiben?
Büttner: Wir haben in der Untersuchung natürlich auch internationale Best Practices angesehen. Die Konzepte kann man aber nicht so einfach übertragen. Das liegt in erster Linie daran, dass die meisten Staaten föderal nicht so aufgebaut sind wie Deutschland. Hinzu kommt, dass die deutsche Justiz stark auf Eigenentwicklung von Software setzt. Daher war es für uns in der Untersuchung wichtig, dass wir eine passgenaue Lösung für die deutsche Justiz finden, hierbei aber Impulse aus anderen Ländern mit einfließen lassen.
VdZ: Gibt es beim Umstieg zur Cloud auch Umweltbedenken, da mehr Energie und Strom verbraucht werden müsste?
Büttner: Der hohe Verbrauch von Primärenergie durch die IT ist eine größere Diskussion, bei der wir insgesamt erst am Anfang stehen. Es ist auch richtig, den Blick auf den Stromverbrauch von Cloudanwendungen zu richten. Am Ende zählt aber der Stromverbrauch insgesamt, also unter Einschluss der zentralen, dezentralen und der lokalen Verbräuche. Unser Konzept für eine bundeseinheitliche Justizcloud baut gerade darauf auf, dass es Ressourcen spart, wenn wir eine Infrastruktur nur einmal statt x-mal aufbauen und betreiben müssen. Das gilt auch für die Energieressourcen.
VdZ: Was ist Ihre persönliche Ansicht - bringt oder nimmt die Cloud mehr?
Büttner: Jetzt einmal losgelöst von unserem Vorhaben ist die Cloud, ich meine damit vor allem Software-as-a-Service- Anwendungen, eigentlich aufgrund ihrer Komfortfunktionen kaum mehr wegzudenken. Wer möchte heute beispielsweise noch auf seine Musikapp verzichten, mit der er alle Lieder direkt parat hat? Wer möchte heute noch schwerfällig auf seinem Rechner Programme lokal installieren – wenn er überhaupt noch ein Laufwerk am Rechner hat.
Auch die Justizcloud bietet große Mehrwerte und Chancen für die Justiz. Wir können uns gemeinsam für die nächsten 10, 15 oder sogar 30 Jahre zukunftssicher aufstellen. Es ist für alle etwas dabei: für die Justizbeschäftigten, die Bürgerinnen und Bürger, aber auch für die öffentlichen IT-Dienstleister.
Der Aufbau zentraler Kapazitäten löst bei manchen natürlich Verlustängste aus. Unser Konzept der Schaffung einer Justizcloud-Einheit, die den Ländern und dem Bund gehört und von ihnen gemeinsam gesteuert wird, zeigt aber, dass alle gewinnen können, wenn man die Kräfte bündelt. Um die Frage abschließend noch einmal aufzugreifen: Ich finde, die Justizcloud ist ein Gewinn für eine unabhängige und zukunftsfähige Justiz, und damit für uns alle.
📅 Malte Büttner auf dem 3. Digital Justice Summit
26. November 09:30 - 10:30: Werkstatt II.I.2
Justizcloud – gemeinsame Plattform als neuer Kern der IT-Landschaft der Justiz?
3. Digital Justice Summit - Deutschlands Justiz gemeinsam moderner machen!
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25.–26. November
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Kongresscenter im Hotel de Rome
Das Digital Justice Summit begleitet den Transformationsprozess aller Institutionen und Akteure im Umfeld der Judikative einschließlich europäischer Entwicklungen. Der Kongress vernetzt also ebenenübergreifend Entscheidungsträger/innen und alle beteiligten Akteure/innen im Umfeld der Justiz bzw. des Justizwesens: die Gerichte der verschiedenen Gerichtsbarkeiten, die Staatsanwaltschaften, den Justizvollzug, die sozialen Dienste der Strafrechtspflege, die Justizverwaltung, das Notariat sowie die Rechtsberatung. Ebenso die Digitalwirtschaft, die Legal Tech-Szene, die Versicherungswirtschaft, Wissenschaft und Forschung sowie die Zivilgesellschaft. Die Veranstaltung schafft eine Plattform für einen gesamtgesellschaftlichen Dialog, um gemeinsam die volle Bandbreite der Themen der Modernisierung und Digitalisierung des Justizsektors zu diskutieren und neue Lösungsansätze zu entwickeln.