Digitales Rathaus - Serie
© tungnguyen0905

Das digitale Rathaus - ein Missverständnis?

Teil 3: Wer sind die handelnden Personen?

Im zweiten Teil haben wir uns mit der Breite des Verwaltungshandelns und den Potentialen einer umfassenderen Perspektive auf die digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung beschäftigt. In diesem dritten Teil möchten wir nun auf die unterschiedlichen Stakeholder-Gruppen der Verwaltungsdigitalisierung eingehen und auch hier dafür argumentieren, dass eine ganzheitlichere Betrachtung wichtige Potentiale eröffnen und bestehende Herausforderungen adressieren kann.

Man kann das digitale Rathaus nicht ohne die im Rathaus handelnden Menschen diskutieren, auch wenn die häufige Verengung der Diskussion über die Verwaltungsdigitalisierung auf OZG-Fachverfahren manchmal den Eindruck erweckt, dass Menschen darin keine Rolle spielen. Diese Haltung ist weit verbreitet, so sieht ein aktuelles Thesenpapier der PD “einfache, digitale Verwaltungsleistungen mit möglichst wenig Aufwand und Kontakt”1 als wünschenswert aus der Perspektive der Bürger an. Ein Blick also auf die Menschen, die im physischen Rathaus ein- und ausgehen:

  • Verwaltungsmitarbeitende
  • “Kunden”: Bürger, Vertreter*innen von Unternehmen sowie der Zivilgesellschaft
  • Partner: Dienstleister, kommunale Unternehmen, Berater, andere Kommunen uvm.

Die Digitalisierung der Fachverfahren verändert das Berufsbild vieler Mitarbeitender erheblich, da der bislang übliche Kundenkontakt bei Ende-zu-Ende-digitalisierten Fachverfahren wegfällt. Wer also “auf dem Amt schafft” weil sie/er “gern was mit Menschen macht” wird in Zukunft fehl am Platz sein. Oder nicht?

Kommt der Kunde mit dem digitalen Verfahren nicht zurecht (z.B. aufgrund der Komplexität der Verwaltungsvorgänge oder aber aufgrund simpler Sprachprobleme) oder passt sein Anliegen nicht genau in die vorgesehene Struktur , wird er entweder eben doch wieder - frustriert - zur persönlichen Vorsprache übergehen. Könnte er sich jedoch während der Antragstellung auf digitalem Weg von Verwaltungsmitarbeitenden unterstützen lassen, wäre dies ein doppelter Gewinn: die mit Papier-basierten Prozessen verbundene, aufwändige persönliche Vorsprache bleibt aus und der Kunde lernt durch die Unterstützung den Umgang mit digitalen Fachverfahren. Verwaltungsmitarbeitende werden zu “digitalen Coaches” für ihre Kunden. Dazu benötigt das digitale Rathaus jedoch “digitale Türen”, die der Kunde aus seiner jeweiligen Lebenslage heraus - im Beispiel das Ausfüllen eines OZG-Antrags - niederschwellig nutzen kann.

Das digitale Rathaus - ein Missverständnis?
Digitales Rathaus - Serie

Das digitale Rathaus - ein Missverständnis?

Teil 1 von 5

Das obige Beispiel ist zentral für das Potential, das einer gelungenen Digitalisierung der Kommunikations- und Kollaborationsbeziehungen zwischen den beteiligten Menschen innewohnt. Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen:

  • schnellere und effizientere Interaktion zwischen Verwaltung und Partnern
  • Zusammenarbeit über die Grenzen der eigenen Verwaltung hinweg, z.B. in Form von IKZ’s, Projekten uvm.
  • Hybride Gremiensitzungen: digital affine Bürger erwarten digitale Beteiligungsmöglichkeiten - nur so lässt sich das “Mitmachen” der Bürger in der Kommune in Zukunft sicherstellen.

Nicht ausser Acht zu lassen ist die Interaktion innerhalb der Verwaltung selbst. Dies betrifft die tägliche Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen, die neben dem fachlichen Austausch auch soziale Elemente beinhaltet. Teamgeist und “Office-Feeling” leiden bei zunehmender ortsunabhängiger Arbeit (z.B. durch ausgedehnte Flexdesk-Konzepte), die potentiellen Vorteile der Digitalisierung werden hier durch die (soziale) Erosion der menschlichen Beziehungen ins Risiko gestellt. An flexiblen Arbeitskonzepten wieder führt angesichts der zunehmenden Verknappung von Fachkräften kein Weg vorbei. Gerade die fehlende Spontanität des Austauschs “auf den Fluren” führt zu neben sozialer Verarmung zu sinkender Effizienz, Kreativität und Innovationskraft. Eine nachhaltige Perspektive muss daher sicherstellen, dass auch in einer digital transformierten öffentlichen Verwaltung persönlicher Austausch, Spontanität und menschenzentrierte Prozesse als Grundlage von Teamgeist, “Office Feeling” und Vertrauen, aber auch Kreativität und Innovationsgeist möglich bleiben.

Die häufig kritisierten Silostrukturen können mit geeigneten digitalen Instrumenten genau so durchbrochen werden, wie die Zusammenarbeit über unterschiedliche Verwaltungsgebäude hinweg. Gerade die Zusammenarbeit in Bereichs-übergreifenden Projekten wird als zentral für den Erfolg der Verwaltungsdigitalisierung gesehen. Aber auch das wird nicht durch digitale Formulare oder Anträge passieren, sondern durch die Digitalisierung der Kommunikations- und Kollaborationsprozesse zwischen den Beteiligten Menschen. Wenn wir hier die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen und die starren Zusammenarbeitsformen der Vergangenheit durch agile, ortsunabhängige Strukturen ersetzen, profitiert wiederum auch die Digitalisierung der Fachverfahren.

Das digitale Rathaus - ein Missverständnis?
Digitales Rathaus - Serie

Das digitale Rathaus - ein Missverständnis?

Teil 2: Was passiert eigentlich in einem Rathaus?

Automatisierte Verwaltung ohne “Gesicht”?

Es gibt jedoch noch einen weitere Aspekt, der für die Kunden der Verwaltung von großer Bedeutung ist: eine Verwaltung, die ausschließlich auf digitale “Mensch-zu-Maschine”-Prozesse setzt “verliert ihr Gesicht”. Dies macht eine reibungslose Digitalisierung der Fachverfahren umso wichtiger, denn nur so wird wertvolle “Facetime” der Verwaltung frei - also Zeit, die Verwaltungsmitarbeitende in der Beratung von Kunden für Support, allgemeine, nicht strukturierte Anfragen und vieles mehr einsetzen können.

Warum ist dies wichtig? Verwaltung darf - im Gegensatz zu kommerziellen Anbietern, die kann man auf einem freien Markt jederzeit wechseln - nicht auf Gesicht verzichten. Sie ist ein bisschen wie Familie, die kann man sich auch nicht aussuchen. Eine “volldigitalisierte” Verwaltung, in der “Kunden” ihre Anliegen nicht mehr einem “echten Menschen” erklären können, trägt zur Entfremdung zwischen Bürger und Verwaltung und damit - mangels Differenzierung - eben auch zwischen Bürger und “Politik” oder einfacher noch “denen da oben” bei. Dies ist angesichts eines sehr niedrigen Vertrauens in die Politik nicht opportun. Umgekehrt birgt eine “Digitalisierung mit Gesicht” großes Potential, Vertrauen aufzubauen und Bürger in vielfältiger Form zu beteiligen, zum Mitmachen zu bewegen und gut zu betreuen.

Ein Blick über den Tellerrand der technisch-prozessualen Digitalisierung von Fachverfahren im Sinne eines Einbezugs der an den jeweiligen Vorgängen und Verfahren beteiligten Menschen kann also den Erfolg der Digitalisierung von Fachverfahren und die Effizienz des gesamten Verwaltungshandelns steigern. Die angemessene Berücksichtigung “menschlicher Belange” in der Verwaltungsdigitalisierung bedingt jedoch eine maximale Rationalisierung auf der Ebene der Fachverfahren, um die entsprechenden zeitlichen Ressourcen für “Facetime” der Verwaltungsmitarbeitenden für die jeweiligen Interaktionen mit Kunden, Partnern und anderen Verwaltungsmitarbeitenden zu schaffen.

1 Thesenpapier zum NEGZ Werkstattgespräch zum NKR-Gutachten „Föderaler Staat, leistungsfähige Verwaltung“ - https://negz.org/termin/werkstattgespraech-des-nationalen-normenkontrollrats-nkr/

Weiter geht es mit Teil 4 der fünfteiligen Serie am kommenden Donnerstag!