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Terroraufarbeitung aus Ermittlersicht

5 Fragen an Bundesanwalt a.D. Bruno Jost

Am 19.12.2016 verübte der Islamist Anis Amri mit einem Sattelzug einen Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz vor der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Insgesamt zwölf Menschen starben, 55 Weihnachtsmarktbesucher wurden zum Teil schwer verletzt. Schnell kam Kritik an den Sicherheitsbehörden auf: Amri war demnach vorher überwacht worden, es seien Warnungen des marokkanischen Geheimdienstes ignoriert worden, im Nachgang seien Akten manipuliert worden, um Versäumnisse zu vertuschen.

 

VdZ: Nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz im Advent 2016 wurden Sie vom Berliner Senat als Sonderermittler gebeten, das Handeln der Sicherheitsbehörden im Fall Anis Amri zu untersuchen. Warum war eine solche Untersuchung nötig?

Jost: Eine Untersuchung der Vorgänge um den Weihnachtsmarkt-Anschlag war auf jeden Fall erforderlich. Sie (zunächst) durch einen Sonderbeauftragten durchführen zu lassen, war wohl eine politische Entscheidung, da es offenbar zunächst nicht die zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses notwendigen Mehrheiten gab. Wie ich schon bei Vorstellung meines Abschlussberichts sagte, gehe ich davon aus, dass es nie zu einer gerichtlichen Aufarbeitung des Tatgeschehens kommen wird. Umso wichtiger ist und war - vor allem für die Betroffenen, die Hinterbliebenen -, dass Umstände, Gründe und Hintergründe des Anschlags umfassend aufgeklärt werden und dass sich diese Aufklärung nicht nur auf die strafrechtlichen Aspekte beschränkt.

 

Bruno Jost
Bruno Jost wurde im Jahr 1949 in Bitburg geboren. Nach seinem Jurastudium an der Universität Saarbrücken folgte die Referendarzeit im saarländischen Justizdienst. Nach Tätigkeiten als Staatsanwalt in Flensburg und Stuttgart wurde Herr Jost im Jahr 1983 zum Generalbundesanwalt in Karlsruhe abgeordnet, wo er bis 1986 tätig war. Anschließend wurde er von 1986 – 1989 zum Justizministerium Stuttgart abgeordnet. Von 1989 – 1991 war Herr Jost als Oberstaatsanwalt in Heilbronn sowie in den Jahren 1991/1992 als Oberstaatsanwalt in Leipzig tätig. In den Jahren 1992 – 2014 arbeitete Herr Jost als Oberstaatsanwalt bzw. Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof Karlsruhe. Herr Jost wurde im Jahr 2017 vom Berliner Senat als Sonderbeauftragter des Berliner Senats im Fall Amri eingesetzt.
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VdZ: Sie haben im Rahmen Ihrer Untersuchung erhebliche Fehler der Polizeibehörden festgestellt und sind zu dem Schluss bekommen, dass der Attentäter im Vorfeld mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte in Haft genommen werden können. Gleichzeitig haben Sie den Vorwurf der nachträglichen Aktenmanipulation beim Landeskriminalamt Berlin bestätigt. Sind unsere Sicherheitsbehörden mit der Terrorbedrohung überfordert?

Jost: Ich hatte davon gesprochen, dass eine "reelle Chance" bestanden hätte, Amri zu verhaften. Ich halte es nicht für richtig, von einer generellen Überforderung der Sicherheitsbehörden zu sprechen. Dass sie es nicht sind, haben sie durch einige erfolgreich verhinderte Anschläge bewiesen. Es handelt sich m.E. auch nicht nur um ein Problem der Sicherheitsbehörden. Man muss hier auch begleitende Umstände sehen, wie z. B. die Tatsache, dass es nach wie vor keine durchgängige Erfassung, Kontrolle und Identifizierung einreisender Personen gibt, was den Sicherheitsbehörden die Aufgabe nicht gerade erleichtert. Es ist also ein ganzes Bündel von Ursachen, die - neben individuellem Fehlverhalten und einzelnem Behördenversagen - Ereignisse wie das Attentat vom 19.12.16 ermöglichen oder erleichtern. Hinzu kommt - ganz wichtig - der gegenüber früheren terroristischen Straftaten geänderte modus operandi und die Auswahl der Ziele.

 

VdZ: Im Idealfall sollten Untersuchungsergebnisse und Erkenntnisse eines Sonderermittlers wohl dazu beitragen, dass Fehler nicht wiederholt werden und die Sicherheitslage verbessert wird. Welche Schlüsse haben die Behörden und die Politik denn aus dem Anschlag gezogen?

Jost: Das ist eine ebenso berechtigte wie schwierige Frage. Zum einen: Ich bin ja beileibe nicht der einzige, der Verbesserungsvorschläge gemacht hat; die gab es vor und nach meinem Abschlussbericht auch von anderer Seite. Zum andern: Zumindest politische Mühlen mahlen ja sehr langsam. Dies vorausgeschickt, glaube ich, dass es - soweit ich das als interessierter Bürger beurteilen kann - inzwischen durchaus Maßnahmen zur Verbesserung gegeben hat, z.B. die Verstärkung von Polizei und Nachrichtendiensten, verschiedene organisatorische Veränderungen. Auch die sächliche Ausstattung der Behörden, z.B. mit Geräten zur Fast-ID, scheint voranzukommen. Andererseits - ich habe es an anderer Stelle schon ausgeführt - gibt es nach meinem Eindruck immer noch keine durchgängige Erfassung, Kontrolle und Identifizierung zureisender Personen, was sich spätestens dann negativ auswirkt, wenn jemand - aus welchen Gründen auch immer - in sein Herkunftsland abgeschoben werden soll. Im Übrigen lässt wohl auch die Unterstützung vieler Herkunftsländer bei der Rücknahme eigener Staatsangehöriger sehr zu wünschen übrig. Beachtung verdient m.E. auch der Kreis solcher Terrorverdächtiger, die entweder Deutsche sind oder als Ausländer aus bestimmten Gründen nicht abgeschoben werden können/dürfen. Das kommt nach meinem Eindruck in der öffentlichen Diskussion etwas zu kurz.

 

VdZ: Sie waren schon 1992 mit den Ermittlungen zum Mykonos-Attentat befasst, 2012 wurden Sie in die Bund-Länder-Kommission zur Untersuchung der NSU-Morde berufen. Was kann denn die Aufarbeitung solcher Anschläge im Optimalfall bewirken und wie realistisch ist es, dass sich dadurch etwas ändert?

Jost: Die Komplexe "Mykonos" einerseits und "NSU" bzw. "Amri" andererseits sind völlig unterschiedlich zu werten. Beim Mykonos-Attentat war ich Ermittler und Anklagevertreter; das Mykonos-Verfahren war ein regulärer Strafprozess, der mit der Verurteilung der Tatbeteiligten - soweit man sie festgenommen hatte - endete. Über die Verurteilung hinaus gab es allerdings den erfreulichen Erfolg, dass seitdem außerhalb des Irans keine Oppositionellen mehr von staatlicher iranischer Seite ermordet wurden.

Die Befassung mit den Taten des NSU bzw. dem Fall Amri erfolgte nicht zu Zwecken der Strafverfolgung, sondern sollte - auch - strukturelle und organisatorische Mängel und Versäumnisse erkennen und benennen. Im besten Fall könnten und sollten daraus Schlüsse zur Abhilfe gezogen werden. Ob dies in allen Fällen und im notwendigen Umfang geschieht, ist sicherlich umstritten. Aus meiner persönlichen Sicht ist eine gesunde Skepsis angebracht.

 

VdZ: Einmal angenommen, aus diesen Anschlägen würden die richtigen Schlüsse gezogen und umgesetzt, gemachte Fehler würden nicht wiederholt, organisatorische Optimierungen und politische Rahmenbedingungen würden angegangen: Könnte man dadurch künftigen Terror verhindern? Oder zumindest begrenzen?

Jost: Meines Erachtens: Nein. Natürlich kann man davon ausgehen, dass bei Vermeidung aller denkbaren Fehler die Begehung terroristischer Straftaten erschwert bzw. ihre Aufklärung erleichtert wird. Aber die Geschichte der Menschheit zeigt, dass auch vermeintlich ideale Gesellschaften oder solche, die sich dafür hielten, vor Straftaten ihrer Mitglieder oder Angehöriger fremder Gesellschaften nicht gefeit waren. Und speziell der islamistische Terrorismus ist in mehrfacher Hinsicht von bisherigen Formen des Terrorismus so grundverschieden, dass ich - zumindest auf absehbare Zeit - keine Chance sehe, der Gefahr wirklich Herr zu werden.

Ich werde das am 26.6. auch noch etwas näher ausführen.