IS-Rückkehrer: Begeisterung erloschen, zurück nach Deutschland! Und dann?
Rechts- und Sicherheitsexperte Wolfgang Bosbach erinnert an die Herausforderungen für Justiz und Gesellschaft
Die Geschichte des sogenannten Islamischen Staates (IS) ist ebenso komplex und kompliziert wie schnell erzählt:
Einst gegründet von dem sunnitischen Jordanier Abu Musab az-Zarqawi, damals noch unter dem Namen At-Tauhud wa -l-Dschihad. Von Anfang an als Terrormiliz organisiert, war man zunächst formell selbständig, schloss sich aber während der US-Invasion im Irak, dem Terrornetzwerk AQI (Al Qaida im Irak) an.
2006, nach dem Tod des Gründers, übernahm Abu Ayyub al-Masri die Führung, er entfernte sich jedoch ideologisch von al-Qaida und nannte sich nachfolgend ISI (Islamischer Staat im Irak). Nach dem Tod von al-Masri trat Abu Bakr al-Bagdhadi seine Nachfolge an – und ernannte sich zum Kalifen, also zum Oberhaupt seines Kalifats.
Rasch erweiterte dieses Kalifat seinen territorialen Einflussbereich über den Irak hinaus, namentlich in Syrien, durch den anhaltenden Bürgerkrieg weitestgehend destabilisiert.
Bericht des Verteidigungsministeriums
Schon Anfang 2016 wies das Bundesministerium für Verteidigung auf die besondere Gefährlichkeit des IS hin. In dessen Bericht heißt es unter Bezugnahme auf eine Verlautbarung des UNHCR vom März 2015 unter anderem wörtlich:
„In seinem Einflussbereich verfolgt und tötet der IS körperlich und psychisch Behinderte oder missbraucht diese als Selbstmordattentäter. In ihrem Propaganda-Magazin Dabiq erklären die Terroristen des IS, weshalb es ihr Recht und ihre islamische Pflicht sei, Menschen zu versklaven und zu vergewaltigen. Auch andere Minderheiten, wie Homosexuelle, berichten von Verfolgung und Hinrichtungen unter der Herrschaft der selbsternannten Gotteskrieger“.
Nun sollte man meinen, dass derartige Ereignisse flächendeckend auf Abscheu und Empörung stoßen, was weit überwiegend auch der Fall war, aber eben nicht überall. In vielen Ländern Westeuropas, so auch bei uns, waren insbesondere junge Männer – aber auch Frauen – von den Ereignissen geradezu fasziniert – und alleine aus Deutschland heraus machten sich nach Schätzungen des Verfassungsschutzes in einem Zeitraum von gut 10 Jahren über 1.100 (!) Personen auf den Weg zum IS, um ihn zu unterstützen. Nicht alle, aber viele – viel zu viele – mit der Waffe in der Hand.
Etwa 1.100 Menschen aus Deutschland unterstützten den IS
Dann kam die Rückeroberung der Stadt Kobane im Gouvernement Aleppo in Syrien – und damit begann der stetige Abstieg des IS. Aber auch wenn seine Siedlungs- und Herrschaftsgebiete immer kleiner wurden, seine Ideologie lebt wohl noch in den Köpfen vieler Fanatiker fort.
Was nun? Viele ausgereiste IS-Unterstützer hatten ihr Leben in den zahlreichen Gefechten des IS verloren, andere saßen – oder sitzen immer noch – in den dortigen Gefängnissen und warten auf einen Prozess und/oder eine möglichst baldige Rückreise nach Deutschland und in andere westeuropäische Länder, insbesondere nach Frankreich. Einige aber haben wohl – rustikal formuliert – vom Kämpfen ganz einfach die Schnauze voll und wollen fortan nur noch in Ruhe leben.
Rückkehrer nach Deutschland
Eine stattliche Zahl ist mittlerweile nach Deutschland zurückgekehrt – eine veritable Herausforderung für die Justiz, die Strafverfolgungsbehörden und den Verfassungsschutz. Denn seit langer Zeit ist auch die bloße Mitgliedschaft in einer AUSLÄNDISCHEN terroristischen Vereinigung mit Strafe bedroht, Kapital- oder Kriegsverbrechen – auch wenn sie im Ausland begangen wurden – ohnehin.
Frage: Sind die zur Last gelegten Taten auch gerichtsverwertbar? Welche Beweismittel stehen den Anklägern zur Verfügung, um den Tatnachweis zweifelsfrei führen zu können? Gibt es Zeugenaussagen, und wenn ja, sind diese Zeugen glaubwürdig, ihre Angaben glaubhaft? Gibt es Urkunden oder Film- oder Tonmaterial?
In einigen Fällen ja, in anderen nicht. Einige Urteile wurden bereits gefällt, mit zum Teil langjährigen Haftstrafen.
Präventive Maßnahmen
Und wenn der Tatnachweis nicht zweifelsfrei erbracht werden kann, wenn zwar der Verdacht stark ist, die Beweiskette aber nicht lückenlos geschlossen werden kann? Dann geht es um Prävention. Dann geht es darum, mit den legitimen der Mitteln der Gefahrenabwehr zu verhindern, dass hier (neue) schwere Straftaten begangen werden können. Denn wer mit einer fanatischen Gesinnung ausgereist ist, oder gar den Umgang mit Waffen oder Sprengstoffen gelernt hat, der wird zumindest eine latente Gefahr bleiben.
So wichtig zivile Anstrengungen zur Reintegration in unsere Gesellschaft sind, insbesondere wenn Kinder mit betroffen sind, so richtig ist auch, den Sicherheitsaspekt nicht zu vernachlässigen.
Der Autor ist Kongresspräsident des Berliner Kongress wehrhafte Demokratie. Von 1994 bis 2017 war Wolfgang Bosbach Mitglied des Deutschen Bundestages und dort unter anderem von 2000 bis 2009 stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU Bundestagsfraktion für den Bereich Innen- und Rechtspolitik und von 2009 bis 2015 Vorsitzender des parlamentarischen Innenausschusses.