Bern soll mehr werden als nur eine Smart City
Organisation, Struktur, Personal: Konzept sieht weitreichende Neuausrichtung vor / Extra-Budget für Trial-and-Error
Bern ist nicht groß. Mit knapp 150.000 Einwohnern ist die Stadt an der Aare etwa mit Regensburg, Darmstadt oder Oldenburg zu vergleichen. In der Welt der Bits und Bytes könnte die Schweizer Haupstadt jedoch bald weitaus größer werden als jede deutsche Stadt. Die Kommunalpolitik hat mit der neuen Digitalstrategie nicht weniger vor, als die Verwaltungsorganisation nach elektronischen Gesichtspunkten neu auszurichten.
Strategiepapier mit Umsetzungsplanung
Die Berner Digitalstrategie enthält zweierlei. Auf den ersten zehn Seiten erläutert die Stadt ihre strategischen Ziele. Auf weiteren zehn Seiten fließen diese abstrakten Vorstellungen in eine Umsetzungsplanung ein. Hier werden konkrete Maßnahmen, Arbeitspakete und die jeweilige Projektleitung fixiert. Auch gibt das Papier Hinweise darauf, wie die Ergebnisse künftiger Maßnahmen zu messen sind (Operationalisierung). In einem weiteren Kapitel werden die wichtigsten Veränderungen von Organisation und Struktur der Stadtverwaltung unter die Lupe genommen. Dieser sechsseitige „Anhang“ ist vielleicht der interessanteste Teil des gesamten Konzepts und wird im Folgenden beschrieben.
In Schweizer Worten fasst sich das recht unprätentiös: „Die gesamtstädtische Organisation zu Informatik- und Kommunikationsthemen wird den Chancen der Digitalisierung angepasst. Aufgaben und Verantwortlichkeiten werden geschärft und wo nötig neu zugewiesen.“ Anders als in vielen Papieren hierzulande, umreißt Bern nicht nur eine „Smart City“ mit ein bisschen E-Government als Anhängsel, sondern hat den Anspruch Strukturen und Organisation zu verändern sowie Personal gezielt zu qualifizieren.
Ausprobieren dürfen – mit zusätzlichen Mitteln
Kurz gefasst will die Stadt auf Fachbereichsebene neue Ansprechpartner mit globalen Verantwortlichkeiten für die Digitalisierung im jeweiligen Ressort schaffen. Übergeordnet wird ein „Informatik-Lenkungsausschuss“ eingesetzt, der für die Umsetzung der Digitalstrategie insgesamt zuständig ist. Hinzu kommt eine „Fachstelle für Digitale Entwicklung“. Ihre Aufgabe ist es, Akteure innerhalb Berns und mit externen Dritten besser zu vernetzen. Ein weitere Neuerung betrifft die Arbeitskultur: Künftig gilt das Prinzip „ausprobieren dürfen“. Für die Entwicklung und Erprobung innovativer Lösungsansätze werden Finanzmittel zentral reserviert, die leichter abgerufen und so Ideen rascher erprobt werden können.
Zentrale Koordination, dezentrale Führung
Mit der Neuausrichtung des Informatik-Lenkungsausschusses als strategisches Gremium wird ein verbindlicher organisatorischer Rahmen für die Umsetzung der Digitalstrategie geschaffen. Zudem führt die Stadt mit den „IKT-Leitenden“ explizite IKT-Leitungsfunktionen in den Direktionen ein, und sie etabliert eine Fachstelle, aus der heraus die digitale Transformation gefördert, begleitet und koordiniert wird.
Fachübergreifender Informatik-Lenkungsausschuss
Der Informatik-Lenkungsausschuss soll für die Umsetzung der Digitalstrategie sorgen. Ihm gehören die sogenannten IKT-Leiter (IT-Verantwortliche) der Direktionen (in Deutschland meist: Dezernate) und der Stadtkanzlei (Rathaus) an, die der Stadtpräsident (Ober-/Bürgermeister) leitet. An dem Ausschuss nehmen zudem die Leitung der „Fachstelle Digitale Entwicklung“ teil (siehe unten) und die Chefs der sogenannten „Leistungserbringenden“ (vor allem praktische IT-Dienste). Der Lenkungsausschuss ist an zentraler Stelle verantwortlich für die Steuerung der IT-Investitionsmittel, das strategische Monitoring sowie Aufbau und Pflege von strategischen Vernetzungsplattformen und für die Beratung der Stadtverwaltung im Agenda-Setting.
Die persönliche „digitale Fitness“ der Mitarbeitenden als Voraussetzung für die effiziente Nutzung der digitalen Mittel soll gestärkt werden.
IT-Beauftragte werden zu IT-Leitern
Das Berner Konzept beruht in großen Teilen darauf, dass die IT-Leiter der einzelnen Dezernate ihre Funktion von nun an als Führungsaufgabe wahrnehmen: Aus bisherigen Informatikbeauftragten werden dezentrale „IKT-Leiter“. Als eine Art Stabsstelle werden sie an den Generalsekretariaten angesiedelt, also sehr nahe an der Leitungsebene. So soll sichergestellt werden, dass IT-Investitionen und IT-Aufgaben in der jeweiligen Direktion stärker ins Blickfeld rücken. Diesem Zweck dient auch der Einbezug der IKT-Leiter im ressortübergreifenden Informatik-Lenkungsausschuss.
Drei Handlungsfelder
1. Partnerinnen und Partner
Interaktion zwischen der städtischen Verwaltung und der Bevölkerung sowie den städtischen „Partnern“
2. Stadtverwaltung und Mitarbeitende
IT-Möglichkeiten, die die Verwaltung und ihre Mitarbeiter auf die Anforderungen der Digitalisierung verpflichtet
3. Informatik und Kommunikationsinfrastruktur
Werterhalt der bestehenden Infrastruktur sowie deren am technologischen Fortschritt orientierte Weiterentwicklung
Koordinatoren auf Arbeitsebene
Die IKT-Leiter haben eine manageriale Funktion und sind nicht nur für Einsatz, Budget, Projekte und direktionsspezifische Sicherheit verantwortlich, sondern auch für die passende Weiterbildung von Mitarbeitern im Umgang mit IT. Unterstützt werden sie durch sogenannte Informatik-Koordinatoren, die auf Arbeitsebene das alltägliche Informatikgeschehen betreuen. Beratung erhalten die „IKT-Leiter“ durch die „Fachstelle Digitale Entwicklung“.
Fachstelle Digitale Entwicklung
Die Fachstelle Digitale Entwicklung ist zuständig für die Vernetzung übergreifender Fragen innerhalb der Verwaltung und mit Stellen von außerhalb. Die Einrichtung operiert wie eine Beratungs- und Entwicklungseinheit, um z. B. technologischen Fragestellungen nachzugehen und Lösungen bis zur konzeptionellen Reife voranzubringen. Dabei nimmt sie Best Practice-Projekte im In- und Ausland in Augenschein, vernetzt Stakeholder und besitzt dafür auch ein eigenes Budget.
Alles in allem geht die Stadt Bern mit ihrer Digitalstrategie weit über infrastrukturelle Maßnahmen à la Smart City hinaus. Die Neuerungen betreffen zwar in erster Linie interne Aufgaben und Verantwortlichkeiten, sind aber darauf ausgelegt, die Stadtverwaltung gegenüber Bürgern, Unternehmen und Stakeholdern modern und „alltagtauglich“ zu halten. Schließlich soll das Konzept auch dazu beitragen, die „Legislaturrichtlinien 2017 bis 2020“ umzusetzen. Damit will der Gemeinderat neben einer stärkeren Vernetzung von Menschen und Infrastrukturen ebenso mehr Beteiligung und Integration der Bürger fördern.