Mit Bürgerbeirat, Data Visualiser & Fingerspitzengefühl
Interview mit dem Verwaltungs- und Organisationsexperten Frank Weise
Verwaltung der Zukunft: Wovon würde sich eine auf „der grünen Wiese“ neu zu schaffende Behörde am meisten von einem klassisch geprägten Exemplar preußisch-bürokratischer Bauart unterschieden?
Weise: Die Reform der preußischen Verwaltung wird nicht zu Unrecht mit Modernisierung und Professionalisierung verbunden. Die preußische Bürokratie steht aber auch für eine Form der Administration, die Vorschriften über die Menschen stellt. Hätten wir heute die Möglichkeit, eine Behörde völlig neu auf der grünen Wiese ohne historische Zwänge zu schaffen, würde sie hingegen den Menschen viel stärker berücksichtigen. Sie würde die Prozesse auf den Bürger bzw. Kunden ausrichten.
Kundenorientierung und digitale Ausrichtung müssen in der organisatorischen Ausgestaltung abgebildet werden.
VdZ: Wie denn zum Beispiel?
Weise: Zum Beispiel werden die Bürger in die Strategieentwicklung einer solchen Behörde und die Aufgabengestaltung eingebunden. Digitale Beteiligungsinstrumente verankern dies dauerhaft und partizipativ, z. B. mittels eines unabhängigen, offenen Bürgerbeirats. Zudem wird das Design der Dienstleistungen und Angebote von den Anforderungen der Bürgerinnen und Bürger her gedacht. Denn die Dienstleistungserbringung und der Bürgerkontakt werden zunehmend über digitale Kanäle laufen. Zugang und Nutzung solcher digitaler Plattformen müssen daher so leicht und bedienfreundlich wie möglich gestaltet werden.
VdZ: Das will alles erstmal verankert werden...
Weise: Ja, Kundenorientierung und digitale Ausrichtung müssen in der organisatorischen Ausgestaltung abgebildet werden. Eine neue Behörde vermeidet demnach rigide Hierarchien und Silodenken. Die Behörde der Zukunft ist durchlässig, modular, prozessorientiert und agil aufgestellt. Gegenüber der preußischen Bürokratie haben wir heute natürlich auch den großen Vorteil, dass wir nicht den Abakus, sondern moderne Technologie nutzen können. Zum Beispiel in Form von Prozessautomatisierung und Big-Data-Instrumenten zur Organisationssteuerung.
Der Bedarf an Juristen wird wohl abnehmen...
VdZ: Welche Art Personal mit welchen Qualifikationen bräuchte es dafür?
Weise: Die Arbeitsweise und Organisationskultur unserer Behörde auf der grünen Wiese unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von denen heutiger Behörden. Natürlich sind damit auch andere Qualifikationen gefordert, um den Behördenauftrag erfolgreich umsetzen zu können. Der Bedarf an Juristen wird wohl abnehmen. Dafür werden neue Berufsprofile wie Data Scientists, Data Visualiser und Scrum-Experten deutlich mehr gefragt sein.
...dafür werden neue Berufsprofile wie Data Scientists, Data Visualiser und Scrum-Experten deutlich mehr gefragt sein.
VdZ: Welche Rolle spielen solche IT- bzw. Digitalisierungsfachleute?
Weise: Nicht nur die organisatorische Ausgestaltung, auch die Mitarbeitenden der Behörde müssen digitalisierungsfest sein. Dies betrifft einerseits harte Faktoren. Die Behörde der Zukunft beschäftigt Mitarbeitende mit Technologiekompetenz, die Daten auswerten, analysieren sowie interpretieren können. Daraus werden dann organisationale Entscheidungen oder Empfehlungen abgeleitet. Andererseits gewinnen aber auch Soft Skills an Bedeutung. Nach außen gerichtet müssen die Mitarbeitenden bei der Dienstleistungserbringung stärker auf Nutzeranforderungen eingehen können – und die behördlichen Aufgaben dennoch an der Sache orientiert, rechtskonform und unabhängig von der Person erbringen.
Um diese Balance halten zu können, ist viel Fingerspitzengefühl und soziale Kompetenz notwendig. Nach innen gerichtet müssen die Mitarbeitenden zu eigenständigem, flexiblem, anpassungsfähigem und zugleich vorausschauendem Handeln in der Lage sein. Sie müssen gewohnte Verfahrensweisen in Frage stellen und innovative Ideen selbständig entwickeln können. Auch die Zusammenarbeit im Team wird noch wichtiger.
Überall dort, wo die Behörde hoheitliche Aufgaben wahrnimmt, wird es in Zukunft auch Beamte geben.
VdZ: Gäbe es überhaupt noch Beamte?
Weise: Natürlich stellt sich die Frage, ob das eher starre Beamtenmodell den richtigen Rahmen für ein auf diese Weise verändertes Berufsbild darstellt. Hier muss sicherlich zwischen verschiedenen Behörden- und Stellentypen unterschieden werden. Überall dort, wo die Behörde hoheitliche Aufgaben wahrnimmt, wird es in Zukunft auch Beamte geben. Davon abgesehen setzt die Behörde der Zukunft flexiblere Beschäftigungsarten ein. Dafür sollten die privatrechtlichen Arbeitsverhältnisse im öffentlichen Dienst aufgewertet werden. Nicht nur finanziell, sondern auch bezüglich der Entscheidungs- und Handlungsspielräume, die den Mitarbeitenden eingeräumt werden.
Natürlich muss eine solche Behörde auch ihre Personalgewinnung professioneller aufstellen, um im Wettbewerb mit Unternehmen mithalten zu können.
VdZ: Wenn das alles so oder so ähnlich eintreffen sollte: Was können Sie Mitarbeitenden im öffentlichen Dienst heute raten, um selbst „zukunftsfähig“ zu bleiben?
Weise: Ohne den Willen der Mitarbeitenden, sich selbst zu hinterfragen und wo nötig zu verändern, wird es nicht gehen. Wer sich im Kontext der Digitalisierung der Arbeitswelten eigenständig weiterbildet, macht natürlich nichts falsch. Es gibt im öffentlichen Sektor viele solche Menschen. Ihre Eigenmotivation beeindruckt mich. Der Arbeitgeber darf sie aber mit diesem Veränderungsdruck nicht alleine lassen. Es ist die Aufgabe öffentlicher Organisationen, die notwendige Zeit und die erforderlichen Ressourcen für marktgerechte kontinuierliche Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen.
VdZ: Zusatzqualifikationen, Studium neben der Arbeit oder einfach „Learning by Doing“ – womit ist am meisten gedient?
Weise: Wir haben beispielsweise mit der Etablierung von Digitalisierungsakademien viele positive Erfahrungen sammeln können. Mitarbeitende im öffentlichen Dienst setzen sich bereitwillig und neugierig mit der digitalen Transformation auseinander, wenn man den richtigen Rahmen setzt und die entsprechende Unterstützung schafft. Dementsprechend verankert die Behörde der Zukunft die Idee ständigen Wandels tief in ihrer Organisationskultur. Sie erkennt die Begleitung organisationalen und personellen Wandels als eine wichtige Daueraufgabe an. Zudem etabliert sie eine Fehlerkultur. Die Mitarbeitenden müssen das Gefühl haben, dass sie Neues ausprobieren und dabei auch mal scheitern dürfen. Nur so können die vielfältigen Kenntnisse und Fähigkeiten der Mitarbeitenden voll genutzt werden.
Die Mitarbeitenden müssen das Gefühl haben, dass sie Neues ausprobieren und dabei auch mal scheitern dürfen.
VdZ: Was hielten Sie von der Idee, tatsächlich eine Test-Behörde zu gründen? Ein künstliches Amt, in dem alles, „was im Grunde schon geht“, ausprobiert wird: Reale Mitarbeitende, die sich auf Bund, Ländern und Kommunen bewerben können, um mit den neusten Tools auf rechtstaatlicher Basis Vorgänge, Prozesse etc. simulieren und dann vielleicht auch tatsächlich umsetzen zu können...
Weise: Halte ich das für eine charmante Idee? Ja. Ist ihre Umsetzung realistisch? Nein. Ich hielte es für zielführender, etwa eine bestehende kleinere Behörde mit einem klar abgegrenzten Aufgabenfeld und vergleichsweise geringen Interdependenzen zu anderen Behörden in eine Modellbehörde zu transformieren. Dafür braucht es eine engagierte Behördenleitung, eine aufgeschlossene Belegschaft und die entsprechende politische wie auch finanzielle Flankierung. Dann könnte sie viele der oben genannten Elemente sukzessiv umsetzen und damit als Vorbild für andere öffentliche Organisationen dienen.
Ich hielte es für zielführender eine bestehende kleinere Behörde mit einem klar abgegrenzten Aufgabenfeld und vergleichsweise geringen Interdependenzen zu anderen Behörden in eine Modellbehörde zu transformieren.
Im Zuge der Digitalisierung kommen natürlich auch neue Aufgaben hinzu, denen sich die öffentliche Verwaltung annehmen muss. Neue Aufgaben bieten die Chance dafür, eine neue Behörde ins Leben zu rufen. Eine solche neue Behörde könnte dann nach den beschriebenen Parametern ausgestaltet werden. Dies böte die Gelegenheit, eine moderne Organisation ohne Altlasten – eben auf der grünen Wiese – aufzubauen.
VdZ: Inwieweit würden öffentliche Aufgaben heute überhaupt noch nach einzelnen (klassischen) Ressorts/Ämtern organisiert? Macht es womöglich Sinn, Aufgaben, Leistungen, Prozesse und Verfahren in den digitalen Zusammenhängen ganz anders zu organisieren und zu verorten?
Grundsätzlich wird die fachliche Spezialisierung bzw. Arbeitsteilung und die entsprechende Gliederung der Verwaltungslandschaft in fachliche Ressorts fortbestehen.
Weise: Grundsätzlich wird die fachliche Spezialisierung bzw. Arbeitsteilung und die entsprechende Gliederung der Verwaltungslandschaft in fachliche Ressorts fortbestehen. Eine derart weitreichende Reorganisation des gesamten öffentlichen Sektors ist nicht umsetzbar. Auch stünden die Kosten eines solchen tiefgreifenden Wandels kaum im Verhältnis zu seinem Nutzen. Die Digitalisierung bietet jedoch die Möglichkeit, verschiedene Arbeitsbereiche stärker zu vernetzen, den Austausch zwischen Behörden deutlich zu verbessern und organisatorische Gräben zwischen ihnen virtuell zu überbrücken.
Nach außen hin werden Dienstleistungen zukünftig stärker an den Lebenslagen der Nutzer und weniger am internen Aufbau einzelner Behörden oder der Struktur der Verwaltungslandschaft ausgerichtet werden. In einem simplen Beispiel würden sich Meldebehörden automatisch zum Umzug einer Bürgerin/eines Bürgers mit allen relevanten Behörden austauschen. Der Nutzer müsste dann nur noch beim Meldeamt, nicht aber auch bei den anderen Behörden vorstellig werden. Die organisatorische Aufteilung im Hintergrund bleibt gleich. Nach außen hin hat der Nutzer jedoch nur einen Interaktionspunkt. Für die Bürgerinnen und Bürger würde der Austausch mit öffentlichen Organisationen dadurch wesentlich einfacher.