Die illegale Einreise ist strafbar! Zumindest theoretisch…
Rechts- und Sicherheitsexperte Wolfgang Bosbach über den Anstieg der illegalen Migration
FRONTEX warnt vor einer zunehmenden illegalen Migration
Unter Berufung auf Zahlen und Erkenntnisse von FRONTEX, der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache, gegründet schon 2004, begründet die DPolG ihren Weckruf an Politik und Gesellschaft u.a. mit folgenden Fakten:
- Die illegale Migration über Tschechien habe einen -so wörtlich- „explosionsartigen Höchststand“ erreicht.
- Alleine in den ersten acht Monaten des Jahres 2022 seien 188.200 irreguläre Einreisen in die EU registriert worden.
- Dies sei die höchste Gesamtzahl für den Zeitraum Januar bis August seit 2016.
- Die Routen über den westlichen Balkan und das zentrale Mittelmeer seien nach wie vor die „aktivsten“.
Wörtlich heißt es in dem Artikel dann weiter: „In den letzten Wochen haben sich die Aufgriffe unerlaubt nach Deutschland eingereister Personen vervierfacht. Ganz offensichtlich nutzen die international agierenden Schlepperbanden nunmehr auch verstärkt die Route über die Slowakei und die Tschechische Republik, um Menschen aus Afghanistan, Syrien und dem Irak nach Deutschland zu bringen.“
Keine strafrechtlichen Konsequenzen trotz illegaler Migration
Wenn aber die illegale oder irreguläre Einreise strafbewehrt ist, müsste dann nicht auch die Zahl der Strafverfahren sprunghaft ansteigen? Theoretisch ja, praktisch nein.
Zu den Kronjuwelen des Strafrechts gehört ganz zweifellos der § 95 AufenthG – in vollem Wortlaut „Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet“. An Komplexität und Kompliziertheit ist diese Vorschrift kaum zu überbieten! Sowohl die zahlreichen Verweise auf andere Rechtsmaterien, als auch die hohe Zahl möglicher Strafbarkeitsgründe sind beeindruckend – was allerdings keineswegs für die sich daraus ergebenden strafrechtlichen Konsequenzen bei Verstößen in gleicher Weise gelten muss.
Leider reicht der hier zur Verfügung stehende Platz nicht aus, um die ganze Skala theoretisch möglicher strafrechtlicher Konsequenzen aufzufächern. Daher konzentrieren wir uns auf eine Fallkonstellation: Die illegale Einreise ohne Erfüllung der Passpflicht und/oder der Visapflicht.
Ja, auch wenn das jetzt vielleicht überraschend klingt, die Passpflicht ist keineswegs generell abgeschafft. Sie gibt es immer noch, auch wenn mittlerweile per RechtsVO viele davon befreit sind. Wer beim Grenzübertritt, aus einem visapflichtigen Land stammend, weder Pass noch (logischerweise) ein Visum vorweisen kann und dennoch einreist, ist tatsächlich illegal eingereist. Allerdings: Die eingangs erwähnte Strafvorschrift greift NICHT, wenn die Betreffenden hier humanitären Schutz suchen. Ganz gleich, ob unter Berufung auf das Asylrecht oder die Genfer Flüchtlingskonvention. Das gilt sogar bei der Einreise via „grüne Grenze“, also ohne Übertritt an einem offiziellen Grenzübergang. Das gilt auch bei völlig ungeklärter Identität und/oder Nationalität. Ein häufiger Fall!
Rustikal formuliert: Nur wer illegal eingereist ist, sich hier illegal aufhält, OHNE einen Asylantrag zu stellen, der kann strafrechtlich belangt werden. Das allerdings sind ganz seltene Ausnahmen.
Und da die Bundesrepublik nach wie vor an der Grenze grundsätzlich niemanden zurückweist, der vorträgt, aus humanitären Gründen schutzbedürftig zu sein, auch wenn weder Pass, noch Visum, noch sonstige Personalpapiere vorgelegt werden können, ist die zitierte Strafvorschrift zwar beeindruckend voluminös, in der ausländer- und strafrechtlichen Praxis allerdings von marginaler Bedeutung.