Flüchtling Einwanderer Immigrant Migrant Migration Muslim Moslem Islam Lernen Integration Language training for refugees in a German camp: A female German volunteer is teaching young African (Gambia) and Arabic (Algeria and Tunesia) men the German language in a refugee camp quickly
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„Das BAMF ist ein fester Bestandteil der Sicherheitsarchitektur geworden“

5 Fragen an BAMF-Vizepräsident Dr. Markus Richter

Gibt es einen Zusammenhang zwischen einer schnellen Bearbeitung von Asylanträgen, Arbeitsmarktzugang und Integration einerseits sowie (organisierter) Kriminalität andererseits? Wie lassen sich Identitäten und Sicherheitssachverhalte aufklären und zwischen den Behörden nutzen? Und lassen sich aus vorherigen Zuwanderungswellen Lehren für eine bessere Gestaltung in der Zukunft ziehen? – Ein Interview zu den Schnittmengen von Integration und öffentlicher Sicherheit.

VdZ: Ein erheblicher Teil der heutigen Clan-Kriminalität wird Großfamilien mit arabischen-kurdischen bzw. palästinensisch-libanesischen Wurzeln zugeschrieben, die während des libanesischen Bürgerkrieges ab den späten 1970er Jahren als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, hier mangels individueller politischer Verfolgung oft kein Asyl erhielten, sondern lediglich eine Duldung, und dadurch keine Arbeitserlaubnis bekamen, sondern in einen dauerhaften Sozialleistungsbezug gerieten. War der dauerhafte Duldungsstatus aus heutiger Perspektive ein Fehler?

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Bei Personengruppen mit einer Bleibeperspektive ist eine frühzeitige Integrationsarbeit zielführend.

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Richter: Eine Kausalität zwischen Duldungsrecht und Kriminalität herzustellen, verbietet sich aus meiner Sicht. Es ist nicht richtig, dass das Duldungsrecht zu kriminellen Handlungen verleiten würde. Allerdings erscheint es mir sehr nachvollziehbar, dass der Gesetzgeber Beschränkungen des Zugangs zum Arbeitsmarkt für Asylbewerber und Geduldete gelockert hat. 2014 wurde zum Beispiel das Arbeitsverbot für Geduldete von zwölf auf drei Monate verkürzt. Das entspricht auch insgesamt der Rechtssystematik. Das BAMF bearbeitet Asylanträge ebenfalls binnen drei Monaten. Bei Personengruppen mit einer Bleibeperspektive ist eine frühzeitige Integrationsarbeit zielführend. Hier leistet das BAMF nicht nur mit dem Integrationskurs, sondern auch der berufsbezogenen Sprachförderung einen wichtigen Beitrag.

Dr. Markus Richter hat mit Studienaufenthalten in Nairobi und Vancouver in Münster Jura studiert, promoviert und zweite Staatsexamen abgelegt. Seit 2005 arbeitet er beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Als Vizepräsident verantwortet er die Digitalisierung, den HR-Bereich und die operativen Einheiten der Behörde. Zuvor war er IT-Chef des BAMF und wurde unter anderem zu Europas CIO des Jahres 2017 gekürt. 2018 gründete Herr Richter unter der Schirmherrschaft des CIO des Bundes, Staatssekretär Klaus Vitt, das „Netzwerk – Experten digitale Transformation der Verwaltung (NExT)“ (www.next-net.de), in dem inzwischen über 30 Behörden zusammenarbeiten, um die Digitalisierung und Agilität in der Verwaltung voranzutreiben.
© Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

VdZ: Viele der Menschen, die in den letzten Jahren nach Deutschland gekommen sind, haben ebenfalls keinen Zugang zum Arbeitsmarkt oder es bestehen andere Integrationshindernisse, ein Teil ist untergetaucht. Birgt das die Gefahr, dass sich die vorgenannte Problematik wiederholen könnte?

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Klar ist, dass zügige Asylverfahren Klarheit über den Bleibestatus bringen.

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Richter: Auch dieser Schluss wäre zu einfach und daher irreführend. Aber klar ist, dass zügige Asylverfahren einschließlich etwaiger Gerichtsverfahren, Klarheit über den Bleibestatus bringen. Da die Asylverfahren inzwischen binnen drei Monaten entschieden werden, sind wir heute in einer ganz anderen Situation als noch vor wenigen Jahren. Wir leisten daher als BAMF einen wichtigen Beitrag für Integration und gesellschaftliche Akzeptanz.

Das BAMF ist inzwischen auch ein fester Bestandteil der Sicherheitsarchitektur in Deutschland geworden. Bei unserer Arbeit gewinnen wir über Identitäten und Sicherheitssachverhalte Kenntnisse, wie kaum eine andere Behörde. Dabei bedienen wir uns auch modernster Technik, wie eine digitale Dialekterkennung. Wir sind eine der ersten Behörden weltweit, die beispielsweise mit einer Software arabische Dialekte einer Region zuordnen kann. Dabei stimmen wir und eng mit den Sicherheitsbehörden ab. Außerdem haben wir eine zentrale Stelle zur Deradikalisierung aufgebaut. Diese findet inzwischen hohe Akzeptanz. Das BAMF fördert seit dem Jahr 2005 mit den Integrationskursen nicht nur den Spracherwerb und gibt Hilfestellungen an der Schnittstelle zum Arbeitsmarkt. Es finden flächendeckend auch Wertevermittlungen und entsprechende Projektarbeit durch das BAMF statt. Mit Blick auf Sicherheitsfragen, Kriminalitätsprävention, Integration und im Flüchtlingsmanagement sind wir heute also wesentlich weiter.

VdZ: Ist Integration der Schlüssel, um zu verhindern, dass Zugewanderte auf die schiefe Bahn geraten und vom deutschen Staat distanzieren?

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Gesellschaftliche Teilhabe leistet einen wesentlichen Beitrag zur Gewalt- und Kriminalitäts- prävention.

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Richter: Gesellschaftliche Teilhabe leistet einen wesentlichen Beitrag zur Gewalt- und Kriminalitätsprävention. Das gilt bei Zugewanderten genauso wie bei anderen. Integrationsarbeit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die zwar bei Sprache anfängt und über den Arbeitsmarkt führt. Letztlich geht es aber auch um Kontakt im persönlichen Umfeld und Akzeptanz.

VdZ: Was könnten wir tun, um Integration zu erreichen? Die Herausforderungen liegen ja sowohl auf Seiten der zu Integrierenden, als auch auf Seiten der Gesellschaft, die die Integration mittragen muss.

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Integration ist keine Einbahnstraße.

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Richter: Integration ist in der Tat keine Einbahnstraße. Sie kann nur gelingen, wenn sich Gesellschaftsstrukturen offen zeigen. Das ist wiederum nur möglich, wenn Sicherheitsaspekte ernst genommen werden. Der gesellschaftliche Zusammenhalt muss gestärkt werden. Eine Schwarzweißmalerei hilft da nicht. Es sollte uns noch besser gelingen, komplexe Sachverhalte zu diskutieren und voreiligen Schlüssen entgegenzuwirken. Ich würde mir von allen Beteiligten, Behörden, Politik und Interessenvertretungen wünschen, dass hierzu jeder seinen Beitrag leistet.

Bei Zugewanderten sind Hilfestellungen für eine gelingende Integration essentiell. Genauso gehört aber auch die konsequente Umsetzung des Rechts dazu, wenn Integration verweigert oder gegenläufig Tendenzen auftreten. Hier sehen die Gesetze bereits Sanktionsmöglichkeiten vor, die von den beteiligten Behörden stringent umzusetzen sind. Unabhängig vom Einzelfall sind für diese Arbeit datenbasierte Erkenntnisse wichtig. Mit dem Ausländerzentralregister ist dafür eine wichtige Grundlage gelegt, von der tausende beteiligte Behörden auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene für ihre Arbeit profitieren.

VdZ: Vier Fünftel der Ermittlungsverfahren in Deutschland weisen inzwischen Bezüge zum Ausland auf, oft spielen ausländische Banden eine Rolle. Hier dürften die Möglichkeiten der Integration an ihre Grenzen stoßen. Sehen Sie andere Ansätze?

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Kriminalität müssen wir als Faktum einordnen, dem wir mit allen Mitteln des Rechtsstaates begegnen.

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Richter: Hier sind wir im klassischen Feld der Kriminalitätsbekämpfung. Diese Phänomene sind ja nicht neu. Mit Blick auf das Migrationsgeschehen gehören zu diesem Feld neben der Ermittlungs- und Präventionsarbeit von Ermittlungsbehörden drei Säulen dazu. Zum einen die Datentransparenz: Kommt heute ein Geflüchteter nach Deutschland, so nehmen wir beim ersten Kontaktpunkt biometrische Daten auf und gleichen diese gegen nationale und internationale Datenbanken ab. Auch wenn sich daraus kein Treffer ergeben sollte, gehen wir der Identitätsklärung intensiv weiter nach. Echtheitsprüfungen von Pässen, Bildbiometrie und Handydatenauslesen sind nur einige Stichworte in dem Kontext. Daneben halte ich auch Profilanalysen für sinnvoll, um sicherheitsrelevante Hinweise zu generieren und leichter erkennen zu können. Dazu gibt es technische Hilfsmittel, auch mit Blick auf soziale Medien. Denn Kriminalität ob von innen oder außen, müssen wir als Faktum einordnen, dem wir mit allen Mitteln des Rechtsstaates begegnen. Das BAMF hat sich inzwischen zu einem Vorreiter in der Bundesverwaltung bei der Qualitätssicherung, Digitalisierung und Agilität entwickelt. Es leistet durch seine Arbeit im Asyl- und Integrationskontext zentrale Beiträge.