Wie die Verwaltung Auslandsdeutsche als „Bürger zweiter Klasse“ behandelt
Robert Müller-Török, Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg (und selbst Expat) über die vergessenen Verwaltungskunden
Die Auslandsdeutschen, eine unbekannte Größe
Die Verwaltungsbehörden haben keine belastbaren Zahlen über die Auslandsdeutschen. Die Bundesregierung sagt stets, dass ihr diese Zahl nicht bekannt sei, so unter anderem auf eine „Kleine Anfrage“ im Jahr 2018: „Die Zahl der deutschen Staatsangehörigen, die außerhalb der Bundesrepublik Deutschland leben, ist der Bundesregierung nicht bekannt.“ Seriöse Schätzungen – wie die der OECD 2015 – gehen von über 3,5 Millionen deutschen Auswanderern allein in den OECD-Staaten aus. Allerdings versteht die OECD unter „Auswanderer“ eine in Deutschland geborene Person. Rechnet man diejenigen Auslandsdeutschen hinzu, die wie Laila Klinsmann oder die 2019 geborene Tochter von Herbert Grönemeyer im Ausland geboren sind, so kommt man sicherlich auf 4,3 Millionen oder noch mehr Auslandsdeutsche, auch nach dem Kriterium „Staatsangehörigkeit“ gehend. Berlin als größte deutsche Stadt mit etwa 3,6 Millionen Einwohnern wird hier wohl leicht übertroffen. In der Reihenfolge der Bundesländer nach Einwohnerzahl käme das „Auslandsland“ nach Hessen wohl auf den 6. Platz der deutschen Bundesländer, vor Rheinland-Pfalz und Sachsen.
Grundsätzliche Zuständigkeiten
Das Angebot an Verwaltungsleistungen der deutschen Auslandsvertretungen ist, verglichen mit dem deutscher Kommunen, deutlich eingeschränkt. Auf vielen Gebieten wirken sie im Prinzip als Vermittlerin zwischen Behörden in Deutschland. Aber: Auf vielen Gebieten nicht einmal das. Einige Beispiele des Internetauftritts der deutschen Botschaft in Budapest belegen dies exemplarisch:
- „Beschaffung deutscher Personenstandsurkunden
Die Botschaft hat keine standesamtlichen Befugnisse. Sie kann weder deutsche Personenstandsurkunden ausstellen, noch hat sie Einsicht in die deutschen Personenstandsregister.
Die Botschaft kann in Ungarn lebende Personen nicht bei der Beschaffung deutscher Personenstandsurkunden unterstützen. Antragsteller werden gebeten, sich mit ihrem Anliegen direkt an das zuständige deutsche Standesamt zu wenden, dass den Standesfall beurkundet hat.“ - „Sterbefälle
Wenn ein deutscher Staatsangehöriger im Ausland verstorben ist, kann der Sterbefall auf Antrag im Sterberegister beim zuständigen Standesamt in Deutschland beurkundet und eine deutsche Sterbeurkunde ausgestellt werden.“ - „Wohnortänderung
Wenn Sie sich in Ungarn angemeldet haben, sind Sie angehalten, Ihren Wohnort im Reisepass und auf dem Personalausweis ändern zu lassen.
Die Wohnortänderung erfolgt gebührenfrei.
Anträge auf Wohnortänderung können nur nach Terminvereinbarung über das Online-Terminvergabesystem und persönlich in der Botschaft gestellt werden.“ (Hervorhebungen d. Verf.).
Ohne die Angebote der restlichen 225 Auslandsvertretungen detailliert durchsucht zu haben, kann festgehalten werden,
- dass viele Dinge auf den 152 Botschaften, 53 Generalkonsulaten und 7 Konsulaten nicht erledigt werden können, sondern hierbei auf zum Beispiel ein Standesamt verwiesen wird, wobei die Auslandsvertretung nicht einmal als Mittler fungiert.
- viele Dinge ein persönliches Erscheinen auf der Auslandsvertretung voraussetzen, was bei beispielsweise dem für Hawaii und Alaska zuständigen deutschen Generalkonsulat in San Francisco ein aufwändiges und kostspieliges Unterfangen für den Auslandsdeutschen darstellt, ebenso wie in vielen anderen Erdteilen.
Beim Thema „Eheschließung“ ist für das Ehefähigkeitszeugnis stets ein deutsches Standesamt zuständig, Zitat: „Zuständig für die Ausstellung eines Ehefähigkeitszeugnisses ist das Standesamt des Wohnsitzes des/der deutschen Verlobten. Besteht kein Wohnsitz in Deutschland, so ist der Standesbeamte des letzten deutschen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes zuständig. Sollte nie ein Wohnsitz in Deutschland vorhanden gewesen sein, dann ist das Standesamt I in Berlin dafür zuständig“.
Und wiederum ist die deutsche Auslandsvertretung eine Art gehobener Postbote, Zitat: „Ihre Unterschriften auf dem Antrag müssen beglaubigt werden, sofern Sie den Antrag nicht persönlich bei Ihrem Standesamt stellen. Für die Beglaubigung der Unterschriften auf dem Antrag durch die Botschaft buchen Sie bitte über unser Online-Terminvergabesystem einen Termin in der Kategorie „Unterschriftsbeglaubigung“. Der Antrag sowie alle weiteren Unterlagen sind von Ihnen direkt an das Standesamt zu übersenden. Die Gebühren für die Ausstellung des Ehefähigkeitszeugnisses fallen beim deutschen Standesamt an und können nicht bei der Botschaft eingezahlt werden.“
Spezialfall Bundestagswahl
Das Wahlrecht der Auslandsdeutschen ist relativ komplex. Aus Sicht des Betroffenen sind folgende Erschwernisse hervorzuheben, welche im Jahr 2022 nicht nachvollziehbar erscheinen:
- Die Eintragung ins Wählerverzeichnis muss für jede Bundestagswahl eigens beantragt werden, eine Lösung wie in Österreich, wonach ein Eintrag ins Wählerverzeichnis 10 Jahre für alle Wahlen und Volksabstimmungen auf Bundesebene gültig ist, fehlt.
- Die Gemeinde, welche den Auslandsdeutschen ins Wählerverzeichnis einträgt, versendet regelmäßig keine Bestätigung, keine Information oder gar einen Bescheid darüber. Zitat des Bundeswahlleiters hierzu: „Üblicherweise verzichten die Gemeinden auf den Versand von Eingangsbestätigungen. Der Antrag auf Eintragung in das Wählerverzeichnis ist zugleich Antrag auf Erteilung eines Wahlscheines. Mit dem Wahlschein werden Ihnen automatisch die Briefwahlunterlagen zugesandt.“
- Das Recht auf Einsicht in das Wählerverzeichnis kann nach § 17 BWG nur persönlich ausgeübt werden. Dass ein Auslandsdeutscher, bspw. einer der über 18.000 gebürtigen Deutschen in New York City den Weg zur Einsicht ins Wählerverzeichnis antritt, ist wohl recht unwahrscheinlich.
Somit erfolgt de facto eine Diskriminierung der Auslandsdeutschen, deren Antrag auf Aufnahme ins Wählerverzeichnis wohl eher einer Flaschenpost gleicht, von der man nie weiß, ob sie ankommt. Eine Einsicht in das Wählerverzeichnis auf elektronischem Wege sollte im Jahr 2022 eine Selbstverständlichkeit sein.
OZG und Registermodernisierung – ohne Auslandsdeutsche?
Beim Onlinezugangsgesetz (OZG) spielen die Auslandsdeutschen bzw. das sie konsularisch vertretende Auswärtige Amt offensichtlich keine Rolle. Auf der offiziellen Webseite des Projekts steht „Akteure: Die Digitalisierung der Verwaltung kann nur im Zusammenspiel von Bund, den 16 Bundesländern und allen 11.000 Kommunen gelingen. Neben dem Bundesministerium des Innern und für Heimat koordinieren der IT-Planungsrat und die Förderale IT-Kooperation als zentrale Akteure die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes.“ Detaillierte Recherchen ergeben, dass in Randthemen das Auswärtige Amt beteiligt wird, bspw. bei der Onlinebeantragung von Visa. Die Beta-Version https://digital.diplo.de/ bietet, einer ersten eigenen Erprobung nach, noch keine real existierenden Funktionalitäten für den Auslandsdeutschen. Ankündigungen wie „Hier können Sie künftig einen Antrag auf einen Pass oder Personalausweis online stellen, um so Ihren persönlichen Vorsprachetermin bei der Auslandsvertretung optimal vorzubereiten.“ (Hervorhebung d. Verf.) scheinen keine echten Onlinefunktionalitäten zu beinhalten.
Auch bei der Registermodernisierung sieht es ähnlich aus. Das Gesetz ist beschlossen, und im Umsetzungsprojekt scheint das Auswärtige Amt nicht vertreten zu sein – eine Festlegung auf die Steueridentifikationsnummer als zentrale Personenidentifikationsnummer lässt Zweifel aufkommen. Es ist anzunehmen, dass die meisten Auslandsdeutschen nicht über eine Steueridentifikationsnummer verfügen, vor allem da diese erst 2008 eingeführt wurde und bei im Ausland geborenen Deutschen nicht automatisch vergeben wird wie bei im Inland Geborenen.
Problem: Die fehlende eID
Zu schreiben, dass es in Deutschland keine verbreitete eID gibt, ist wohl allgemeiner Konsens. Leider gibt es sie noch weniger für die Auslandsdeutschen, wobei ausländische eIDs regelmäßig nicht von deutschen Behörden anerkannt werden. Der Autor ist selbst Besitzer eines deutschen Führerscheines und einer österreichischen Bürgerkarte (Handysignatur), einer eIDAS-konformen eID eines EU-Mitgliedsstaates und kann sein Punktekonto beim Kraftfahrbundesamt in Flensburg nur per Briefpost abfragen. Denn die Online-Auskunft verlangt die Identifikation mit dem deutschen Personalausweis. Dass das österreichische Finanzamt online eIDAS-konform die eIDs von Belgien, Deutschland, Estland, Italien, Luxemburg, Portugal, der Slowakei, Spanien und der Tschechischen Republik anerkennt, das deutsche ELSTER-Portal hingegen nur wieder den deutschen Personalausweis, ist bezeichnend. Mittlerweile sind hier auch Länder wie Slowenien oder Italien lange an Deutschland vorbeigezogen. Bei der Verwaltung der italienischen Stadt Baragiano mit circa 2.600 Einwohnern ist es möglich, sich mit dem deutschen Personalausweis elektronisch auszuweisen – umgekehrt nicht mal in Berlin. Und ein Auslandsdeutscher in Italien wird wohl eher die italienische eID haben als den deutschen Personalausweis mit eID.
Solange die Verwaltung in Deutschland nicht einmal die eIDAS-konformen eIDs der anderen Mitgliedsstaaten akzeptiert, was im Übrigen vermutlich gemeinschaftsrechtswidrig ist und ein Vertragsverletzungsverfahren nach sich ziehen könnte, wird sich auch für die Auslandsdeutschen die Situation wohl nicht signifikant bessern.
Fazit
Die konsularischen Dienste des Auswärtigen Amtes sind per heute eher bescheiden ausgeprägt. Der Verweis auf die innerdeutschen Behörden ist nur wenig hilfreich, wenn diese elektronisch für den Auslandsdeutschen faktisch nicht verfügbar sind. Hier kann das OZG Abhilfe leisten, wenn sichergestellt wird, dass die elektronischen Identifikationsmittel der Auslandsdeutschen tatsächlich akzeptiert werden. Leider ist das Auswärtige Amt offenbar in die Registermodernisierungsbemühungen nur peripher einbezogen.
Solange man von einem Auslandsdeutschen in Hawaii oder Alaska verlangt, sich den Personalausweis vom Generalkonsulat in San Francisco zu holen, um dann – vielleicht! – mit dem „zuständigen Standesamt“ elektronisch verkehren zu dürfen, wird sich hier nicht viel verbessern können. Und das für eine Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern, die zusammen das sechstgrößte „Bundesland“ darstellen.