Nun mag man einwenden, dass dies in politischen Debatten schon fast traditionell der Fall ist und dass im Grunde alle Parteien und deren Protagonisten in gleicher Weise verfahren, was die Sache allerdings nicht besser macht.
Ganz im Gegenteil
Und sollte jetzt jemand glauben, dass dies in der Rechtspolitik, die nicht selten in Paragraphen gegossene Gesellschaftspolitik ist, gewiss ganz anders sei, weil man sich zumindest in dieser Disziplin streng an Recht und Gesetz – und nicht an politischen Opportunitäten orientiere – der wird ganz aktuell durch den neuen Bundesjustizminister eines „Besseren“ belehrt (die Anführungszeichen sind bewusst gesetzt).
So schrieb die Süddeutsche Zeitung in ihrer Ausgabe vom 1.12.2021 wörtlich:„Der designierte Bundesjustizminister […] will den umstrittenen Strafrechtsparagraphen (§ 219a StGB) möglichst rasch abschaffen. Er verhindert, dass Ärztinnen und Ärzte offen über Abtreibungen informieren dürfen. Das sei untragbar, sagte Buschmann.“ Zitat Ende.
Bundesfamilienministerien Spiegel (Bündnis 90/Die Grünen) assistiert umgehend: „Der Paragraph stigmatisiert Frauen und kriminalisiert Ärztinnen und Ärzte.“ Leider fehlte jede Begründung für diese Behauptungen.
Von einem „Informationsverbot“ steht in § 219a StGB kein Wort
Vermutlich, weil ein kurzer Blick ins StGB genügen würde um festzustellen: Von einem „Informationsverbot“ steht in § 219a StGB kein Wort. Dort befinden sich in Absatz 1 vielmehr die Begriffe „seines Vermögensvorteils willen“ und „in grob anstößiger Weise“. In den nachfolgenden Absätzen 2 bis 4 folgen viele Einschränkungen im Hinblick auf eine mögliche Strafbarkeit. Auch das wird von der Kritikern dieser Vorschrift meistens gar nicht erwähnt.
Warum wurde diese Vorschrift überhaupt in das StGB aufgenommen? Der § 219a StGB ist ein „abstraktes Gefährdungsdelikt“. Die Regelung soll verhindern „dass der Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit (!) als etwas normales dargestellt und kommerzialisiert wird“ (vgl. hierzu die Bundestagsdrucksachen 7/1981 S. 17 und 19/7693 S. 7). Dieser Paragraph ist Teil des Gesamtkonzeptes „Beratungslösung“, also der Fristenlösung mit Beratungspflicht (hierzu näher Thomas Fischer, StGB mit NebenG zu § 219a RN 3).
Schutzkonzept für den Embryo
Sinn und Zweck der Vorschrift orientieren sich an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, dass die Beratungslösung nur dann (sic!) als mit dem GG vereinbar angesehen hat, wenn der Staat die Entscheidungsfreiheit der Schwangeren durch ein Schutzkonzept für den Embryo ergänze. Eine Abtreibung dürfe nicht als „alltäglicher, der Normalität entsprechender Vorgang“ dargestellt und behandelt werden (BVerfG im Band 88, S. 203, 270, 319). Dieser Gedanke soll auch im § 219a StGB zum Ausdruck kommen. Schon in den frühen 1970er-Jahren hat der Deutsche Bundestag ganz ausdrücklich festgestellt, dass die „Unterrichtung der Öffentlichkeit (durch Behörden, Ärzte, Beratungsstellen) möglich sein müsse“ – nach einem generellen Informationsverbot oder gar der Kriminalisierung aller(?) Ärztinnen und Ärzte klingt das ganz und gar nicht. Und noch in der letzten Wahlperiode (2017 – 2021) hat der Bundestag dies bekräftigt. Auch mit Stimmen der SPD.
Man mag die Vorschrift für antiquiert, überholt oder weiterhin als sinnvoll und notwendig betrachten, man mag einzelne Formulierungen für unpräzise oder unscharf halten, das alles mag vertreten werden.
Nicht hinnehmen sollte es das Publikum allerdings, wenn es über Inhalt, Sinn und Zweck der Vorschrift nicht umfassend zutreffend informiert wird – dafür ist das Thema „Schutz des ungeborenen Lebens“ zu wichtig. Und die einschlägigen Entscheidungen unseres höchsten Gerichtes auch.
Der Autor ist Kongresspräsident des Berliner Kongresses für Wehrhafte Demokratie. Von 1994 bis 2017 war Wolfgang Bosbach Mitglied des Deutschen Bundestages und dort unter anderem von 2000 bis 2009 stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU Bundestagsfraktion für den Bereich Innen- und Rechtspolitik und von 2009 bis 2015 Vorsitzender des parlamentarischen Innenausschusses.