Folgt man Historikern, gab es diesen Slogan schon vor der Gründung des Staates Israel. Demnach hatte er (damals) eine völlig andere – um nicht zu sagen gegensätzliche – Bedeutung als heute. Jedenfalls wandelte sich die Bedeutung des Spruches im Laufe der Jahre fundamental, erfolgte doch dessen Zuschreibung zur palästinensischen Protestkult – allerspätestens zum Zeitpunkt der Gründung der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), Mitte der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Für die PLO war der Satz die rhetorische Grundlage um „damit die Schaffung eines eigenen, und zwar aus dieser Sicht einzig legitimierten Staates zu rechtfertigen“, so der bekannte Politologe Wolfgang Kraushaar.
2017 übernahm dann die Terrororganisation Hamas diese Parole in ihr Grundsatzpapier.
Kein Zweifel: Ab jetzt wird es bei der innerstaatlichen Nutzung dieses Satzes strafrechtlich relevant, denn in Art. 20 der o.a. Charta heißt es „Die Hamas lehnt jede Alternative zu einer kompletten und vollständigen Befreiung von Palästina ab, vom Fluss (Jordan) bis zum (Mittel)Meer.“ Aus Sicht der Hamas bedeutet das: vollständige Auslöschung des Staates Israel. Indes wurde der Satz auch auf israelischer Seite verwandt, wenn auch mit dem exakt gegenteiligen Sinngehalt.
Wer jetzt schon verwirrt ist, dem sei gesagt, dass die wirklich schwierigen Fragen erst jetzt thematisiert werden, und die sind echte juristische Leckerbissen: Da das Mitführen und Brüllen der Parole „From the river to the sea“ in den letzten Jahren immer populärer wurde, mussten sich alsbald die ersten Strafgerichte mit dieser Causa beschäftigen. Mal wurde Anklage erhoben, mit der Folge, dass Gerichte darin KEINEN Aufruf zur Gewalt sahen, andere Gerichte lehnten sogar die Durchführung einer Hauptverhandlung ab, es käme – Überraschung! – immer auf den Kontext an. So ging das her – bis zum 7. Oktober 2023.
Infolge der dramatischen Ereignisse dieses Tages verbot das BMI am 2. November die Verwendung der streitgegenständlichen Parole „in sämtlichen Sprachen“. Im Kontext der §§ 86 und 86 a StGB nutzten dann verschiedene Strafverfolgungsbehörden ihr juristisches Vokabular in so ziemlich allen denkbaren Richtungen, von „voraussichtlich strafbar" über „nicht generell strafbar“ bis hin zu Generalstaatsanwaltschaften: „strafbar“.
So richtig kompliziert wurde es aber im Versammlungs-/Demonstrationsrecht, wo die Parole mal als Untersagungsgrund galt und mal nicht. Erst vor wenigen Tagen wurde nach einer Verurteilung einer 42–jährigen Iranerin, die diese Parole gepostet hatte, Revision zum BGH eingelegt. Karlsruhe, bitte Übernehmen! Möglicher Ausgang dort: Es kommt auf den Kontext an! Alles retour an die Instanzgerichte. Es bleibt spannend.
Der Autor, Wolfgang Bosbach, ist Kongresspräsident des Berliner Kongresses für wehrhafte Demokratie. Von 1994 bis 2017 war er Mitglied des Deutschen Bundestages und dort unter anderem von 2000 bis 2009 stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU Bundestagsfraktion für den Bereich Innen- und Rechtspolitik und von 2009 bis 2015 Vorsitzender des parlamentarischen Innenausschusses.
Der 7. Berliner Kongress Wehrhafte Demokratie - Gesellschaftlicher Dialog für Innere Sicherheit, Verteidigungsfähigkeit und Zusammenhalt findet vom 16. bis 17. Juni 2025 im Hotel de Rome in Berlin statt.