Bosbach
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Neuer Rechtfertigungsgrund „Gut gemeinter Aktivismus“?

Wolfgang Bosbach über die aktuellen Fälle von Autobahnblockaden und warum das Setzen einer Impfspritze nicht der Strafverfolgung unterliegt

Ein kräftiger Faustschlag, direkt auf die 12! Klarer Fall von Körperverletzung! Da werden sich schnell alle einig sein. Auch ohne intensives Studium der Rechtsprechung zu § 223 StGB.

Etwas komplizierter wird es allerdings, wenn der Zahnarzt zur Zange greift, um einen leider nicht mehr zu rettenden Zahn zu extrahieren – der zudem auch noch fiese Schmerzen bereitet hat. Und wenn der Eingriff auch noch erfolgreich war und der Grund allen Übels ermattet an der Zange baumelt? Immer noch Körperverletzung? Jawoll – und hier geht es sogar um den Tatbestand der „gefährlichen“ Körperverletzung, denn der Arzt benutzt ja zur Tatausführung ein „gefährliches Werkzeug“ iSd  § 224 StGB I, 2. Alternative.

Und um der gebotenen Aktualität wegen: Selbstverständlich gilt das Gleiche auch beim Setzen einer (Impf-)Spritze. Auch hier gilt der oben erwähnte Paragraph: Verletzung der körperlichen Integrität einer anderen Person mittels eines gefährlichen Werkzeugs (Spritze).

Aber bedeutet das im Umkehrschluss, dass die Täterin beziehungsweise der Täter für den Faustschlag, das Ziehen eines morschen Zahnes und das Setzen einer Impfspritze auch bestraft werden können?

An dieser Stelle muss leider die klassische Juristenantwort folgen: Das kommt darauf an! Aber worauf?

Darauf, ob die jeweiligen Tathandlungen durch einen rechtlich anerkannten Rechtfertigungsgrund gerechtfertigt waren! Wer einen anderen grundlos mit Fäusten traktiert, muss natürlich mit straf- und zivilrechtlichen Konsequenzen rechnen.

Anders liegt der Fall dann, wenn der Täter zuvor selber tätlich angegriffen wurde. Selbstverständlich unterscheidet unser Recht zwischen Angriff und Verteidigung! Das Gesetz verlangt auch nicht, mit milden Mitteln zu reagieren. Wer mit Fäusten malträtiert wird, darf adäquat reagieren. Das Opfer muss es nicht zunächst mit einer Gesprächstherapie versuchen.

Klaglos „die andere Wange hinhalten“ mag christlich motiviert eine edle Haltung sein, strafrechtlich geboten ist sie nicht.

Bei medizinischen Heileingriffen muss zur Vermeidung einer Strafbarkeit zunächst die Einwilligung=Zustimmung der Patienten eingeholt werden, inklusive Aufklärung über Risiken und Nebenwirkungen des Eingriffs – oder sein Unterlassen. Auch wenn der Heileingriff objektiv sinnvoll ist, vielleicht sogar dringend notwendig, kann der Patient immer noch „Nein“ sagen. Er hat das letzte Wort. Auch eine objektiv unvernünftige Entscheidung ist zu respektieren.

Was aber, wenn der Patient sich nicht äußern KANN, zum Beispiel weil er aufgrund eines Unfalls sein Bewusstsein verloren hat? Dann hilft sich das Recht mit dem Institut der „mutmaßlichen Einwilligung“. Will sagen: Wir gehen mal davon aus, dass der Patient gerettet werden möchte. Ganz kompliziert wird es allerdings bei einer Patientenverfügung mit entgegenstehendem Willen, aber das würde an dieser Stelle zu weit führen und wäre einen eigenen Aufsatz wert.

Sind Autobahnblockaden legitim?

Neben der klassischen Notwehr („Abwehr eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs“) kennen wir auch die Nothilfe („Abwehr eines Angriffs auf eine ANDERE Person“) und den rechtfertigenden Notstand des § 34 StGB. Diese Vorschrift wird gerne zitiert bei der Verletzung von Verkehrsvorschriften bei einem privaten Krankentransport. Wenn es um Leben oder Tod geht, das heißt höchste Eile geboten war. Allerdings: Die Berufung auf diese Vorschrift ist nicht immer erfolgreich.

Seit einiger Zeit scheint sich – politisch motiviert – einer neuer Rechtfertigungsgrund zu etablieren: „Politischer Aktivismus mit guten Absichten“. Da werden mal Häuser oder Werksgelände besetzt, mal der Verkehr blockiert oder Mist in Ministerien abgeladen. Natürlich immer mit edlen Motiven, entsprechender Pressebegleitung und politischer Unterstützung.

Aktuelles Beispiel: Bundesumweltministerin Steffi Lemke hat Autobahnblockaden zunächst als „legitim“ bezeichnet, musste dann aber – auch nach Protesten aus der eigenen Partei – flott zurückrudern.

Der Hintergrund: In Berlin, aber auch an anderen Orten, werden seit Ende Januar immer wieder Straßen, auch Autobahnen blockiert – um für eine Agrarwende und/oder gegen Lebensmittelverschwendung zu protestieren. Wieso durch Blockaden von Verkehrswegen weniger Lebensmittel vernichtet werden sollen, ist zwar nur mit ganz viel Mühe nachvollziehbar, denn Proteste dort, wo die Vernichtungen stattfinden wären logischer, aber auf jeden Fall ist so die öffentliche Aufmerksamkeit größer. Motto: Uuuuund: Action!

Das allerdings ist kein legaler Rechtfertigungsgrund. Auch kein legitimer. Wer derartige Blockaden wegen eines sympathischen Anliegens zwar formal als rechtswidrig betrachtet, aber im Grunde für Straflosigkeit plädiert, benutzt statt legal gerne das Wörtchen legitim. Eine derartige Argumentation ist allerdings ein Widerspruch in sich, denn das Wort „legitim“ leitet sich vom lateinischen Lex/Legis = gesetzmäßg ab. Legitim bedeutet daher „dem Gesetz entsprechend“.

Und einen Rechtfertigungsgrund „mit guter Absicht begangene Straftat“ kennt unser StGB nicht. Jedenfalls noch nicht …

 

Der Autor ist Kongresspräsident des Berliner Kongresses für Wehrhafte Demokratie. Von 1994 bis 2017 war Wolfgang Bosbach Mitglied des Deutschen Bundestages und dort unter anderem von 2000 bis 2009 stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU Bundestagsfraktion für den Bereich Innen- und Rechtspolitik und von 2009 bis 2015 Vorsitzender des parlamentarischen Innenausschusses.