Services der öffentlichen Verwaltung im Spannungsfeld zwischen digitalem Fortschritt und digitaler Kluft
Warum E-Government in Deutschland noch nicht funktioniert
Viele ältere Menschen, die bisher wenig oder gar keinen Kontakt zur digitalen Welt hatten, stiegen plötzlich in diese ein, um mit den eigenen Kindern oder Enkeln in der Quarantäne oder im Lockdown kommunizieren zu können. Viele Berufstätige arbeiten im Homeoffice, um mit Arbeitgeber und Kund*innen in Verbindung zu bleiben und waren konfrontiert mit Cybersecurity und Infrastruktur.
Die Studie eGovernment-MONITOR der Initiative D21 liefert seit 2012 jährlich ein umfassendes Lagebild zur Nutzung und Akzeptanz digitaler Verwaltungsangebote. Die Digitalisierung des Staates geht in Deutschland nur schleppend voran und bleibt weit hinter den Entwicklungen in Wirtschaft und Privatleben zurück. Große Infrastrukturprojekte der Verwaltung wie die Behördennummer 115 aber auch der Online-Ausweis erreichen die Bürger*innen nicht. Einerseits haben viele Menschen die Kenntnis, dass elektronischen Services in bestimmten Bereichen angeboten werden, andererseits aber fehlt es oft an der Kompetenz, diese Services auch zu nutzen. Wir müssen Online-Dienste so gestalten, dass Bürger*innen und Unternehmen die Services einfach nutzen und finden können. Entweder über ein „zentrales Portal“, welches alle Länder- und kommunalen Angebote durchsucht, oder semantische Interoperabilität für die Optimierung von Suchmaschinen.
Wir brauchen digital qualifizierte Menschen, damit unsere Wirtschaft prosperiert und unsere Gesellschaft widerstandsfähig und inklusiv bleibt. Vor allem in Zeiten, in denen sich neue Technologien schneller als je zuvor entwickeln. Wir alle werden unser Leben lang immer wieder etwas dazulernen müssen, um digital mithalten zu können. Nicht umsonst gehören digitale Fähigkeiten zu den acht Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen. Digital auf dem Laufenden zu bleiben ist der Schlüssel – unabhängig davon, in welcher Lebensphase wir uns gerade befinden.
Der Faktor „menschliche Fähigkeiten“ ist nicht nur bei E-Government-Services wichtig. Umso mehr, wenn wir heute über Künstliche Intelligenz (KI) sprechen, da Technologien wie KI nur dann mit sozialem und wirtschaftlichem Mehrwert genutzt werden können, wenn sich alle Akteure der Chancen und Risiken im Umgang mit ihnen bewusst sind. Digitale Kompetenz für Bürger*innen (Stichwort Digital Skills Gap) ist eine Grundvoraussetzung für die Beherrschung der digitalen Welt und neuer digitaler Technologien.
KI verantwortungsvoll nutzen
Die Europäische Kommission befasst sich derzeit mit der KI-Herausforderung für Bürger*innen im Rahmen des EU-Aktionsplans für digitale Bildung (2021–2027), indem sie die allgemeine und berufliche Bildung für das digitale Zeitalter neu ausrichtet. Der EU-DigComp, welcher 2013 entwickelt wurde, ist in allen Ländern verfügbar und wird auch von der UNESCO als angemessener globaler Rahmen für digitale Kompetenzen bewertetet. In der Überarbeitung geht es gerade jetzt auch um die Frage: "Welche Kenntnisse, Fähigkeiten und Einstellungen brauchen die Bürgerinnen und Bürger, um KI-Systeme selbstbewusst, kritisch und verantwortungsvoll zu nutzen – beim Lernen, bei der Arbeit und bei der Teilnahme an der Gesellschaft?".
Die Gemeinsame Forschungsstelle (GFS) der Europäischen Kommission hat festgestellt, Bürger*innen müssen über das Wissen, die Fähigkeiten und die Einstellungen verfügen, um sich selbstbewusst und kompetent in der digitalen Welt und mit den neuen digitalen Technologien zu bewegen.
Das bedeutet zum Beispiel für Künstliche Intelligenz:
- Im Bereich KI-Wissen: Bürger*innen müssen sich der Vorteile, Grenzen und Herausforderungen von KI-Systemen bewusst sein, sie müssen verstehen, was KI-Systeme leisten und was nicht
- Im Bereich KI-Fähigkeiten: Bürger*innen müssen in der Lage sein, KI-Systeme als Endnutzer zu nutzen, mit ihnen zu interagieren und ihnen Feedback zu geben, und sie sollten in der Lage sein, KI-Systeme zu konfigurieren, zu überwachen und anzupassen
- Im Bereich KI-Einstellung: Hier geht es um die menschliche Handlungsfähigkeit und Kontrolle, um Überlegungen zur Vertrauenswürdigkeit von KI und um ethische Überlegungen zu ihrem Einsatz. (2)
Um ein massives Spannungsverhältnis zwischen digitalem Fortschritt und digitaler Spaltung zu vermeiden, braucht nicht nur E-Government und im besonderen KI mehr Bewusstsein und Reflexion bei ihren Nutzer*innen und Entwickler*innen. Vertrauen in digitale Technologien kann nur durch Aufklärung, Wissen und Training aufgebaut werden.
Die ersten deutschsprachigen Selbstchecks und Trainingsplattformen sind u. a. der Digitalcheck in NRW und der KI-Campus oder fit4internet.
Digitaler Lebensstil erfordert neue Partnerschaft
Gerade die Kommunen in Deutschland stehen unter großem Wachstums- und Entwicklungsdruck. Um wettbewerbsfähig zu sein, müssen sie die Lebensqualität ihrer Bürger*innen verbessern, attraktiv für neue Betriebe und gleichzeitig so effizient und modern wie möglich sein. Kommunen müssen auch auf den digitalen Lebensstil der Bürger*innen und Unternehmen reagieren – die digitale Transformation ist heute der Schlüssel für kommunales Engagement und Verantwortung. Dies erfordert eine neue Partnerschaft zwischen Bürger*innen, Verwaltung und Unternehmen – und neue technologiegestützte Dienste, die nahtlose, sichere, produktive und lohnende Möglichkeiten zum Leben und Arbeiten gewährleisten.
Intelligente smarte Kommunen/Regionen sind Gemeinschaften, die in der Lage sind, alle Möglichkeiten der Technologie und der Gemeinschaftsorganisation zu nutzen, um die Lebensqualität jetzt und in Zukunft zu verbessern.
Kommunen verfügen auch über eine beträchtliche Menge an ungenutzten Daten, die, wenn sie für die Entwicklung unter kontrollierten Bedingungen zur Verfügung gestellt werden, eine breite Palette von Serviceverbesserungen ermöglichen. Dies können Daten aus ausgelagerten Dienstleistungen (wie Müllabfuhr) oder Verkehrsdaten von Sensoren an Verkehrsampeln sein, mit denen sich z. B. Staus reduzieren und die Luftqualität verbessern lassen. Künftige kommerzielle Partnerschaften brauchen Daten, um ihre Dienste zu verfeinern und zielgerichteter zu gestalten und so attraktiver und profitabler zu werden.
Mit dem zweiten Open-Data-Gesetz und dem Datennutzungsgesetz (DNG) hat Deutschland EU-Vorgaben umgesetzt. Zur besseren Nutzbarkeit von Daten müssen offene Daten künftig in maschinenlesbaren Formaten vorhanden sein. Darüber hinaus setzt das DNG Impulse für Open-Data-Initiativen über die Grenzen der Bundesverwaltung hinaus und etabliert das Prinzip „Open by Default“ auch für die Datennutzung der Länder, Kommunen und öffentlicher Unternehmen in den Bereichen der Wasser-, Verkehrs- und Energieversorgung.
Sensibles Thema: Umgang mit Daten
Daten sind immer auch ein sensibles Thema, denn die Bürger*innen sind um ihre Privatsphäre besorgt. Dennoch haben sich die meisten von uns daran gewöhnt, ihre Daten gegen bessere Dienstleistungen einzutauschen. Wir stimmen der Erfassung und Weiterverwendung von Daten durch Sensoren in unseren intelligenten Zählern und Set-Top-Boxen, mobilen Geräten, Autos und Haushaltsgeräten zu. Die Lehre daraus ist, dass wir als Individuen der Datennutzung zustimmen, solange die rechtlichen und ethischen Anforderungen eingehalten werden und wir einen echten Nutzen erkennen können. Auch hierfür braucht eine smarte Kommune Strategien für den Ausbau der digitalen Kompetenzen in der Bevölkerung und bei Unternehmen.
Unter Datensouveränität versteht man, dass Menschen im Zeitalter von Digitalisierung und Big-Data proaktiv Einfluss auf die Nutzung ihrer personenbezogenen Daten nehmen können. Sie müssen befähigt werden, zu entscheiden, wo und von wem welche personenbezogenen Daten verwendet werden dürfen. Damit wird Datenschutz um die informationelle Selbstbestimmung ergänzt.
Wir müssen in der digitalen Welt beim Faktor menschliche Fähigkeiten ansetzen, um sicherzustellen, dass die Menschen, die digitale Services nutzen, mit ihnen arbeiten, aber auch diejenigen die diese entwickeln, gut gerüstet sind, um Technologien mit all ihren Auswirkungen zu verstehen. Die öffentliche Verwaltung und Politik können ihr Bestes tun, um zielgruppenadäquate Services zu entwickeln, wichtige Regeln und ethische Vorschriften aufzustellen, aber letztlich kommt es auf den Einzelnen und die Einzelne und ihre Fähigkeiten an, sich in der digitalen Welt zurechtzufinden.